Coface-Chefvolkswirtin von Berg: „Deutschland ist zwar kurzfristig stark getroffen, wir erwarten aber eine rasche Erholung“

Christiane von Berg, Chefvolkswirtin von Coface Nordeuropa und Belgien. Quelle: Coface

Die Corona-Pandemie gilt als größte Krise seit dem Zweiten Weltkrieg – mit entsprechenden Folgen für die jeweiligen Volkswirtschaften. In einer aktuellen Bewertung des Kreditversicherers Coface wurden 71 Länder sowie 134 Branchen deutlich herabgestuft. Im Exklusiv-Interview mit VWheute gibt Christiane von Berg, Chefvolkswirtin von Coface Deutschland, eine Einschätzung.

VWheute: In Ihrer aktuellen Risikobewertung bekommt Deutschland mit A3 die bislang niedrigste Bewertung überhaupt. Welche Kriterien waren für die Bewertung maßgebend? Und wie schneidet die Bundesrepublik im internationalen Vergleich ab?

Christiane von Berg: Unser Risikomodell berücksichtigt mehrere Punkte. Im Falle Deutschlands war natürlich der Einfluss der Maßnahmen rund um den Ausbruch von Covid-19 im In- und Ausland entscheidend. Wir erwarten in Deutschland einen BIP-Rückgang von 7,2 Prozent in 2020 zum Vorjahr. Ähnlich schwache Konjunkturzahlen schreiben auch unsere Hauptexportpartner. Die Verschuldung der Unternehmen legt deutlich zu und langsam stapeln sich auch die Meldungen zu Zahlungsverzögerung in unserem Risk-Managment.

Ein weiterer Punkt der jedoch zusätzlich mit hinzukommt, ist unabhängig von der aktuellen Covid-19-Pandemie das erhöhte Risiko im Zuge des Klimawandels. Seit diesem Sommer berücksichtigen wir in unserem Risikomodell die Risiken rund um Umweltfaktoren. In Anbetracht der letzten beiden Hitzesommer und mit Blick auf erneut rekordverdächtige Temperaturen im Frühjahr, sind die Risiken für eine erneute Dürre in diesem Jahr hoch.

Im internationalen Vergleich steht Deutschland weiterhin recht positiv dar. Das Schicksal einer A3-Benotung teilt Deutschland mit fast allen Ländern Westeuropas, Nord-Amerikas und Australien. Es gibt tatsächlich nur noch wenig Länder mit dem Länderrisiko A2, darunter die skandinavischen Länder, Österreich und die Schweiz, die Niederlande, Neuseeland und Japan. Die Bestnote von A1 hat kein Land mehr in unserem Portfolio.

Hintergrund: Neue Länder- und Branchenbewertung von Coface Deutschland

Der Kreditversicherer Coface hat angesichts der Corona-Krise eine Neubewertung der Länder- und Branchenrisiken vorgenommen. Laut Auswertung, die VWheute exklusiv vorliegt, wurden 71 von 162 Volkswirtschaften herabgestuft. Darunter auch die Bundesrepublik in A3. Das ist die niedrigste Ländernote, die Deutschland in über 20 Jahren bei Coface je bekommen hat. Erst im Juli 2019 hatte Deutschland die Bestnote A1 verloren. So prognostiziert der Kreditversicherer für 2020 mit einen Rückgang des Bruttoinlandsproduktes um 7,2 Prozent gegenüber dem Vorjahr den stärksten Konjunktureinbruch in der Geschichte der Bundesrepublik. Allerdings erwartet Coface auch eine deutliche Erholung im kommenden Jahr. So sollte das BIP 2021 wieder um 5,8 Prozent zulegen.

Neben Deutschland hat Coface viele weitere westliche Länder herabgestuft. Eine A3-Bewertung haben nun ebenfalls Frankreich, Belgien, Kanada, die USA, aber auch Portugal und Spanien. Daneben wurde Italiens Note von A4 auf B gesnekt. Großbritannien trägt jetzt die Note A4 statt A3. Zusätzlich verloren die bisher weltweit noch verbliebenen vier Länder mit der Note A1 (Niederlande, Norwegen, Schweiz und Luxemburg) ihre Bestnote. Zudem sei nicht verwunderlich, dass von Mittel- und Osteuropa über Asien-Pazifik bis hin zu Afrika, dem Nahen und Mittleren Osten sowie Lateinamerika in jeder Region Länder mit Herabstufungen zu finden seien. Dafür macht die Coface-Volkswirtin Christiane von Berg aber nicht nur den Coronavirus verantwortlich.

Insgesamt erwartet Coface, dass die Wirtschaftsleistung der Welt um 4,4 Prozent gegenüber 2019 abnimmt, um im kommenden Jahr eine Aufholjagd zu starten. 2021 dürfte das globale Wachstum laut Coface-Schätzung wieder 5,1 Prozent betragen. Gestützt wird dies auch von der Konjunkturentwicklung in Frankreich (2020: minus 11,6 Prozent; 2021: 9,7 Prozent), Italien (2020: minus 13,6 Prozent; 2021: 8,9 Prozent), Großbritannien (2020: minus 13,4 Prozent; 2021: 9,5 Prozent), den USA (2020: minus 5,6 Prozent; 2021: 3,3 Prozent), Brasilien (2020: minus 6,5 Prozent; 2021: 2,8 Prozent), China (2020: 1,0 Prozent; 2021: 7,5 Prozent) und Indien (2020: 1,5 Prozent; 2021: 6,5 Prozent).

Zudem hat Coface auch die Branchenbewertungen revidiert: In Deutschland waren hiervon die Automobilbranche (von hohes auf sehr hohes Risiko), die Metallbranche (von hohes auf sehr hohes Risiko), Textil- und Bekleidung (von hohes auf sehr hohes Risiko) sowie der Einzelhandel (mittleres auf hohes Risiko), der Transportsektor (mittleres auf hohes Risiko) und schließlich die Baubranche (niedriges auf mittleres Risiko) betroffen.

Vor diesem Hintergrund rechnet der Kreditversicherer mit einem Anstieg der Unternehmensinsolvenzen in Deutschland im Jahr 2020 um zwölf Prozent gegenüber dem Vorjahr. Damit liege die Bundesrepublik jedoch deutlich unter dem Durchschnitt für das Insolvenzwachstum in der Welt. Das beziffert Coface nun auf plus 33 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Den stärksten Anstieg in den Industrieländern werden die USA verzeichnen mit einem Plus 43 Prozent. Großbritannien (plus 37 Prozent), Japan (plus 24 Prozent) und Frankreich (plus 21 Prozent) liegen deutlich über Deutschland. Unter den Emerging Markets sind die Türkei (plus 50 Prozent) und Brasilien (plus 44 Prozent) besonders stark betroffen.

VWheute: Werfen wir einen kleinen Blick über den Tellerrand: Welche Länder und welche Branchen sind laut Analyse am stärksten von den Folgen der Covid-19-Pandemie betroffen und mit welchen wirtschaftlichen wie finanziellen Folgen rechnen Sie in den kommenden Monaten sowie ein bis zwei Jahren?

Christiane von Berg: Bei den Ländern kommen eigentlich sehr viele Faktoren zusammen. Länder, in denen ein langer Lockdown herrschte und die zusätzlich noch einen erhöhten Industrieanteil an der Wirtschaft haben, sind stark betroffen. Weitere Faktoren sind natürlich die Verflechtung im internationalen Handel und ganz wichtig, der Umgang der Politik mit dieser Situation.

Als Beispiel: in Skandinavien gab es keine so restriktiven Maßnahmen zur Eindämmung des Virus wie in West- und Südeuropa. Zudem ist der Anteil der Produktion am BIP begrenzt und der Anteil am Handel ist moderat, während die politische Führung ruhig blieb und rasch und bewusst handelte (Schweden ist hier vielleicht ein Sonderfall). Daher sind die skandinavischen Länder nicht ganz so stark von den Auswirkungen von Covid-19 betroffen wie andere Länder. Deutschland ist bei den ersten drei Faktoren voll dabei, aber die Wirtschaftspolitik und die Maßnahmen der Regierung waren schnell und ausreichend.

Daher ist Deutschland zwar kurzfristig stark getroffen, wir erwarten aber hier eine rasche Erholung. In Brasilien gab es nur bedingt einen Lockdown, aber die wirtschaftliche Situation ist überschattet von dem Chaos, dass Präsident Jair Bolsonaro mit seiner Politik verursacht. Hier werden die Folgen der Krise noch länger zu spüren sein.

Mit Blick auf die Branchen weltweit sind alte und neue Kandidaten dabei. Weltweit wurde die Automobilbranche wohl am stärksten herabgestuft. Zu den global bestehenden Problemen kamen jetzt noch ein Nachfragerückgang und Verzögerungen in den Lieferketten hinzu.

Daneben wurde auch die Textil- und Bekleidungsbranche besonders oft abwärts revidiert. Die Branche ist stark verknüpft mit dem Einzelhandel. Es fehlt an der Nachfrage durch temporäre Geschäftsschließungen und durch die klimatischen Veränderungen passt auch oft das Angebot nicht zu dem, was der Kunde sich gerade wünscht (die alten Saisons gibt es nicht mehr).

Ganz neu ist, dass in vielen Ländern der Transportsektor abwärts revidiert wurde. Hier kommt die geringe Nachfrage im Personenverkehr (Luftfahrt, Bahn, regionale öffentliche Verkehrsmittel) z.B. durch Homeoffice und Reisewarnungen zusammen mit einer geringeren Kapazitätsauslastung im Güterverkehr auf der Straße durch den Produktionsrückgang in vielen Ländern.

„Erst einmal erwarte ich für Deutschland und seine Branchen nach der aktuellen Talfahrt eine langsame Erholung. In dieser Zeit werden viele Unternehmen insolvent gehen, aber auch viele Unternehmen gegründet werden, denn Krisen bieten auch immer die Möglichkeit eines Neuanfangs u.a. mit einem guten neuen Geschäftsmodell.“

Christiane von Berg, Chefvolkswirtin von Coface Deutschland

VWheute: Sie konstatieren, dass „kaum eine Volkswirtschaft der Erde, die nicht in irgendeiner Form von Covid-19 negativ beeinflusst ist“. Können Sie die konkreten wirtschaftlichen Auswirkungen benennen und welche mittel- bis langfristigen Folgen sehen Sie für die deutsche Wirtschaft in den kommenden zwei bis fünf Jahren?

Christiane von Berg: Die konkreten wirtschaftlichen Auswirkungen sehen natürlich für jedes Land etwas anders aus. Gemeinsamkeiten sind vor allem ein scharfer Konjunktureinbruch im ersten Halbjahr 2020, wenn wir, was wir in all unseren Prognosen als Basisszenario unterstellen, keine zweite Infektionswelle annehmen. Es sollte danach eine konjunkturelle Erholungsbewegung folgen.

Diese Erholung wird jedoch länger dauern und je nach Land sollte es ein bis mehrere Jahre dauern, bis wieder das Niveau vor Corona erreicht wird. Dies geht einher mit deutlichen Vermögensverlusten vonseiten der Arbeitnehmer, die arbeitslos werden/generell weniger Geld erhalten aber auch von Kapitalanlegern, da die Börsen einen extremen Kursrutsch (in Westeuropa um die 40 Prozent) hinnehmen mussten.

Die Verschuldungskosten vieler Staaten und Unternehmen sind an den Finanzmärkten während dessen deutlich gestiegen. Argentinien war z.B. in den letzten Tagen erneut zahlungsunfähig (das siebte Mal in den letzten 200 Jahren). Ein wichtiger Faktor für die mittleren bis langfristigen Folgen ist aber vor allem die Frage, wie die Bevölkerung die Arbeit ihrer Regierung und ihres Parlamentes in dieser Krisenzeit wahrgenommen hat.

Wurden die Maßnahmen und ihr Umfang sowie die Schnelligkeit derer positiv eingeschätzt, kann eine Regierung von dem neu gewonnenen Vertrauen profitieren und z.B. weitere nachhaltige Reformen umsetzten, bei denen der Widerstand der Bevölkerung wohl andernfalls größer gewesen wäre. Ist jedoch die aktuelle Coronakrise in einem Land mit einem politischen Chaos verbunden, wird es wohl Jahre dauern, bis das politische System insgesamt das Vertrauen der Bevölkerung wiedererlangen kann.

Mit Blick auf die einzelnen Branchen sind vor allem die Automobilbranche (von hohes auf sehr hohes Risiko), die Metallbranche (von hohes auf sehr hohes Risiko), sowie Textil- und Bekleidung besonders von den Auswirkungen betroffen. Welche Risiken und Folgen durch Covid-19 sehen Sie konkret für diese Branchen? Und inwieweit stehen gerade die Automobilhersteller in der „Pflicht“, neue Mobilitätskonzepte zu entwickeln?

Wie oben beschrieben sehen wir bei Coface diese Branchen nicht unbedingt besonders von den Folgen der Corona-Pandemie betroffen. Der Unterschied zu anderen Branchen ist, dass die hier genannten bereits vor der Coronakrise deutliche Schwächen aufwiesen und nun zusätzlich von den Corona-Maßnahmen betroffen sind. Dabei ist die Schwäche der Metallbranche u.a. direkt mit der Entwicklung im Automobilsektor verknüpft.

Die Risiken und Folgen sind im Grunde die Gleichen wie für die anderen Branchen auch, nämlich die der erhöhten Zahlungsausfälle und Insolvenzen. Wobei diese in den drei Branchen wohl am ehesten aufkommen sollten. Man könnte sagen, Corona ist der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt.

Bei der Automobilbranche würde ich nicht unbedingt von einer Pflicht sprechen, neue Mobilitätskonzepte zu entwickeln. Dies klingt so, als ob dies eine Aufgabe wäre, die von z.B. der Regierung der Branche aufgegeben würde. In der Automobilbranche läuft es, wie in jeder Branche auch. Um zukunftsfähig zu bleiben, muss man seine Geschäftsstrategie entsprechend der Nachfrage anpassen.

Das ist in den letzten Jahren jedoch nicht geschehen. Das Produkt „Auto“ ist nicht mehr so attraktiv wie es mal war, die Absatzzahlen sinken schon seit Jahren u.a. wegen Umweltauflagen, aber auch weil die Verbraucher von heute das Auto nicht mehr als Statussymbol wahrnehmen und Car-Sharing für viele Stadtbewohner eine gute Alternative sind. Daher bleibt den Automobilherstellern keine andere Wahl, als sich hierauf einzustellen und auch neue Produkte zu entwickeln, anstatt sich auf Altbekanntem auszuruhen. Nur so bleibt die Branche langfristig überlebensfähig.

VWheute: Werfen wir einen kleinen Blick in die berühmte Glaskugel von VWheute: Welche mittel- bis langfristigen Folgen sehen Sie in den kommenden Jahren durch die aktuelle Corona-Krise für Deutschland und einzelne Branchen?

Christiane von Berg: Erst einmal erwarte ich für Deutschland und seine Branchen nach der aktuellen Talfahrt eine langsame Erholung. In dieser Zeit werden viele Unternehmen insolvent gehen, aber auch viele Unternehmen gegründet werden, denn Krisen bieten auch immer die Möglichkeit eines Neuanfangs u.a. mit einem guten neuen Geschäftsmodell. Deutschland wird eine lange Zeit mit dem neuen Schuldenberg zu kämpfen haben, den die Regierung mit all ihren Maßnahmen und Konjunkturpaketen angehäuft hat.

Langfristig wird dies mit Steuererhöhungen oder Ausgabenkürzungen verbunden sein müssen. Strukturell erwarten wir tatsächlich für Deutschland wenige Änderungen. Das mobile arbeiten im Home Office wird wohl zukünftig gesellschaftlich wie auch in den Unternehmen deutlich stärker akzeptiert und angenommen werden. Ich persönlich erwarte aber nicht, dass sich z.B. das Reiseaufkommen der Deutschen langfristig ändern wird (dafür sind wir viel zu gerne unterwegs).

Auch handelstechnisch werden die Produktionsketten kaum angepasst werden, da dies vor allem Preis- und Qualitätsgründe hat. Strategisch medizinische Produkte könnten allerdings vermehrt im Inland wieder hergestellt werden.

Die Fragen stellte VWheute-Redakteur Tobias Daniel.

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