Montagskolumne: DFV-Chef Knoll, die Gedanken eines Unternehmers
 Top-Entscheider exklusiv 

Stefan Knoll, CEO der Deutschen Familienversicherung. Quelle: DFV - von der Redaktion bearbeitet

Als ich gebeten wurde, für versicherungswirtschaft-heute eine Kolumne zu schreiben, da habe ich mich gefragt, was ich denn schreiben soll. Nun kann man immer etwas schreiben, als Versicherungsunternehmer zumal. Doch was könnte den geneigten Leser interessieren? Was von meinen täglichen Erlebnissen als Vorsitzender des Vorstandes einer selbst gegründeten Versicherungsgesellschaft ist geeignet, so verallgemeinert zu werden, dass eine Vielzahl der Leser sich angesprochen fühlt?

Und so bin ich trotz längeren Nachdenkens wieder bei meinem Lieblingsthema, dem Führen, angekommen. Damit beschäftige ich mich seit Jahren und habe mich auch entsprechend mit zwei Büchern publizistisch betätigt. Es handelt sich um ein Thema von geradezu unbegrenzter Reichweite, weil die gesellschaftlichen und politischen Veränderungen immer wieder neue Sichtweisen auf dieses Thema eröffnen. Aus aktuellem Anlass will ich deshalb das Thema ESG (enviroment, social, governance) einmal unter Führungsgesichtspunkten beleuchten.

Einsteigen will ich mit dem Unterschied zwischen Führen und Managen. Denn das ist nicht dasselbe, es sind keine wechselseitigen Synonyme, und so führt noch lange nicht, wer managt. Gibt man bei Google den Begriff „managen“ ein, so erhält man als Erklärung, dass es sich dabei um „etwas geschickt organisieren und bewältigen“ handelt. Und in einer der letzten Ausgaben des Brockhaus heißt es: „Management wird als Gesamtheit aller Handlungen aufgefasst, die auf die bestmögliche Erreichung der Ziele einer Institution und der an ihr beteiligten Interessengruppen gerichtet sind“.

Demgegenüber wird Führen bei Google als ein „jemandem den Weg zeigen und dabei mit ihm gehen, ihn geleiten“ definiert, während der Brockhaus das Führen als „planende, leitende, koordinierende und kontrollierende Tätigkeit von übergeordneten oder überlegenen Mitgliedern einer Gruppe, einer Organisation (…) gegenüber untergeordneten, unterlegenen Mitgliedern“ bezeichnet.

Zweierlei fällt auf: einmal der Definitionsunterschied von Führen bei Google und Brockhaus und zum anderen die Annäherung der Definitionen von Führen und Managen bei Google. Und genau da will ich mit meiner Definition ansetzen. So verstehe ich unter Managen das Zusammenbringen unterschiedlicher Interessen, Notwendigkeiten unter Berücksichtigung all dessen, was dem im Weg stehen könnte, um ein idealerweise konsensuelles Ergebnis zu erzielen und dieses dann umzusetzen. Demgegenüber ist Führen nichts anderes, als jemanden einen fremden Willen aufzuzwingen. Wen die Definition von Führen schon an dieser Stelle verstört, dem entgegne ich, dass es doch auf der Hand liegt, dass Führen nicht erforderlich ist, wenn Handlungen schon aus sich heraus erfolgen, also keines zusätzlichen Anstoßes bedürfen, der über einen Rat hinausgeht.

Damit wird auch klar, dass beide Tätigkeiten ganz unterschiedliche Befähigungen erfordern. Während der Manager verschiedene Interessen, Richtungen versuchen muss, möglichst zusammenzubringen, muss der Führer seinen Willen durchsetzen wollen und können. Der eine will Konflikte durch Konsens vermeiden, der andere überwindet den Konflikt durch seinen Willen. Weil Letzteres im Zweifel immer in Einsamkeit geschieht oder zur Einsamkeit führt, braucht der Führer ein inneres Licht, dem er folgen kann, und den Mut, diesem auch tatsächlich zu folgen.

Carl von Clausewitz bezeichnet das Erstere als „coup d’oel“ und Letzteres als die „Entschlossenheit“. Und mit „coup d’oel“ meint er das geistige Auge und damit nichts anderes als das schnelle Treffen einer Wahrheit, wie er sich ausdrückt, die einem gewöhnlichen Blick des Geistes gar nicht oder erst nach langem Betrachten und Überlegen sichtbar wird. Danach hat Führen auch etwas mit Schnelligkeit in der Entscheidungsfindung zu tun und deshalb habe ich die Einsamkeit angesprochen, weil schnelle Führungsentscheidungen immer in der Einsamkeit getroffen werden. Auch wenn es Clausewitz um Schnelligkeit der Entscheidung geht, immerhin äußert er sich in Zusammenhang mit Taktik, geht es unabhängig von ihm auch um Entscheidungen, die sich gegen eine Mehrheit und im Zweifel gegen den Mainstream richten. Und auch in dieser Situation wird es einsam um den Entscheider.

Die Entschlossenheit bezeichnet Clausewitz als einen Akt des Mutes. Mut, nicht gegen die körperliche Gefahr, sondern die gegen die Verantwortung.

In einer Mediengesellschaft, in der sich Nachrichten und Meinungen dazu geradezu blitzartig vermehren, in der die Veröffentlicher auf zustimmende Follower aus sind und die Follower glauben, dass eine Mehrheit sich gar nicht irren kann, bedarf es geradezu übermenschlicher Anstrengungen, eine Meinung zu haben und diese gegen den Mainstream vorzutragen und durchzusetzen. Schnell formieren sich nicht nur die externen Gegner, sondern auch unternehmensintern wird die Frage offen oder verdeckt gestellt, ob es denn gut sei, wenn man sich gegen den Mainstream richtet.

In der Versicherungswirtschaft wird jetzt das Thema ESG als Entscheidungskriterium diskutiert und darin gelegentlich sogar ein Schlüssel zu mehr Akzeptanz der eigenen Branche gesehen. Und natürlich ist es wichtig, dass wir die Erderwärmung in den Griff bekommen, auch darf Gleichberechtigung nicht nur ein Lippenbekenntnis sein und ein Verhalten, das sich an Recht und Gesetz orientiert, ist eine Selbstverständlichkeit. Doch muss die Frage erlaubt sein, wer denn die Kriterien festlegt. Was davon ist aus Sorge um die Umwelt motiviert und was ausschließlich Interessen-getrieben oder (partei-)politisch. Und lassen sich diese Forderungen mit dem Ziel nach gesellschaftlichem Frieden wirklich in Einklang bringen?

Mit den ESG-Kriterien wird es schwer zu vereinbaren sein, ab einem bestimmten Zeitpunkt noch Autos mit Verbrennungsmotoren zu versichern. Als ein Versicherer, der keine Autoversicherung anbietet, muss mich das nicht stören. Dennoch frage ich mich, ob es stimmt, dass ein Elektroauto eine substanziell andere Umweltbilanz aufweist als der modernste in Deutschland entwickelte Dieselantrieb. Durchaus laienhaft denke ich nur an das Beschaffen von Rohstoffen für den Bau von Batterien oder die spätere Entsorgung derselben. Oder was heißt das eigentlich für das Versichern von Autos oder Lkws? Auch das Versichern von Billigflügen widerspricht den ESG-Kriterien, weil Flüge für zum Teil weit unter 100,– Euro nach Mallorca nicht mit dem Ziel vereinbar sind, Umweltschäden vermeiden zu sollen. Und wie funktioniert eigentlich ESG-konforme Industrieversicherung? Wohngebäude ohne Dämmung zu versichern, könnte auch problematisch sein, und ob der Strom für unsere Rechenzentren immer ökologisch gewonnen wird, wage ich zu bezweifeln. Gibt es schon erste ESG-Auswirkungen in der D&O-Versicherung? Bekommt die dann nur noch der ESG-konforme Manager? Warum führen wir darüber als Versicherer keine Debatte?

Als ein weiteres ESG-Kriterium wird die Förderung von Diversität genannt. Was bedeutet das denn? Eine gleiche Anzahl von Frauen und Männern oder auch ein Abbilden aller gesellschaftlichen Gruppen in gleichem Verhältnis unter den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in einem Unternehmen? Wie kann man denn auf die Idee kommen, dass derartige zahlenmäßige Ausgewogenheit die Diskriminierung verhindert? Vielleicht sind sie ein Indiz, aber eben ein untaugliches. Denn wenn die gleichmäßige Verteilung von Geschlechtern, „Rassen“ und religiösen Hintergründen zum Prinzip wird, dann wird die Leistung als Kriterium für Einstellung, Beförderung und Bezahlung infrage gestellt, mindestens aber zum Sekundärkriterium.

Es kann nun einmal vorkommen, dass die leistungsstärkste Person nicht zufällig auch noch irgendeiner noch nicht hinreichend repräsentativen Gruppe oder Minderheit angehört. Warum darf man eigentlich wegen seiner Befähigung diskriminiert werden, solange die übrigen Diskriminierungsverbote im AGG eingehalten werden? Und wenn schon die Mehrheit derjenigen, die sich auf eine Position bewerben, männlichen Geschlechts sind, ist es schon rein statistisch schwierig, ein anderes Einstellungs- und Beschäftigungsverhältnis zu erreichen. Und warum soll die Belegschaft in einem Unternehmen etwas anderes abbilden müssen, als es die Art der Bewerbungen vorgibt? Diskriminiert nicht jetzt derjenige, der auf Diversität Wert legt, wenn der/die für die Position Ausgewählte erklären muss, dass die Entscheidung, sich für ihn oder sie entschieden zu haben, nicht auf Diversität beruht, sondern auf der persönlichen Leistungsbefähigung und Überzeugungskraft.

Oder geht es doch nur um Lippenbekenntnisse? Mehr Gender bei uns, unter gleichzeitiger Forderung nach dem Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan, damit die Mädchen dort nicht mehr zur Schule und in die Universität dürfen. Mehr Elektromobilität aber organisierter Widerstand, wenn es um den Bau einer Stromtrasse geht und unter Ausblendung der Frage, wie der Strom in die Städte kommt. Sichere Zinsen aber nicht dort erwirtschaftet, wo Geld in einer Weise verdient wird, die mit den persönlichen Vorstellungen nicht vollständig in Einklang steht. Darf man in die deutsche Rüstungsindustrie investieren oder ist das verwerflich? Neigen wir nicht dazu, Nachhaltigkeit mit persönlichen Moralvorstellungen zu verwechseln?

Hier muss die Versicherungswirtschaft beginnen eine Rolle zu spielen. Ohne uns gibt es keine moderne Volkswirtschaft. Aber wir müssen auch dafür sorgen, dass sie modern bleibt. Umweltschutz ist eine Überlebenssache. Der soziale Frieden in unserem Land aber auch. Demokratie lebt von der Akzeptanz der überwiegenden Mehrheit und das sind nicht nur 50 Prozent und schon gar keine Koalition unterschiedlicher Parteien. Die Unkenntnis vieler Bürger, was wirtschaftliche Zusammenhänge anbelangt, darf nicht von Populisten ausgenutzt werden.

Weil wir den Sachverstand haben und die Versicherungswirtschaft alle Lebensbereiche erfasst, müssen wir uns zu Wort melden. Wir dürfen nicht im Geheimen unter der Zinspolitik leiden und das Plündern der Altersversorgungen einer ganzen Generation kommentarlos hinnehmen. Wir reden von Digitalisierung und lassen es zu, dass unser Staat auf diesem Gebiet rein gar nichts auf die Reihe bringt. Wir kommen ganz gut durch die Pandemie und lassen das organisierte Staatsversagen bei Masken, Schnelltests und dem Impfen kommentarlos geschehen, dabei ist die Krankenversicherung eines unserer Spezialgebiete, wo wir in ständiger Konkurrenz zu staatlichen Lösungen stehen. Wir schauen zu, wie eine wirtschaftlich führende Nation durch das Ausleben von argumentativen Petitessen und eines organisierten Betroffenheitskultes zum Mittelmaß wird.

Ob die Mohrenstraße in Berlin oder ein gleichnamiges Hotel in Augsburg umbenannt werden sollen, ist nicht nur Blödsinn, sondern das Ergebnis des Wirkens einer historisch verwirrten Minderheit, denn die Bezeichnung „Mohr“ war und ist niemals herabwürdigend gewesen. Erst durch die modernen Bilderstürmer wird der heilige Mauritius, der als Mohr seit dem 4. Jahrhundert in der katholischen und orthodoxen Kirche verehrt wird, diskriminiert. Wer so etwas ohne Widerworte gewähren lässt, negiert den Wahlspruch der Aufklärung, den Immanuel Kant mit dem Satz: „Habe den Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen“ so zeitlos formuliert hat. Es ist genau der Mut, den Clausewitz als den Mut gegen die Verantwortlichkeit bezeichnet. Und deshalb hat der, der es unterlassen hat, den Mainstream kritisch zu hinterfragen, nicht verantwortungsvoll gehandelt.

Und um der Kolumne noch einen besonderen aktuellen Bezug zu geben, muss noch die Corona-Pandemie Erwähnung finden. Natürlich ist es Ausdruck von charakterlicher Stärke, wenn die Bundeskanzlerin einen Fehler eingesteht und sogar um Verzeihung bittet. Doch das darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass 17 Regierungschefinnen und Regierungschefs jeden Bezug zur Wirtschaft verloren haben. Wie kann man denn glauben, dass ein so komplexes Wirtschaftssystem, das von Bürokratie und gesetzlichen Regelungen bis zur Belastungsgrenze durchzogen ist, einfach so einen zusätzlichen „Quasi-Feiertag“ verkraften kann? Die Wirtschaft versucht jeden Tag aufs Neue, sich in diesem Regelungs- und Kontrollwust zurechtzufinden. In dieses fragile Konstrukt durch Spontanentscheidungen einzugreifen, geht einfach nicht. Und so muss ein Führungsanspruch eben auch mit Fachwissen verbunden sein. In unserer komplexen Welt können wir uns nicht damit zufriedengeben, dass Politiker den Politikbetrieb kennen und als solchen beherrschen.

Wenn in die Politik nicht endlich auch persönliche Fachkompetenz einzieht, müssen wir das Staatsversagen weiterhin mit dem Hinweis auf den Föderalismus und den erforderlichen Begrenzungen des Datenschutzes kombiniert mit populistischen Nebenkriegsschauplätzen hinnehmen. Deshalb gehört zum Führungsanspruch in unserer Branche auch, dass wir aussprechen, was immer mehr vermuten: Wir sind als Nation nicht mehr gut. Wir rutschen ab ins Mittelmaß. Wir werden schlecht regiert und verplempern gewaltige Ressourcen, um mit den immer schlechter werdenden politischen und rechtlichen Rahmenbedingungen fertig zu werden.

Seien wir mehr Führer als Manager. Geben wir unserem Land mehr zurück als Steuern. Gestalten wir unser Land für unsere Kinder und überlassen wir nicht der Straße, die Probleme der Gegenwart zu lösen.

Autor: Stefan M. Knoll, CEO der Deutschen Familienversicherung

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