Thomas Bittner: „Pandemie war sozusagen ein ‚Homeoffice-Turbo'“

Quelle: Bild von Anrita1705 auf Pixabay

Corona verändert das Denken fundamental verändert. Noch Anfang des Jahres war die Einstellung zum Homeoffice bei Beschäftigten wie auch bei Vorgesetzten vielfach negativ. Im Gespräch mit VWheute hat Thomas Bittner, Geschäftsführer der Organomics GmbH, eine Bilanz gezogen.

VWheute: Eine große Mehrheit der Finanzdienstleister sieht in Homeoffice einen Erfolg. Inwieweit spielt hierbei die Corona-Pandemie eine Rolle und woher kommt der Sinneswandel in der Branche zugunsten der Heimarbeit?

Thomas Bittner: Ohne den ersten Lockdown wäre das Thema Homeoffice einfach nicht so schnell ganz oben auf der Agenda gelandet. Da war die Pandemie schon ein großer Treiber, sozusagen ein „Homeoffice-Turbo“. Und viele Führungskräfte, die dem Thema Homeoffice eher skeptisch gegenüber stehen, konnten sich auch nicht mehr dagegen wehren. Und siehe da, es funktioniert. Mehr als ein Drittel der Befragten beobachtet sogar, dass die Produktivität rauf und der Krankenstand heruntergeht.

VWheute: 60 Prozent der Befragten konstatieren aber auch Probleme mit dem Homeoffice. Wie genau sehen die Probleme konkret aus?

Thomas Bittner: Da ist zum einen die Herausforderung für die Unternehmen, nämlich Mitarbeiter und Systeme bzw. Prozesse schnell aufzurüsten, damit ein kombinierter Betrieb von Homeoffice, Direktionen / Zentrale funktioniert. Dann sind da die Mitarbeiter, die darunter leiden, jetzt nur von Zuhause aus zu arbeiten. Vor allem der Austausch mit den Kollegen fehlt. Und viele bemerken auch eine Entgrenzung von Arbeit und Freizeit.

Weniger als die Hälfte nimmt übrigens Probleme mit fehlenden Arbeitsmitteln oder der Technik wahr. Ja, und schließlich sind da noch die Führungskräfte. Einige leiden unter einem Gefühl entgleitender Kontrolle. Zwei Drittel der Experten stellen fest, dass die Führungskräfte die Probleme der Mitarbeiter im Homeoffice jetzt nicht mehr so gut erkennen können. Und ein Großteil der Führungskräfte realisiert, dass Führung auf Distanz gar nicht so einfach ist.

VWheute: Die Verschiebung der Mitarbeiter ins Homeoffice gelang nur mit großen Kraftanstrengungen seitens der Unternehmen. Worin sehen Sie die genauen Herausforderungen für die Firmen?

Thomas Bittner: Die Technik-Probleme wurden ja eigentlich schon gemeistert. Immerhin mehr als die Hälfte der Unternehmen musste in neues Equipment investieren, um Homeoffice umfänglich nutzen zu können. Ich sehe die größte Herausforderung für die Firmen beim Umgang mit und der Steuerung von Mitarbeitern. Der Mensch ist ein soziales Wesen. Hier sind dann auch wieder die Führungskräfte gefordert, einen sozialen Austausch zu ermöglichen, die Probleme einzelner Mitarbeiter zu erkennen und sie zu lösen sowie individuell zu unterstützen. Das fällt so manchem schwer.

VWheute: Die Bundesregierung will künftig einen Rechtsanspruch von 24 Tagen pro Jahr für Homeoffice durchsetzen. Wie bewerten Sie diese Pläne und inwieweit dürfte dies auch von den Finanzdienstleistern angenommen werden?

Thomas Bittner: Ich verstehe nicht ganz, warum man immer ein Gesetz braucht, damit sich Dinge verändern. Das scheint wohl in der DNA mancher Politiker zu stecken. Das Homeoffice wird von ganz alleine einen höheren Stellenwert in der Arbeitsorganisation der Versicherer einnehmen. Die meisten Mitarbeiter haben die Vorteile des Homeoffice längst erkannt. Sicherlich gibt es Unterschiede in den Funktionsbereichen. Die von uns befragten Experten sehen das Potenzial zur Intensivierung des Homeoffice vor allem im Bereich IT, aber auch bei Schaden / Leistung oder Betrieb. Vertrieb und Top-Management werden im Vergleich dazu als weniger geeignet angesehen. Die Versicherer werden es schon so einrichten wie es für die jeweilige Gesellschaft passt. Und das wird im Schnitt bei mehr als 24 Tagen Homeoffice pro Jahr sein.

VWheute: Kurzer Ausblick in die Zukunft: Welche langfristigen Auswirkungen sehen Sie für die Zeit nach Corona? Wird Homeoffice langfristig eine Perspektive haben?

Thomas Bittner: Ein „Zurück auf Los“ wird es nicht geben. Nur ganz wenige Führungskräfte wünschen sich die alte Arbeitsorganisation zurück. Mehr als zwei Drittel der Experten sagt, dass Homeoffice die Arbeitsform der Zukunft ist. Die überwiegende Zahl der Mitarbeiter will mehr Homeoffice, Unternehmen haben sich jetzt mit dem kombinierten Betrieb eingerichtet und sehen Einsparmöglichkeiten bei Büromieten und Dienstreisen. Und die Führungskräfte werden sich auch daran gewöhnen. Früher oder später werden sie das „magische Quadrat“ der Führung auf Distanz beherrschen. Das bedeutet, die vier Eckpfeiler Vorbildhandeln, Orientierung geben, Empathie und Vertrauen wirksam umzusetzen. Dann wird sich das Potenzial des Homeoffice auch betriebswirtschaftlich voll entfalten können.

Die Fragen stellte VWheute-Redakteur Tobias Daniel.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.

5 + 17 =