Als CEO eines Versicherers das Geschlecht gewechselt: „Mit 50 hat man ein bisschen mehr Mut“
„Das Büro hatte ich in Männerkleidung verlassen, am nächsten Tag kam ich als Frau“. Ihr Outing als Transfrau war für CEO Caroline Farberger, ICA Försäkring, mit Ängsten ums eigene Lebensglück verbunden. Es hat sich in Zufriedenheit und Erkenntnis ausgezahlt: Eine Geschichte voll Mut und Lernbereitschaft.
Im September 2018 schrieb die CEO Farberger eine Mail an ihre Mitarbeiter, dass sie „ab morgen“ Geschlecht und Vorname wechsle. Einfach war das nicht, wie sie dem Spiegel berichtet, denn neben dem Beruflichen musste auch die Familie mit Frau und zwei Kindern mit der neuen Realität vertraut gemacht werden.
Am Anfang stand Furcht. „Ich habe mich selbst lange nicht getraut, weil ich Angst davor hatte, ausgeschlossen zu werden“. Farberger wollte Familie, Freunde und Materielles nicht verlieren, das sie sich privat und mit einer Top-Karriere – doppelter Uni-Abschluss, McKinsey und dann Aufstieg bis zum CEO – aufgebaut hatte. Gewaltig waren ihre Bedenken vor Nichtakzeptanz und Autoritätsverlust; aber auch davor, ob sie die Kraft für ein solches Leben aufbringe. In der Rückschau war die Sorge haltlos.
Ihr gesamtes Umfeld reagierte verständnisvoll auf die Entscheidung der damals 50-jährigen. Die Familie nahm die Neuheit „erstaunlich gut“ auf und die Mitarbeiter begrüßten nach dem Outing mit Blumen. Doch eine gewisse Bangigkeit vor Unaufrichtigkeit blieb, die Chefrolle war zweischneidig. Einerseits ein Nachteil, „weil ich mehr zu verlieren hatte“, andererseits aber auch Vorteil, weil die Position „Autorität und Macht verleiht“. Mittlerweile ist sie sich sicher, dass Offenheit und Unterstützung nicht gespielt waren.
Vor dem Meeting mit ihren Chefs – ICA Försäkring AB ist die Versicherungstochter der größten schwedischen Supermarktkette ICA mit 23.000 Beschäftigten – hatte sie einen Stapel an Dokumenten und Strategien vorbereitet. Gemeinsam wurde überlegt, wie die Neuerung nach außen kommuniziert werden soll. Die Unterstützung des Unternehmens war für Farberger „viel wert“. Ein zehnseitiger Artikel über sie in einer führenden schwedischen Wirtschaftszeitung vervollständigte und festigte das neue Bild in der Öffentlichkeit.
Der Lernprozess
Farberger hat durch ihren Wandel viel über sich gelernt. Soziale Barrieren habe sie nicht gesehen und einen mitunter einschüchternden „exklusiven statt inklusiven“ Führungsstil praktiziert, wie ihr ehemalige Mitarbeiterinnen nach dem Outing gestanden. „Es ist schwer, Privilegien nachzuvollziehen, wenn man selbst privilegiert ist“, resümiert sie. Ihr Leben als Mann und Verbindungen zu „Männergemeinschaften“ hätten ihr in ihrer Karriere oftmals geholfen. „Weil ich der mit der starken Meinung war, wurde ich immer weiter befördert.“
Bestimmte Handlungsweisen in Stimme, Gestik und Verhalten behält sie bei, der maskuline Werkzeugkasten ist auch als Frau nützlich. Einer persönlichen Entwicklung steht das nicht entgegen, heute will sie bewusst einschließen, statt (unbewusst) auszugrenzen. „Meine Aufgabe als Führungskraft ist es, ein Klima zu schaffen, in dem unterschiedliche Meinungen zählen und alle sich wertgeschätzt fühlen.“ Jeder habe das Recht, so zu sein, wie er oder sie ist; an bestehenden Vorurteilen müsse hart gearbeitet werden.
Ihre Geschichte macht Farberger 2019 zur schwedischen „LGBTQ Person of the Year“ und ermutigte Menschen zum eigenen Outing; und wenn aus dieser Geschichte etwas mitgenommen werden kann, dann ist es die Veränderungskraft des Mutes.
Autor: Maximilian Volz
Eine tolle Nachricht!
Meinen absoluten Respekt vor Caroline Farberger und ebenso dem Arbeitgeber ICA Försäkring!
In dieser Position hat dies eine Strahlkraft, die als Vorbild viel bewirken kann.
Leider ist derzeit – bei allen Lippenbekenntnissen hierzulande – so etwas wohl nur in Skandinavien möglich. In Deutschland ist hier noch ein weiter Weg zu gehen…aber dieser wurde zumindest betreten. Und ein Zurück (in die Denke der 50iger) wird es auch hierzulande nicht geben…egal wie laut konservatives Gezeter aus allen Ecken schallt.
Alles erdenklich Gute auf dem weiteren Weg für Caroline Farberger!
Ich habe mich ebenfalls geoutet, in einer Versicherung, und viel positives erlebt.
Ich finde je mehr sich von uns zeigen, desto besser… das muss mit Mut und Aufrichtigkeit von möglichst vielen von uns in die Gesellschaft getragen werden, in unsere Gesellschaft „einsickern“, je mehr Menschen uns begegnen, desto mehr Verständnis kann sich entwickeln.
Begegnung und miteinander reden hilft hier ungemein… es muss Realität werden in unserer Gesellschaft.
Das gilt für alle queeren Menschen, für alle die anders sind, nicht nur für transidente Menschen.