Englands Benzinproblem trifft auch die Versicherer

Inzwischen fahren britische Soldaten volle Benzinladungen an die Tankstellen aus. (Quelle: fredmagnus/ Pixabay)

Bislang weckte das Stichwort Supply Chain Risks nur Assoziationen mit einem verstopften Suez-Kanal oder abbrennenden Chip-Fabriken in Asien. Ähnliches kann sich aber auch vor der eigenen Haustür zutragen, wie der Benzin-Versorgungsengpass in England offenbart. Wie Versicherer hierbei haften müssen, hängt vom Wording der Betriebsunterbrechungs-Policen ab.

Der derzeit drohende Zusammenbruch weiter Teile der britischen Logistik hängt mit den Brexit-Folgen zusammen: LKW-Fahrer aus EU-Staaten können nur noch unter erschwerten Bedingungen eine britische Arbeitserlaubnis erhalten. Gleichzeitig steht ein Großteil der Fahrer zur Pensionierung an, während der COVID-Periode wurden kaum neue Fahrer qualifiziert und die Bevölkerung hat in einem Anflug von Panik die restlichen Tankstellenbestände leergezapft.

Haftung im Gewerbebereich

Im Verhältnis etwa zwischen einem Lieferanten und seinem Abnehmer dürfte die Versorgungskrise einen Fall der „Force Majeure“ darstellen, also von höherer Gewalt. Mit der Folge; dass der eigentlich zu spät Liefernde sich dennoch vertragskonform verhält und keinen Schadenersatzanspruch zu befürchten hat.

Der Besteller der ausbleibenden Ware hingegen kann seinen Schaden ggf. im Rahmen einer erweiterten BU-Deckung geltend machen. Die normale BU-Deckung betrifft lediglich Umstände in der Sphäre des versicherten Betriebes, nicht aber solche bei Lieferanten oder Abnehmern. Im Rahmen der Contingent Business Interruption (CBI) wird der Kreis der versicherten Ausfälle wesentlich erweitert. Es kommt auf das Wording im Einzelfall an, ob die derzeitigen Ausfälle von Versicherern übernommen werden. Sollte ein Makler es versäumt haben, einen gewerblichen Kunden auf die Erhältlichkeit derartiger Deckungen hinzuweisen, so könnte er sich dadurch schadenersatzpflichtig gemacht haben.

Den derzeit betroffenen britischen Tankstellen wird aber nicht in jedem Fall ein Schaden entstehen. Die Konsumenten sind mittlerweile so tankwütig, dass sie nicht mehr auf einige Pence Preisunterschied beim Liter schauen. Überdies hat die britische Regierung auch noch die kartellrechtlichen Beschränkungen der Branche temporär außer Kraft gesetzt. Eine temporäre marktweite Verknappung erhöht die Margen, was derzeit auch für die Automobilhersteller und Autohändler gilt.

Und wenn ich nicht zur Arbeit kommen kann?

Auf der Website der Anwaltssozietät Warner Goodman finden sich Ausführungen in arbeitsrechtlicher Hinsicht. Demnach ist hinsichtlich des Lohnanspruches zu entscheiden:

  • Ist der Arbeitnehmer „ready, willing, and available to work“, wozu auch die Fähigkeit gehört, zum Arbeitsort zu gelangen? Dann besteht sein Lohnanspruch, auch wenn dem Arbeitgeber z.B. Rohmaterialien fehlen sollten.
  • Allerdings existieren wohl Tarif- und Arbeitsverträge, welche eine „unpaid lay-off clause“ vorsehen und so das Risiko fehlender Lieferungen aus der Sphäre des Arbeitgebers in die des Arbeitnehmers verlagern.
  • Sollte der Arbeitnehmer etwa wegen nicht fahrender Schulbusse zu Hause bleiben müssen, um sich um seine Kinder zu kümmern, so hat er lediglich Anspruch auf unbezahlten Urlaub, „unpaid leave“.

Parallele Probleme bei Strom und Gas

Ferner droht für den Winter auch noch eine Gas- und Stromversorgungskrise, Folge der zurückgehenden eigenen britischen Gasförderung und aufgegebener Gaslagerstätten. Jetzt bereits sind ein Dutzend Stromhandelsgesellschaften insolvent geworden, weil sie – ein klassisches Kongruenzproblem – Strom zu Festpreisen mittelfristig verkauften und sich kurzfristig an den Strombörsen eindeckten, deren Preise sich vervielfacht haben.

Sollte sich das Verhältnis zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU weiter verschlechtern, so könnte es in Bälde auch zu echten Fällen wechselseitiger Blockage kommen. Die französische Regierung drohte im Mai 2021 damit, die Stromversorgung der der französischen Küste vorgelagerten Insel Guernsey zu kappen, sollten die Fischrechte französischer Kutter in den Gewässern Guernseys beschnitten werden.

Derzeit weigert sich die britische Regierung ihre Verpflichtung zu erfüllen, zwischen Großbritannien und Nordirland, welches im EU-Zollgebiet verbleibt, eine Zollgrenze zu errichten. Hierin wiederum sieht die EU eine Provokation, welche nach Sanktionen ruft. Neben Handelsblockaden wäre auch an eine Dienstleistungsblockage zu denken, etwa das Ende der Anrechenbarkeit von Rückversicherungszessionen nach London im Rahmen von Solvency II, was die zu fast 100 Prozent rückversicherte Lloyd’s Bruxelles treffen würde. Vermutlich wird die französische Regierung in Wahrung napoleonischer Traditionen die EU-Kommission entsprechend einstimmen. Ob der sich dann offenbarende Kumul noch versicherbar ist, wird sich weisen.

Autor: Philipp Thomas

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