Kommentar zum Fall Gamestop: Online-Börsenbroker betreiben Marktmanipulation vom Feinsten

Quelle: Mike Mozart / flickr / https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/
Privat vorsorgen: Ja. Aber doch nicht gleich reich werden. Das sollen doch lieber nur die Profis an der Börse. Diesen Anschein erwecken Online-Broker, die willkürlich den Handel von mehreren Aktien ausgesetzt haben – zum angeblichen Schutz der Privatanleger. Für die deutsche Aktienkultur, die langsam aufwachte, ist das Gift und gleichzeitig neues Futter für den Beginn einer neuen Machtverschiebung an der Börse. Ein Kommentar von David Gorr.
Im Casino ist man ein gern gesehener Gast, aber nur solange man verliert. Macht man Gewinne, wird einem Hausverbot erteilt. So ähnlich agierten am vergangenen Donnerstag mehrere Börsenbroker mit ihren Kunden. Was war geschehen? Einige Hedgefonds hatten darauf spekuliert, dass der Aktienkurs des Videospiele-Händlers Gamestop fallen würde. Anleger, die sich in sozialen Medien, überwiegend über Reddit, zusammengetan haben, wetteten dagegen und trieben den Aktienkurs in die Höhe. Seit dem Jahreswechsel hat sich der Preis um über 2.000 Prozent erhöht. Um nicht noch mehr Verluste zu machen, müssen professionelle Shortseller, darunter die Fonds Melvin Capital und Citron Research, die Gamestop-Titel zu jedem möglichen Preis zurückkaufen – was wiederum für eine Kursexplosion sorgte. Dem Datenanbieter Ortex zufolge summieren sich die Verluste der Fonds bis dato auf mehr als 70 Milliarden Dollar.
Broker-Apps wie Robinhood und Interactive Brokers hatten den Handel am vergangenen Donnerstag mit Gamestop und weiteren Titeln wie AMC, Blackberry oder Nokia eigenmächtig ausgesetzt. Genau genommen wurde nur der Kauf verboten, verkaufen konnte man die Titel weiterhin. Logischerweise konnten die Kurse nicht anders als ins Minus zu rutschen – was wiederum Shortsellern in die Hände spielt.
Im Grunde ist das nichts anderes als eine Marktmanipulation zu Gunsten bestimmter Player. In den USA muss die Börsenaufsicht eingreifen, und hierzulande die Bafin. Nur diese Behörden sind befugt Aktien vom Handel auszusetzen – und die Regeln gelten für alle Anleger.
„Ich denke, dies ist ein bahnbrechender Moment. Ich glaube nicht, dass wir zu einer Welt davor zurückkehren werden, weil diese Gemeinschaften ein Nebenprodukt des vernetzten Internets sind.“
Alexis Ohanian, Mitgründer von Reddit
Es besteht kein Zweifel, dass Absprachen eine gezielte Marktmanipulation darstellen und sowohl in den USA und Deutschland illegal und damit strafbar sind. Hierbei müssen aber die zuständigen Behörden aktiv werden und nicht Broker.
Selbst mit Wirecard kann man noch zocken
In Deutschland hat der beliebte Berliner Neo-Broker Trade-Republic die Handelsbeschränkungen mit einer „extremen Situation am Markt“ begründet. Der Aktienkurs habe mit der realwirtschaftlichen Lage der Unternehmen nichts mehr zu tun, stattdessen sei die Kursentwicklung ausschließlich von Spekulation geprägt. „Für diese Art des Anlegens stehen wir nicht“, sagte Mitbegründer Christian Hecker.
Klingt einleuchtend. Aber nach dieser Logik müsste man die Hälfte aller Aktien auf der Welt vom Handel aussetzen. Ebenso den Handel mit Derivaten und Optionsscheinen und vor allem auch Shortselling. Vieles davon kann man auf Trade-Republic machen – nach wie vor mit solch „seriösen“ Aktien wie Wirecard. Wenn das keine Zockerei ist.
„Wir haben uns nicht auf die Seite der Hedgefonds geschlagen“, führt Hecker weiter aus. Aber genau dieser Verdacht drängt sich auf. Wäre der Handel auch ausgesetzt worden, wenn keine Hedgefonds in Mitleidenschaft gezogen wären, sondern eine Gruppe sich einfach dazu entschied: „Wir kaufen aus Nostalgie Videospiele-Händler-Aktien“. Wohl kaum.
Auf der anderen Seite wird Shortselling an der Börse toleriert, auch wenn es gut wirtschaftende Unternehmen wie Varta trifft. Seit Monaten tat sich kaum was an der Aktie mit dem Verweis, dass Melvin Capital eine Shortposition am S-DAX-Unternehmen hält. Der Batteriekonzern ist Weltmarktführer bei kleinen Akkus und ein deutsches Vorzeigeunternehmen. Auch da hat sich der Hedgefonds verspekuliert und die Papiere sind zuletzt deutlich gestiegen – was viele Analysten aber als faire Bewertung bezeichnen.
„Es muss Schluss sein damit, dass Hedge-Fonds-Milliardäre den Aktienmarkt wie ihren persönlichen Spielplatz behandeln und dann mit ihrem Ball nach Hause abziehen, sobald sie verlieren.„
Ted Cruz, US-Senator der Republikanischen Partei
Diskussion um faire Bewertung führt ins Endlose, der Markt und notfalls die Politik müssen es regeln
Seit Jahren werden die Bürger hierzulande aufgefordert mehr privat vorzusorgen. Nun machen die Menschen das tatsächlich, statt über ihre Sparkasse eben über günstige Online-Broker, wo man nicht nur Aktien, sondern auch ETFs besparen kann. Manch einer wagte es vielleicht im März 2020 eine Amazon-Aktie oder Tesla-Papiere ins Portfolio zu holen. Dann hat man inzwischen sein Vermögen in kürzester Zeit, um ein Vielfaches vermehrt. Ist das Zockerei? Welche der beiden Aktien ist spekulativ? Welche fair bewertet? Online-Broker maßen sich an, das zu wissen.
Das Geschäftsmodell von Gamestop, stationärer Handel mit Videospielen, scheint gestrig zu sein und kommt – gemessen nach den üblichen Bilanzkennzahlen – natürlich nicht auf eine 30-Mrd.-Dollar-Bewertung. Tesla ist mit 500 Mrd. Dollar an der Börse mehr wehrt als 12 Autokonzerne zusammen (VW, Daimler, BMW, GM, Ford, Renault, Peugeot, Fiat, Hyundai, Honda, Nissan und Suzuki). Das scheint übertrieben zu sein und deshalb haben viele Hedgefonds in den vergangenen Monaten auf fallende Kurse beim Elektrobauer gesetzt. Vergeblich. Tesla-Papiere erklimmen jeden Monat ein neues Allzeithoch. Keiner kommt indes auf die Idee, den Handel dieser Aktien zu verbieten, nur weil ein paar Fonds in Schieflage geraten sind. Dass gerade diese Kapitalismusprediger jetzt nach mehr Regulierung schreien, spricht Bände.
Die Neo-Broker haben inzwischen den Handel der kurzzeitig gesperrten Aktien freigegeben. Aus Reputationsgründen wäre nichts anderes vorstellbar. Und ein Verbot bestimmter Aktien würde die Masse der Anleger nur auf neue Titel stürzen lassen. Das Zocken geht somit weiter. Nur scheinen die Kleinanleger in der Mehrzahl und mit mehr Kapital ausgestattet zu sein. Shortselling wird für Hedgefonds in Zukunft riskanter. Ein Rückkehr zu früheren Machtstruktur an der Börse dürfte nach diesem Fall schwer vorstellbar sein. Am Freitag verteuerten sich die Gamestop-Papiere erneut um über 20 Prozent.
Autor: VWheute-Redakteur David Gorr
Hallo, ja diese Entwiklngen sind schon extrem und zeigen mal wieder was möglich ist wenn sich nur ein paar etwas Einflusshabende für oder gegen Etwas stellen. Eine derartige Wendung ist zwar unerfreulich, bringt uns aber dafür auch ganz schnell wieder auf den Boden der Tatsachen zurück. Risiko bleibt Risiko egal wie gut es bis lang lief.
Super Artikel, wirklich sehr Lesenswert und absolut zu empfehlen.
Liebe Grüße