Das Brexit-Zittern und die Folgen für Versicherer

Quelle: 8385 / Pixabay

Weil immer noch keine Einigung in Sicht ist, haben die EU und Großbritannien eine weitere Verlängerung ihrer Brexit-Gespräche vereinbart. Der britische Premierminister Boris Johnson hält ein Scheitern jedoch für die wahrscheinlichste Option. Was ändert sich für Versicherer und die Verträge? Ein Gastbeitrag von Alexander Skorna von der Funk Gruppe.

Der Ausstieg aus der EU ist beschlossene Sache, die eingeräumte Übergangszeit endet voraussichtlich am 31. Dezember 2020. Die britische Regierung hat die Option der Verlängerung der Übergangszeit im Sommer verpasst. Um den Status quo weiter aufrechtzuerhalten, fehlt somit die gesetzliche Grundlage. Bis Jahresende ist allerdings eine Einigung mit einem Minimalkonsens noch möglich. Wie jedes mögliche Abkommen, muss dies durch die Parlamente Großbritanniens und der EU ratifiziert werden. Eine Einigung erst im Dezember setzt den parlamentarischen Prozess – auch angesichts der Corona-Problematik – unter besonderen Druck. Sollte es zu keiner Einigung kommen, dann spricht man von ,No-Deal‘ oder ,Hard Brexit‘. Dann gelten ab 1. Januar 2021 Zölle nach den Regeln der Welthandelsorganisation. Alle Gütertransfers unterliegen dann zudem einer Zollanmeldung beziehungsweise -abfertigung.

Innerhalb der EU gilt neben dem freien Güterhandel auch die Dienstleistungsfreiheit („Freedom-of-Services“, kurz: FoS). Ein mögliches Handelsabkommen wird wahrscheinlich nicht den Finanz- und Versicherungssektor einschließen. Die Konsequenzen sind der Verlust des sogenannten „Passportings“ bzw. der FoS-Regelungen für britische und EU-Versicherer, die nach dem Austritt auch die deutschen Versicherungspolicen betreffen. Im Zuge sogenannter „Europa-Policen“ konnten deutsche Unternehmen Risiken in Großbritannien über den deutschen Versicherungsvertrag vergleichsweise einfach mitversichern. Der Vorteil dieses europaweit einheitlichen Versicherungsschutzes war unter anderem auch der Verzicht auf lokale Policen beziehungsweise Verträge.

Gründung von Zweigniederlassungen als übliche Lösung

Mit Verwirklichung des Brexits können deutsche wie britische Versicherer keine Risiken mehr in Großbritannien beziehungsweise der EU zeichnen. Damit britische Versicherer innerhalb der EU weiterhin ihre Geschäftstätigkeit aufrechterhalten können, haben diese in den vergangenen Jahren Zweigniederlassungen im EU-Raum gegründet, deren Verträge und Geschäftstätigkeit weiterhin durch die Europäische Finanz- und Versicherungsaufsicht EBA/Eiopa reguliert sind. So transferiert beispielsweise der britische Versicherungsmarktplatz Lloyds of London sämtliche Versicherungsverträge mit Versicherungsnehmern aus EU-Ländern an die Zweigniederlassung Lloyds Brüssel. Parallel stärkten oder gründeten auch deutsche Versicherungskonzerne ihre Präsenz in Großbritannien, um weiterhin lokales britisches Geschäft tätigen zu können. Dadurch können etablierte britische Versicherer weiterhin innerhalb der EU zur Risikoplatzierung genutzt werden. Eine Verknappung von Versicherungskapazitäten ist durch den Brexit nicht zu erwarten.

Deutsche Versicherer benötigen eine Zulassung

Gültige deutsche Versicherungsverträge zur Absicherung britischer Risiken mit Laufzeiten über den 1. Januar 2021 hinaus, sind vom Hard-Brexit zunächst nicht betroffen (Grundlage § 66a VAG). Für einen Zeitraum von maximal 21 Monaten ab dem ungeregelten Austritt, ist die Bafin als zuständige Aufsicht deutscher Versicherer ermächtigt, einen Zeitraum für die Abwicklung der bis zum Austritt abgeschlossenen Versicherungsverträge zugunsten der Versicherungsnehmer und Begünstigten von Versicherungsleistungen festzulegen. Deutsche Versicherer sollten sich über das „Temporary Permissions Regime“ (TPR) in Großbritannien registrieren, um weiterhin die Geschäftstätigkeit über den 1. Januar 2021 hinaus sicherzustellen. Versicherungsmakler sind in dieser Hinsicht Versicherern gleichgestellt und benötigen ebenfalls eine Zulassung in Großbritannien über das TPR, um weiterhin über das Jahr 2020 hinaus Verträge in Großbritannien betreuen zu können, insbesondere auch im Schadenfall.

Anpassung der Versicherungsverträge

Der Anpassungsdruck für deutsche Versicherungsnehmer mit Risiken in Großbritannien ist zunächst aufgrund der komfortablen Übergangsregelungen der Versicherungsverträge gering. Grundsätzlich existieren zwei Modelle zur Absicherung von Risiken in Großbritannien:

  • Modell 1: Überführung der Risiken in Großbritannien in lokale Verträge. Dies kann für bestehende Deckungen auch nach dem Brexit im oben genannten Bafin-regulierten Übergangszeitraum geschehen.
  • Modell 2: Absicherung von Risiken in Großbritannien über die Versicherung des finanziellen Interesses (Financial Interest-Clause bzw. „FinC“). Diese Form ist über die sogenannte „Brexit-Klausel“ bereits in einigen relevanten Verträgen umgesetzt worden und erweitert den Versicherungsschutz gegen finanzielle Verluste durch Wertminderungen von Beteiligungen des deutschen Mutterkonzerns an Risiken bzw. Unternehmen in Großbritannien. Voraussetzung ist, dass solche Schäden über den Vertrag mitversichert sind.

Der internationale Versicherungsmakler Funk empfiehlt für Neuverträge ab 2021 zur Absicherung britischer Risiken grundsätzlich den Weg über lokale Policen in Großbritannien. Die mögliche Umwandlung von laufenden FoS-Verträgen in FinC-Verträge belastet die Unternehmen mit der deutschen Versicherungssteuer-Pflicht, die in der Gesamtbetrachtung und Abrechnung berücksichtigt werden muss. Für Projektdeckungen mit mehrjährigen, klar abgeschlossenen Laufzeiten, kann eine FinC-Lösung dennoch Vorteile bieten, eine lokale Police ist nicht immer erforderlich. Lokale Ansprüche, zum Beispiel infolge eines Haftpflicht-Schadens, sind allerdings vor dem Hintergrund des in Großbritannien vor Ort gültigen Haftungsregimes passender über entsprechende lokale Verträge abzusichern.

Letztlich gilt es im Zuge des Brexits die Limits für sogenannte Rückwirkungsrisiken in der Sach-Versicherung zu prüfen, die die Auswirkungen von Sachschäden bei Zulieferern und Abnehmern deckt. Mit rechtlicher Realisierung des Brexits reduziert sich das Limit in der Regel deutlich für unbenannte Zulieferer beziehungsweise Abnehmer.

Autor: Alexander Skorna, Head of Business Development bei der Funk Gruppe

Ein Kommentar

  • Guten Tag Herr Skoma
    Danke für das „comprehensive summary“ .
    Ihr Aufsatz enthält aber in meinen Augen einen grundsätzlichen Fehler: Sie sprechen von Zweigniederlassungen, die britische VR in der EU Gründen mussten.
    Richtig aber ist, dass jeweils eigene Tochtergesellschaften unter jeweiliger EU Aufsicht mit jeweils eigenen Risiko-Kapital zu gründen waren.
    Profitiert vom durch den BREXIt erzwungenen Umzug in ein Kand der EU haben im Versicherungssektor überwiegend Belgien, Luxemburg und partiell auch Irland. Weil die dortigen Aufsichten den UK-Muttergesellschaften zB durch die Akzeptanz von Outsourcing Services nach London entgegengekommen sind. Anders als im Bankensektor haben soweit ich weiß, nur einige wenige VR ihren EU-Sitz nach D verlagert zB Markel..
    ich frage mich nach wie vor, woher Luxemburg und Brüssel das Fachpersonal zur effektiven Steuerung eines EU-weit tätigen VR nehmen. Wenn nich durch back-sourcing nach London. Und genau dies ist in meinen Augen nicht in Ordnung!

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