Riskante Geschäfte: Welche Folgen hat die Pandemie für die Versicherer?

Quelle: Bild von Lorenzo Cafaro auf Pixabay

Mit Corona prallt bereits die dritte überregionale bzw. globale Krise seit der Jahrtausendwende auf die Weltwirtschaft, nachdem zuvor die Terroranschläge vom September 2001 und die Finanzkrise 2008 zu schweren Verwerfungen geführt hatten. Bei Covid-19 gibt es jedoch einen Unterschied: die nachhaltigen Auswirkungen auf das Wachstum. Für Erst- und Rückversicherer eine gefährliche Situation. Ein Gastbeitrag von Betrand Wollner.

Die Covid-19-Pandemie trifft die globale Weltwirtschaft zu einem empfindlichen Zeitpunkt. Die Krise löst einen nie da gewesenen steilen Abschwung der Wirtschaft aus, fordert die Gesundheitssysteme und wird langfristig zu erheblichen Unsicherheiten an den Kapitalmärkten führen. Im Abstand von nur knapp zehn Jahren trifft die Weltwirtschaft nun bereits die dritte überregionale bzw. globale Krise seit der Jahrtausendwende, nachdem zuvor bereits die Terroranschläge vom September 2001 und die Finanzkrise 2008 zu schweren Verwerfungen geführt hatten.

Covid-19 unterscheidet sich jedoch von den vorangegangenen durch ihre nachhaltigen Auswirkungen auf das Wachstum. Ging der IMF im Januar 2020 noch von einem globalen Wirtschaftswachstum von 1,9 Prozent für 2020 aus, erwartet er für das Gesamtjahr nun einen Konjunkturrückgang von minus 4.9 Prozent, der vor allem für die entwickelten Märkte drastisch ausfallen dürfte. Zentralbanken und Politik bekämpften die Folgen dieser Ereignisse für Wirtschaft und Gesellschaft jedes Mal mit einer Lockerung ihrer Finanz- und Geldmarktpolitik.

Auch in der jetzigen Pandemie wird erneut den Märkten versprochen, alles Erforderliche („Whatever it takes“) zu tun, um den Schock eines plötzlichen Wirtschaftsabschwungs abzufedern. So haben allein die USA rund 2.800 Mrd. US-Dollar an Finanzhilfe zugesagt, die EU wird ihren Mitgliedsländern einen Aufbaufond über 750 Mrd. Euro und ein Sieben-Jahres-Budget von 1.074 Mrd. Euro bereitstellen, während Frankreich und Deutschland ihre Märkte mit 500 Mrd. Euro bzw. 1.000 Milliarden Euro an Subventionen, Krediten oder Steuererleichterungen unterstützen werden.

Hinzu kommen noch die Maßnahmen der Zentralbanken. Zwar gibt es einen breiten Konsens, dass diese Schritte erforderlich sind, um eine noch schmerzlichere Rezession zu vermeiden. Jedoch hat in den vergangenen zehn Jahren die weltweite Verschuldung der entwickelten Märkte von 70 Prozent gemessen am jährlichen Bruttosozialprodukt (BSP) auf mehr als 105 Prozent zugenommen. Der International Monetary Fund (IMF) nimmt an, dass sich diese Quote durch die jetzt getätigten Maßnahmen zu Stützung der Wirtschaft für die entwickelten Märkte auf gut 122 Prozent bis Ende 2020 erhöhen wird.

„Die Folgen von Covid-19 für die Versicherungsmärkte bleiben derzeit noch überschaubar. Idealerweise weist ein gut-diversifiziertes Versicherungsgeschäft eine geringe Korrelation zu den diversen Anlageklassen auf.“

Betrand Wollner, Chief Executive Officer Signal Iduna Re

Versicherungswirtschaft zeigte sich für die Verwerfungen im ersten Halbjahr gut gerüstet

Nach dem Lockdown könnte es zumindest in den entwickelten Märkten zu einer Deflation bzw. japanischen Verhältnissen kommen. In bestimmten Bereichen der Wirtschaft, wie in der Luftfahrt, dem Tourismus oder in der Unterhaltungsindustrie müssen massive Überkapazitäten abgebaut werden.

Unternehmen werden ihr Marketing auf die neue Realität hin ausrichten, ihre Online-Angebote ausbauen und vermehrt in die Digitalisierung ihrer Prozesse sowie in die Cybersicherheit investieren. Verunsichert durch die hohen Umsatzeinbußen, die zunehmenden Insolvenzen und steigende Arbeitslosigkeit, die in der Eurozone im Durchschnitt auf knapp zehn Prozent ansteigen dürfte, werden die Privathaushalte ihren Konsum reduzieren und vermehrt sparen.

Wenn die Politik jedoch die Krise mit zusätzlichen Verbindlichkeiten bekämpft, wird dies lediglich zu einer weiteren Abflachung des Wachstums führen. SI Re erwartet zunächst eine kurzfristige Erholung im Euroraum für 2020 bzw. Anfang. Danach gehen wir jedoch von einer Stagnation bzw. einem leichten Rückgang der Konjunktur aus, sodass wir in Übereinstimmung mit der Weltbank der Ansicht sind, dass der Vorkrisenstand bis Ende 2021 nicht mehr erreicht wird.

„Für die Rückversicherungsindustrie geht Fitch von einem Anstieg der Schadenkostenquote von 101,1 Prozent auf 103,5 Prozent im Jahr 2020 aus.“

Betrand Wollner, Chief Executive Officer Signal Iduna Re

Die Folgen von Covid-19 für die Versicherungsmärkte bleiben derzeit noch überschaubar. Idealerweise weist ein gut-diversifiziertes Versicherungsgeschäft eine geringe Korrelation zu den diversen Anlageklassen auf. Dies ist ein wichtiger Grund für die Sicherheit, die Versicherungspolicen bieten. Entsprechend fanden die Turbulenzen, die die Versicherungsindustrie im 1. Quartal 2020 zu verkraften hatte, zunächst auf der Kapitalanlageseite statt. Ab Ende Januar brachen die Aktienfonds um ca. 30 Prozent auf breiter Front ein. Bei den Obligationen schlugen die negativen Wertveränderungen, insbesondere bei einzelnen coronasensitiven Anleihen zu Buche. Stille Reserven, die sich im Vorjahr gebildet hatten, wurden ausradiert und verkehrten sich in unrealisierte
Verluste. Insgesamt entstanden Wertverluste von 30 Prozent der Kapitalanlagen.

Höhere Schaden-Kostenquote für Rückversicherer

Für die Rückversicherungsindustrie geht Fitch von einem Anstieg der Schadenkostenquote von 101,1 Prozent auf 103,5 Prozent im Jahr 2020 aus. Damit dürften die Nicht-Leben-Rückversicherer im vierten Jahr in Folge einen technischen Verlust verbuchen. Ähnlich sieht es Willis Re, der von einem vorsteuerlichen Schaden von rund 30 Mrd. Dollar für die globale Kapitalbasis der Rückversicherer ausgeht. Während sich das Eigenkapital der Rückversicherer also um rund fünf Prozent verringert, fällt die Eigenkapitalrendite von 9,6 Prozent im Jahr 2019 auf gerade mal 0,6 Prozent für 2020.

Die Unsicherheiten bezüglich der durch die Pandemie verursachten versicherten Schäden sind groß. Bisher haben Versicherer erst Schäden in der Größenordnung von 20,5 Mrd. Dollar gemeldet. Im „Top-down“-Verfahren basierend auf den Exponierungen der Industrie geht Willis Re je nach Szenario von Schäden in der Größenordnung von 30 bis 80 Mrd. Dollar aus. Aus einer Versicherungsoptik lassen sich die versicherten Schäden in ihrem Umfang mit Naturkatastrophenereignissen vergleichen, die im zehnjährigen Durchschnitt für die Jahre 2009 bis 2019 bei jährlich 67 Mrd. Dollar lagen.

In Europa sind im Nichtleben-Bereich vor allem Policen, welche die Stornierung von Kultur- und Sportveranstaltungen decken, betroffen. Zu Betriebsunterbrechungen kam es auch im Rahmen der Feuer-Versicherungen, da einige Versicherer Epidemie-Deckungen für infektionsbedingte Betriebsschließungen gewähren. In der Mehrheit der Fälle war die Abgrenzung zwischen Epidemie und Pandemie nicht klar definiert. So bezahlt heute die Industrie die Zeche.

Hier besteht bei der Definition des Vertragswortlauts Handlungsbedarf. Darüber hinaus sind in Europa wie auch im globalen Kontext Reise- und Rechtsschutzversicherungen, Export- und Kreditversicherungen sowie Betriebshaftpflichtversicherungen betroffen. Wie schon in der Finanzkrise gibt es Anzeichen, dass es zudem auch durch Covid-19 zu Ausfällen im „Mortgage-Indemnity“-Geschäft, welches das Ausfallrisiko bei Immobilienkrediten versichert, kommen wird.

Als insbesondere in den USA aufgrund der durch den Lockdown bedingten, steigenden Arbeitslosigkeit private Haushalte ihre Kredite nicht mehr bedienen konnten, verzeichneten diese Versicherer steigende Schäden. Da sie ihr Risiko meistens über Excess-of-loss-Policen an den alternativen Kapitalmarkt beziehungsweise an Rückversicherer zedieren, sind auch hier Folgeschäden zu erwarten.

Öffentlich-private Partnerschaften könnten Abhilfe schaffen

Angesichts des Ausmaßes und der systemischen Natur des Pandemierisikos braucht es zusätzliche Maßnahmen, um dieses Risiko zu decken. Der Versicherungsmarkt alleine hat nicht die ausreichende Kapazität, um das Risiko einer durch eine Pandemie ausgelösten Kumulation von Versicherungsschäden, einem Kapitalmarkteinbruch und einer Rezession zu tragen. Außerdem wären die Prämienkosten für Versicherte aufgrund der begrenzten Diversifikationsmöglichkeiten enorm hoch. Eine öffentlich-private Partnerschaft jedoch könnte die Versicherbarkeit verbessern und das Risiko abfedern.

Eine Lösung könnte die Bildung von Risiko-Pools sein, wie man sie schon aus der Deckung von Terrorismus oder Naturkatastrophenrisiken kennt. Hier schließen sich Versicherer zusammen und decken das Risiko bis zu einer bestimmten Höhe. Wenn jedoch die Schäden eine vorher definierte Schwelle übersteigen, beteiligt sich oder übernimmt der Staat die Haftung. Als Beispiele mögen hier die deutsche Extremus-Versicherung oder die englische Pool Re dienen, die beide Terrorismusrisiken decken.

Autor: Betrand Wollner, Chief Executive Officer Signal Iduna Re

Den vollständigen Beitrag lesen Sie in der November-Ausgabe der Versicherungswirtschaft.

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