Monte Carlo: Rückversicherer freuen sich auf Preiserhöhungen und bangen um teure Schäden

Die Gewinnzone ist weit hinter dem Horizont von Monte Carlo, denn die Rückversicherer machten im ersten Halbjahr hohe Verluste. (Bildquelle: Luka Nguyen auf Pixabay)
Die größten Business-Messen der Branche finden virtuell statt. So auch das Reinsurance-Treffen in Monte Carlo ab dem heutigen Montag. Sehr zum Leidwesen der Rückversicherer sind die Schäden indes echt: Corona, Beirut-Explosion oder die Hurrikan-Saison. Jedoch hat nur Covid-19 für die Assekuranz auch positive Aspekte.
Die Rückversicherungsbranche sieht sich 2020 gleich in vierfacher Weise gebeutelt:
- Corona könnte weltweit versicherte Schäden von über 100 Mrd. Dollar zur Folge haben, insbesondere in den Bereichen Ereignisausfall und Seuchen-BU. Wenig hilfreich ist, dass nationale Regulierungsbehörden offen zugunsten der Versicherungsnehmer Partei ergreifen (die britische Financial Conduct Authority betreibt derzeit vor dem Londoner High Court Musterverahren gegen mehrere Versicherer mit dem Ziel den eigentlichen Deckungsumfang von BU-Policen qua Richterspruch ausweiten zu lassen) und lokale Gesetzgeber in einzelnen US Bundesstaaten versuchen per Gesetzesänderung den Deckungsumfang rückwirkend zu erweitern, was einer Enteignung gleichkäme, der hoffentlich die Gerichte einen Riegel vorschöben. Zu den Unklarheiten auf der Erstversicherungsebene gesellen sich weitere auf der Ebene der Rückversicherer: wie lassen sich etwa die mittleren Schäden von hunderten von Gastwirten zu einem einzigen Ereignis im Sinne der Zedenten-Schutzdeckung aggregieren? Es dürfte wohl Jahre dauern bis die gegenwärtigen Reservierungs-Ungewissheiten beseitigt sein werden. Problematisch ist dies insbesondere für Lloyd’s Syndikate, die normalerweise einzelne Zeichnungsjahre nach 36 Monaten der noch zu zahlenden Schäden auf das nächste offene Jahr überwälzen. Sollten auch Risiko-Verbriefungen COVID-betroffen sein, so dürften die diesen zugrundeliegenden Garantiemittel für Jahre eingefroren bleiben und nicht für neue Risikoübernahmen zur Verfügung stehen.
- Die Hafenexplosion in Beirut dürfte wirtschaftliche Schäden von ca. drei Mrd. Dollar angerichtet haben. Ob diese unter den Deckungsumfang einzelner Policen passen, hängt unter anderem davon ab, ob die Explosion der gelagerten Dünger einem terroristischen Ereignis oder einem Raketenangriff zuzuschreiben war. In diesem Fall gälte im Non-Marine-Bereich der Kriegsausschluss. Manche libanesische Erstversicherer werden den Dialog über die diesbezügliche Rückversicherungsdeckung wohl durch ihren gerichtlich bestellen Liquidator führen müssen – sie haben für das von ihnen unerwartete Kumulereignis bei weitem zu wenig Schutz eingekauft.
- Die US-Hurrikan-Saison 2020 könnte besonders teuer werden, zumal dieses Jahr El Nino (d.h. die Abkühlung der Karibik Oberflächentemperaturen) nicht mäßigend wirkt. Um ein Haar hätte Hurrikan „Laura“ große Schäden im Offshore-Bereich vor der Küste Louisianas angerichtet. CoreLogic beziffert die versicherten Schäden auf zwölf Mrd. Dollar.
- Zu allem Überfluss trifft der außergewöhnliche Schadenaufwand eine Branche, die ohnehin bereits unter mehrjähriger Untertarifierung ausgequetschten, d.h. nicht mehr ganz adäquat dotierten Schadenrückstellungen und nachhaltigen Niedrigzinsen auf die Kapitalanlagen leidet.
Preiserhöhungen und positive Nebeneffekte durch Corona erwartet
Covid-19 hat für die Assekuranz auch positive Aspekte: Die 2020er Motor-Schadenquote dürfte weltweit um vielleicht zehn Prozent niedriger ausfallen als üblich, wobei freilich in vielen Territorien die Aufsichtsbehörden auf außerordentliche Beitragsrückvergütungen pochen. Auch im Aviation-Bereich dürfte es angesichts einer auf 20 Prozent der üblichen geschrumpften Zahl der Flugzeugbewegungen kaum Schadenexponierungen gegeben haben. Andererseits aber werden insolvente Fluggesellschaften nur noch wesentlich geringere Prämien zahlen.
Insgesamt erscheint der Rückversicherungsmarkt nun für ein massives Re-Pricing reif zu sein. Es dürfte mit Preisanhebungen von zehn bis 20 Prozent anlässlich der Erneuerungsrundezum 1. Juli 2020 bereits begonnen haben.
Zeit zum Umdenken
Aus dem COVID Debakel sollte die Branche gleichzeitig die Lehre ziehen, dass man nicht in allzu naiver Weise Deckungen für potentielle Kumulereignisse geben und, wenn man überhaupt sich auf derartiges Terrain begibt, die diesbezüglichen Klauseln so formuliert sein sollten, dass sie Gerichten keine Angriffspunkte für eine über-grosszügige Interpretation gewähren. Dies könnte etwa auch eine Warnung sein, die bislang allzu naiv und ohne klare Vorstellungen vom Kumulpotential übernommenen Cyber-Deckungen noch einmal zu überdenken. Im Bereich D&O setzt derzeit ohnehin angesichts einer Flut von Schäden ein Umdenken ein.
Umgekehrt ist bislang noch nichts von einer opportunistischen Gründungswelle neuer Rückversicherer zu hören, einer „Class of 2020“. Jedoch brauchen institutionelle Investoren, die gerne einige Jahre am kommenden Hochpreismarkt partizipierten, hierfür mittlerweile kein eigenes mit einer Milliarde Dollar an Kapital ausgestattetes und geratetes Vehikel mehr, es reicht, wenn sie sich via Risikoverbriefungen oder side cars hinter einen angestammten Rückversicherer klemmen, dessen Geschäftsmodell mittlerweile immer mehr dem eines Maklers gleicht.
Vermutlich werden die dank Hochpreisphase 2020-2023 sprudelnden Gewinne erst einmal von den schwammartig funktionierenden und derzeit eher unterdotierten technischen Rückstellungen aufgesogen werden. 2022 aber könnte die Branche erneut eine mehr als anständige Eigenkapitalverzinsung feiern.
Autor: Philipp Thomas