Gräfer: „Pandemien sind leider so wenig vorhersehbar wie andere flächendeckende Katastrophen“
Die Bayerische sieht sich trotz Corona weiter auf Kurs. So werde der Versicherer die „ambitionierten Wachstumsziele sowohl in der Lebens- als auch in der Schaden/Unfall – Versicherung trotz der Krise erreichen“, prognostiziert Vorstand Martin Gräfer. Warum „Homeoffice eine echt gute Idee“ sei und Pandemien am besten durch eine staatlich-private Versicherungslösung versicherbar sind, erläutert er im Sommerinterview mit VWheute.
VWheute: Die vergangenen Monate wurden vor allem durch die Corona-Pandemie und deren Folgen für die Versicherungsbranche geprägt. Wie haben sich die Folgen bislang bei der Bayerischen bemerkbar gemacht?
Martin Gräfer: Auch uns beschäftigt diese Herausforderung sehr. In einem ersten Schritt haben wir sichergestellt, dass unser Betrieb weiterhin funktioniert. Mehr als 90 Prozent unserer Mitarbeitenden haben in den ersten Monaten von zu Hause gearbeitet. Das hat viel besser funktioniert als erwartet und die Idee des Homeoffice entwickelt sich zu einer bleibenden Lösung.
Gleichzeitig haben wir unseren Kunden, die teilweise auch durch Kurzarbeit oder nicht selten durch völligen Ausfall ihrer unternehmerischen Tätigkeit wirtschaftlich getroffen waren, weitreichende Maßnahmen und Ansätze angeboten, die es ermöglichen sollen, den wertvollen und wichtigen Versicherungsschutz zu erhalten und dennoch finanziell Einsparungen vornehmen zu können. Gleiches haben wir auch unseren Vertriebspartnern angeboten. Uns war wichtig schnell und wirksam zu handeln.
Die im ersten Halbjahr erzielten Ergebnisse zeigen, dass wir damit richtig lagen. Die Pandemie und noch mehr die wirtschaftlichen Folgen zu beherrschen ist uns bisher sehr gut gelungen. Dabei steigen unsere Beitragseinnahmen sowie unser Neugeschäft auch im Vergleich zum Rekordjahr 2019 weiter. Wir werden alles daran setzen auch in den nächsten Monaten für unsere Kunden und Vertriebspartner beste Lösungen zu bieten und sind sehr glücklich über eine sehr motivierte und flexible Belegschaft.
VWheute: Marktbeobachter sprechen von einem neuen Digitalisierungsschub für den Versicherungsvertrieb: Wie sind Ihre Einschätzungen dazu?
Martin Gräfer: Das sehe ich auch so. Wir befinden uns in einem tief greifenden Umbruch – es bleibt nichts wie es war. Auch wir haben unsere Digitalisierungsprojekte nochmals beschleunigt. Innerhalb von drei Monaten haben sich rund 50.000 unserer Kunden bei unserem neuen digitalen Vertragsmanager registriert und mehr als 15.000 Geschäftsvorfälle darüber einfach, selbst und direkt abgewickelt.
Wir setzen bei aller Digitalisierung weiter auf die persönliche Beratung und ich bin begeistert wie viele unserer Partner neue Instrumente zur persönlichen, aber dennoch virtuellen, Beratung angenommen haben. Für unsere Kunden war das im Übrigen noch weniger ein Problem. Viele empfinden diese Form der Beratung als angenehm, flexibel und wertvoll. Gerade in diesen Zeiten kommt es aber auch auf Achtsamkeit und auf Herzlichkeit an und das lässt sich nicht einfach digitalisieren. Das ist auch für mich selbst eine wichtige Erfahrung, aus der ich lernen möchte.
Wir haben glücklicherweise bereits lange vor Corona unsere Hausaufgaben in diesem Bereich gemacht und viel in das Thema Digitalisierung investiert. Um eine ebenso individuelle wie umfängliche digitale Beratung zu ermöglichen, bieten wir unserem Vertrieb und unseren Kunden schon heute verschiedene Lösungen. Die im Jahr 2013 von der iS2 AG gemeinsam mit uns entwickelte digitale Unterschrift InSign ermöglicht einen komplett digitalen Vertragsabschluss für Versicherungen, inklusive Unterschrift ganz einfach per App. Weitere Beispiele sind unser neuer digitaler Kundenmanager oder die zusammen mit dem Start-up flexperto entwickelten Lösungen zur Online Beratung.
Darüber hinaus bieten wir auch heute schon eine Vielzahl von Endkundenrechnern, die Berater auf ihren eigenen Webseiten implementieren können. Zudem können sie ihren Kunden im Beratungsgespräch auf diesem Weg mit wenigen Klicks spielerisch eine vorhandene Absicherungslücke veranschaulichen. Ein Beispiel dafür ist unsere plusrente. Hier verbinden wir digitale Services rund um online – Bestellungen mit Vorsorge und persönlicher Beratung.
VWheute: Viele Versicherungsunternehmen haben ihren Geschäftsbetrieb kurzfristig ins Homeoffice verlegt: Welche mittel- und langfristigen Folgen sehen Sie für agile Arbeitsmodelle?
Martin Gräfer: Homeoffice ist eine echt gute Idee – vorausgesetzt die Arbeitnehmer möchten es auch. Natürlich muss die Infrastruktur vorhanden sein, einschließlich guter Lautsprecher, Headset und einer Webkamera. Außerdem bedarf es der richtigen Technologie, um sich von zu Hause aus auf den Firmenrechner einzuwählen. Hier haben wir bereits weit vor der Krise alle nötigen Vorkehrungen getroffen, um einen reibungslosen Geschäftsablauf zu gewährleisten. Agiles Arbeiten und Homeoffice erscheinen im ersten Moment widersprüchlich, da es hier um Teamarbeit, Face-to-Face-Kommunikation und schnelles Feedback geht.
Meiner Meinung nach sind gute Absprachen im Team, ein guter Informationsfluss untereinander und Tools wie das Kanban Board oder Trello das A und O, um weiterhin die Agilität aufrechterhalten zu können. Es ist wichtig, den sozialen Kontakt zu den Kollegen nicht zu verlieren. Dabei helfen Videokonferenzen oder auch mal ein virtueller Kaffee. Aber noch wichtiger ist, dass wir als Unternehmen individuell auf die Bedürfnisse unserer Mitarbeitenden eingehen. In München haben viele gerade der jüngeren Kolleginnen und Kollegen aufgrund der Mietpreise eher kleinere Wohnungen.
Und dann funktioniert Homeoffice einfach nicht immer. Daher streben wir eine gute Kombination und sehr individuelle Lösungen an. Das wichtigste ist, dass sich unsere Mitarbeitenden wohlfühlen und dass wir unseren Service weiterhin in der Qualität anbieten können, die unsere Kunden und Partner von uns gewohnt sind. Eine Herausforderung, die wir aktuell mit unseren Betriebsräten sehr kooperativ durchdenken. Es besteht viel Bereitschaft alles Bisherige infrage zu stellen und offen zu sein für neue Lösungen.
VWheute: Die Debatte um die Betriebsschließungsversicherungen hat in den vergangenen Monaten ebenfalls die Schlagzeilen dominiert: Verschiedene Versicherer haben bereits eine staatlich-private Versicherungslösung vorgeschlagen. Wie ist Ihre Einschätzung dazu?
Martin Gräfer: Das ist auch nach meiner Einschätzung die wohl einzige Möglichkeit ein Risiko wie dieses tragen zu können. Pandemien sind leider so wenig vorhersehbar wie andere flächendeckende Katastrophen. Der Grund ist banal: Eine Pandemie wie diese trifft sofort und nahezu ausnahmslos ganze Nationen zeitgleich. Die Grundlage der Versicherungsidee ist aber der Risikoausgleich im Kollektiv – und wenn ein Ereignis das Kollektiv zu eigentlich 100 Prozent trifft, dann kann die kalkulierte Prämie nicht mehr reichen. Selbst der Ausgleich über Rückversicherer, die wiederum weltweit tätig sind, reicht nicht mehr aus. Denn diese Pandemie trifft die ganze Welt. Daher geht das nur dann, wenn Staat und private Versicherungswirtschaft gemeinsam handeln.
VWheute: Werfen wir einen kurzen Blick auf das zweite Halbjahr 2020: Wie sind Ihre Erwartungen für das laufende Geschäftsjahr und wo liegen aktuell Ihre Unternehmens- und Vertriebsziele?
Martin Gräfer: Unser Geschäft hat sich insgesamt deutlich positiv entwickelt. Das heißt unsere ambitionierten Wachstumsziele sowohl in der Lebens- als auch in der Schaden/Unfall – Versicherung werden wir trotz der Krise erreichen. Die Bayerische wächst weiter und gerade bei den laufenden Beiträgen werden wir das Rekordniveau von 2019 in 2020 übertreffen. Aber wir müssen noch besser werden um das Niveau auch wirklich halten zu können.
Die Fragen stellte VWheute-Redakteur Tobias Daniel.