Zurich-Deutschlandchef Schildknecht: „Die Debatte um die Versicherbarkeit von Pandemien ist wichtig und richtig“

Carsten Schildknecht, CEO Zurich Deutschland, Quelle: Zurich

Die Zurich Deutschland ist bislang kaum von Corona betroffen. Im VWheute-Sommerinterview plädiert Vorstandschef Carsten Schildknecht für eine Debatte über die Versicherbarkeit von Pandemien: „Denn hier hat sich gezeigt, dass Wirtschaft und Gesellschaft ja insgesamt einer außergewöhnlichen Situation ausgesetzt waren, die so nicht vorhersehbar war.“

VWheute: Die Pandemie hält uns nun seit mehr als einem Jahr in Atem. Wie hat sich die Zurich in dieser Zeit geschlagen? Und wie sieht die Bilanz für 2020 aus?

Carsten Schildknecht: Ohne Zweifel hat uns die Covid-19-Pandemie mitten im Prozess der Neuausrichtung unserer Strategie und des Kulturwandels herausgefordert – sowohl geschäftlich als auch in der Art, wie wir arbeiten. Allerdings hat die Pandemie auch gezeigt, dass wir eine starke und lebendige Unternehmenskultur entwickelt haben, die uns in die Lage versetzt, auch mit unerwarteten Herausforderungen wie Covid-19 souverän umzugehen. So haben wir uns trotz der Covid-19-Effekte in Kernbereichen deutlich besser entwickelt als der Wettbewerb. Wir setzen seit 2018 unseren Wachstumskurs fort, und zwar im Durchschnitt deutlich schneller als der Markt. Auch bei der Kunden- und Partnerzufriedenheit sowie bei der Mitarbeiterzufriedenheit haben wir uns enorm gesteigert.

Die Bilanz für 2020 fällt also sehr positiv aus. Wir haben 2020 viele unterschiedliche Themen vorangebracht, die unsere Marktposition dauerhaft stärken werden. Neben soliden Geschäftsergebnissen blicken wir auch auf wichtige Erfolge wie die Verlängerung und Verbreiterung der Deutsche Bank-Kooperation zurück. Ab 2023 werden wir unsere Produkte auch den Kunden der Postbank zur Verfügung stellen können. Damit erhalten wir den exklusiven Zugang zu 19 Millionen Kunden von Deutsche Bank und Postbank.

Wir haben zudem auch unsere Nachhaltigkeits-Ambitionen geschärft und klar definiert: Wir wollen, dass Zurich zu einem der verantwortungsbewusstesten und wirkungsvollsten Unternehmen der Welt wird. Unsere Ambition ist kühn. Aber sie passt zu uns und sie passt in die Zeit. Wir nehmen das Thema sehr ernst. Und das müssen wir auch tun: Die Warnungen vor Pandemien hat so mancher auch nicht hören wollen – und dann kam Corona.

VWheute: Marktbeobachter werten in Corona einen digitalen Brandbeschleuniger: Wie bewerten Sie diese Aussage und welche Auswirkungen wird dies für die Insurtechs haben?

Carsten Schildknecht: Ohne Zweifel hat Corona der Digitalisierung insgesamt einen gehörigen Schub verliehen. Ich beobachte aber vor allem, dass diejenigen Unternehmen deutlich besser durch die Pandemie gekommen sind, die sich schon weit vor Corona intensiv mit den Chancen und Möglichkeiten der Digitalisierung beschäftigt und diese mit Hochdruck vorangetrieben haben. Zurich hat in der Pandemie von diesen strategischen Investitionen profitiert. Alle unsere Mitarbeitenden konnten zu Beginn des ersten Lockdown quasi von jetzt auf gleich produktiv von zu Hause arbeiten. Auch unsere Vertriebe und Kunden haben von unseren digitalen Lösungen und Plattformen in der Pandemie profitiert. Zurich stand jederzeit und ohne Einschränkungen an ihrer Seite. Unser Kulturwandel und unsere moderne digitale Infrastruktur haben dazu beigetragen, dass wir besser durch die Pandemie gekommen sind als andere.

Corona hat darüber hinaus weitere Blickwinkel geöffnet und Arbeitsweisen gefördert, die wir unter normalen Umständen so in der Kürze der Zeit kaum hätten umsetzen können. In unserer Reaktion auf die Pandemie waren wir schnell und agil unterwegs. Diese Attribute kannte man vor wenigen Jahren fast nur von Insurtechs, zu deren USP ja gerade die Dynamik der Geschäftsmodelle gehört.

Die Assekuranz hat hier in den letzten Jahren und gerade in Corona-Zeiten deutlich aufgeholt. Viele Versicherer haben ihre Produkte selbst um digitale Angebote ergänzt beziehungsweise digitale Produkte komplett in Eigenregie auf den Markt gebracht. Für Insurtechs wird es dagegen meiner Meinung nach schwieriger werden, jenseits der Optimierung einzelner Prozesse und Bereiche den Versicherern Front-to-Back entlang der gesamten Wertschöpfungskette Konkurrenz zu machen.

VWheute: Stichwort Betriebsschließungsversicherung: Die Debatte um die BSV hat in den vergangenen Monaten die Schlagzeilen bestimmt. Inwieweit ist die Zurich Deutschland davon betroffen und wie bewerten Sie die aktuelle Debatte?

Carsten Schildknecht: Die Debatte um die Versicherbarkeit von Pandemien ist wichtig und richtig. Denn hier hat sich gezeigt, dass Wirtschaft und Gesellschaft ja insgesamt einer außergewöhnlichen Situation ausgesetzt waren, die so nicht vorhersehbar war. Die konkreten Fälle zeigen ja, dass Betriebe nicht wegen einzelner betrieblicher Infektionsfälle schließen mussten, sondern vorsorglich und landesweit auf behördliche Anordnung.

Dabei wurde auch deutlich, dass es politisch nicht gewollt sein kann, dass die privatwirtschaftliche Versicherungsindustrie für nicht versicherbare Schäden aufkommt. Daher haben wir gemeinsam mit dem GDV auch an Vorschlägen mitgewirkt, wie man vergleichbare pandemische Szenarien in Zukunft für die betroffenen Unternehmen durch eine Private-Public-Partnership-Lösung abfedern könnte.

VWheute: Im September steht die Bundestagswahl an: Womit rechnen Sie im Falle einer grünen Kanzlerin Annalena Baerbock und welche generellen Erwartungen habe Sie an eine neue Bundesregierung in der kommenden Legislaturperiode?

Carsten Schildknecht: Die Zusammensetzung des neuen Parlaments wird am Wahltag entschieden. Alles andere sind Spekulationen. Für Deutschland als wichtigste Wirtschaftsnation in Europa hoffe ich auf eine Bundesregierung, die über eine hohe wirtschafts- und europapolitische Kompetenz verfügt. Die Folgen der Corona-Pandemie sowie die innen- und außenpolitischen Herausforderungen stellen hohe Anforderungen an die zukünftige Bundesregierung.

Es gilt in der nächsten Legislaturperiode zentrale Aufgabenstellungen der Zukunft zu bewältigen, insbesondere in Bezug auf Nachhaltigkeit, finanzielle Stabilität, Bildung und soziale Gerechtigkeit. Dies wird nicht durch ein Mehr an Verboten und Regularien gelingen, sondern durch ein Mehr an Chancen und Möglichkeiten.

Generell hoffe ich auf eine klare politische Führung und die Stärkung einer ökologisch-sozialen Marktwirtschaft. Es sollte ein wirtschaftliches und gesellschaftliches Umfeld gefördert werden, das Anreize für nachhaltige Investitionen in die Zukunft schafft – keines, das die Bürger in ihrer Individualität, Kreativität und Schaffenskraft einengt und in ihrer sozialen und ökologischen Verantwortung entmündigt.

Die Fragen stellte VWheute-Redakteur Tobias Daniel.

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