Amazon, Apple und Google nehmen Versicherer in die Zange

Bigtechs erobern die Versicherungsbranche. Bildquelle von oben: Google, Apple, Amazon

Techgiganten wie Google, Amazon und Co. probieren es immer wieder mit Annäherungsversuchen ins Versicherungsgeschäft. Eigenständige Erfolge sind bislang überschaubar. Kooperationen funktionieren dagegen besser. Die Schlüsselfrage: Was passiert, wenn die Bigtechs ausgelernt haben?

Die Bigtechs haben Wachstumshunger. Dass ihre Ambitionen, ins lukrative Versicherungsgeschäft einzutreten, immer größer werden, liegt aber nicht nur an den gut gefüllten Kassen, sondern auch am lukrativen Geschäftsmodell der Assekuranz. Schnittpunkte und Integrationspotenziale mit den Produkten der Branche sind vielfältig.

Zuletzt sorgte Amazon für Aufsehen mit einem neuen Versicherungsangebot für kleine und mittlere Unternehmen in Großbritannien. Mitte letzten Jahres stieg der Seattler Handelsriese in das indische Versicherungsgeschäft ein – mit dem Ziel, Produkte zu wettbewerbsfähigen Preisen sowohl für standardisierte Kfz-Haftpflichtversicherungen von Dritt-Anbietern als auch für Personenschäden anzubieten. Der Anfang 2018 ins Leben gerufene Krankenversicherer Haven, ein Gemeinschaftsprojekt mit Warren Buffetts Berkshire Hathaway auf der anderen Seite, wurde Anfang des Jahres dagegen wieder eingestampft. Kürzlich hat das US-Unternehmen mit dem Amazon Insurance Accelerator ein Versicherungspaket geschnürt, das Kunden gegen Sach- oder Personenschäden absichert, wenn defekte Produkte sie verursachen. Partner sind unter anderem der Rückversicherer Munich Re und der Großmakler Marsh.

Für die klassischen Versicherer sind diese Annäherungsversuche mit Trial-and-Error-Charakter nicht unbedingt eine schlechte Nachricht. „Zur Konkurrenz jedes Versicherers zählen neben anderen Branchenplayern mittlerweile Bigtechs und weitere neue Akteure mit einem hervorragenden Kundenerlebnis“, glaubt Gunnar Tacke, Managing Business Analyst bei Capgemini. „Sie können aber auch gute Partner sein.“ Das allerdings hängt in hohem Maße davon ab, worauf die Bigtechs selbst zusteuern wollen und ob die bloße Partnerschaft ihren Wachstumshunger stillen kann.

Komplexe Produkte unattraktiv

Nach Angaben des World Insurtech Reports 2020 legten Bigtechs die Messlatte für das sogenannte Kundenerlebnis während der Pandemie höher, indem sie den Verbrauchern krisensichere Prozesse, Echtzeit-Reaktionen und eine intuitive Kundenbetreuung boten. Die Bereitschaft der Versicherungsnehmer, Policen von ihnen zu erwerben, sei von 17 Prozent im Jahr 2016 über 36 Prozent im Januar 2020 auf 44 Prozent im April 2020 gestiegen.

Zudem seien mehr als 60 Prozent sowohl der Versicherer als auch der Insurtechs weltweit an einer Zusammenarbeit mit Bigtechs interessiert. In Deutschland trifft dies auf 54 Prozent der Insurtechs zu, aber noch nicht auf etablierte Versicherer. Laut einer Umfrage des Digitalverbands Bitkom gehen 53 Prozent der Befragten davon aus, dass Digitalunternehmen aus dem Ausland wie Apple, Google oder Facebook in zehn Jahren eine bedeutende Rolle auf dem Versicherungsmarkt spielen werden. Solche Fakten dürften nicht spurlos an den Unternehmen vorbeigehen.

Die gute Nachricht: Je komplexer die Produkte, desto unwahrscheinlicher scheint ein Markteintritt der Big-Tech-Konzerne. Die großen fünf der US-amerikanischen Techwelt Google, Amazon, Facebook, Apple und Microsoft, kurz GAFAM, suchen sich vor allem Branchen mit hohen Margen und einfachen Produkten aus. Zu diesen einfachen Angeboten zählen neben Produktversicherungen kurz laufende Versicherungsverträge mit leicht abzuwickelnden Schäden – Auto-, Haushalts-, Reiserücktritt-, Rechtsschutzversicherungen zum Beispiel. Im Firmenkundenbereich dagegen wird es komplizierter werden. Hier sind die Produkte hochkomplex und spartenabhängig. Eine Erfolgsformel ist noch nicht ermittelt worden.

Sind GAFAM aus heutiger Sicht eine Bedrohung? Tendenziell nein. Sie tasten sich über strategische Partnerschaften heran, erweitern ihre Kerngeschäftsfelder und decken das Financial-Service-Segment schrittweise ab. „Obwohl sie dabei oft zusammengefasst werden, sind ihre Rollen im Versicherungsgeschäft jedoch tatsächlich sehr unterschiedlich“, wird auf dem Fachportal Insurtechstudie.de berichtet.

Amazon etwa sieht sich nach eigenen Angaben in der Rolle, Versicherer mit Onlinehändlern in Kontakt zu bringen. Ähnlich verhalte es sich im UK mit dem Angebot, dass der Versicherer Superscript angekündigt hat und das sich an Amazon Business-Prime-Kunden richtet.

Dick im Geschäft

Kooperationen, wie die zwischen IT-Gigant Microsoft mit dem französischen Versicherer Axa kommen nicht überraschend. Auch in der Assekuranz genießen Bigtechs den Ruf, Vorreiter beim Aufbau von wertschöpfungsorientierten und internetbasierten Ökosystemen zu sein. Genau dahin wollen die großen Versicherungsunternehmen. In diesem konkreten Fall haben beide Firmen gemeinsam eine Anwendung entwickelt, die mittels Künstlicher Intelligenz einen ersten Onlinecheck bei aufgetretenen Krankheitssymptomen durchführt und Betroffene anschließend an einen Onlinearzt vermittelt.

In den letzten Jahren haben Bigtechs teilweise weit über ihr eigentliches Kerngeschäft hinaus agiert. Laut insurtechstudie.de macht Amazon nur noch 50 Prozent seines Ertrages über das ursprüngliche Kerngeschäft E-Commerce.

Im Vergleich dazu erwirtschaftete Apple über 80 Prozent mit Hardware, Facebook erzielt 98 Prozent seines Ertrages mit Werbung. Die Portemonnaies der Bigtechs indes sind prall gefüllt. Apple etwa hat im zweiten Quartal dieses Jahres vor allem mit seinen iPhones einen Gewinn von gut 21,7 Milliarden Dollar gemacht – 93 Prozent mehr als im Vorjahr. Der Nettogewinn von Microsoft nahm in Q2 um 47 Prozent auf 16,5 Milliarden Dollar zu. Bei der Google-Konzernmutter Alphabet stieg der Umsatz im gleichen Zeitraum im Jahresvergleich um 62 Prozent auf rund 61,9 Milliarden Dollar. Der Gewinn sprang auf gut 18,5 Milliarden Dollar hoch – von knapp sieben Milliarden Dollar ein Jahr zuvor. Nach wie vor ist Onlinewerbung in Googles Suchmaschine und anderen Bereichen die tragende Säule des Geschäfts. Googles Werbeerlöse stiegen im zweiten Quartal um rund 69 Prozent auf gut 50,4 Milliarden Dollar.

Jürgen Cramer von der Sparkassen Direktversicherung wundert das nicht. Das Unternehmen würde auch mit dem deutschen Versicherungsmarkt gutes Geld verdienen, berichtete der Manager auf der diesjährigen K-Tagung. „Die Kfz-Versicherer wissen alle, wie viel es kostet, während der Kfz-Wechselsaison mit der eigenen Marke bei den Suchergebnissen weit oben zu stehen, wenn die Verbraucher nach Kfz-Versicherung oder Autoversicherung googeln.“

Nach Angaben von Statista lag der durchschnittliche Cost-per-Click für das Schlagwort Versicherung im Monat Mai bei 3,04 US-Dollar. Im Wechselmonat November dürften gerade in der Kfz-Versicherung die Zahlen deutlich darüber liegen. Womöglich stellte Google vor einigen Jahren sein Vergleichsportal für Kfz-Versicherungen, Kreditkarten und Hypotheken in den USA und Großbritannien nach einer kurzen Marktphase auch deshalb wieder ein. Versicherer zählen, wie Cramer andeutet, zu den zahlungskräftigen Werbekunden des Internetkonzerns. Zudem heißt es, dass Verbraucher in der Regel mehrere Seiten nutzen, um Finanzprodukte zu vergleichen und sich mit ihrer Entscheidung bis zum Kauf oft viel Zeit lassen. Das verringert die Attraktivität eines solchen Dienstes für die Werbewirtschaft.

Insgesamt seien Ökosysteme und Plattformen Begriffe, die in der Versicherungswirtschaft wichtiger werden, heißt es aus der Branche. Google, Apple, Facebook oder Amazon zählen zu den Protagonisten dieser Ökonomie. „In welchem Maße diese Unternehmen die Versicherer herausfordern werden, ist unterschiedlich einzuschätzen“, glaubt Cramer. Wenn Bigtechs ihre Finger mit im Spiel haben, muss Erfolg nicht zwangsläufig vorprogrammiert sein.

Nicht nur mitspielen

Die Anzeichen, dass sich Bigtechs eher als Geschäftspartner denn als Angreifer der Assekuranz verstehen, verdichten sich. Im Sommer 2020 etwa gründeten Verily, die Gesundheitstochter der Google-Mutter Alphabet mit dem Schweizer Rückversicherer Swiss Re die Versicherungsfirma Coefficient Insurance. Sie verfügt über eine Lizenz für das Leben- und Krankengeschäft und bietet Stop-Loss-Policen an. Swiss Re hat einen Minderheitsanteil an der Firma erworben und unterstützt das Start-up mit Lösungen aus ihrem Firmenkunden-Geschäft. Coefficient Insurance richtet sich an US-Arbeitgeber, die ihre Mitarbeiter versichern, aber selbst gegen exorbitante Kosten versichert sein wollen. Als einer der ersten Player holte Allianz Direct mit Apple Pay und Google Pay neue Bezahlmethoden ins Portfolio, um Policen effizienter zu verkaufen – aktuell in Deutschland, Italien und in den Niederlanden. „Mit dieser Einführung reagieren wir auf das Feedback unserer Kunden. Wir wollen einfache und schnelle Lösungen anbieten“, erklärt Bart Schlatmann, CEO Allianz Direct. Apple Pay und Google Pay haben sich zuletzt in vielen Ländern als gängige Bezahlmethoden etabliert. Aufgrund integrierter Gesichtserkennung bzw. Fingerprint-Authentifizierung gelten die Bezahloptionen als besonders sicher.

Wie es anders geht, zeigt der Blick in das Reich der Mitte. Während digitale Ökosysteme in Deutschland bislang noch keine nennenswerte ökonomische Relevanz erlangt haben, wird ihr tatsächliches Potenzial in China sichtbar. Ping An oder Zhong An verdanken ihre Stärke einer klaren Ausrichtung auf diese Strategie. „Dabei gelingt es diesen Versicherern, in den digitalen Ökosystemen nicht nur mitzuspielen, sondern sie als Orchestratoren maßgeblich zu gestalten“, erklärte Prof. Dr. Torsten Oletzky vom Institut für Versicherungswesen der TH Köln und Vorstand im Insurlab Germany, in der Zeitschrift Versicherungswirtschaft (6/2021). Ping An ist heute der wertvollste Versicherer weltweit, mit deutlichem Vorsprung vor der Allianz oder der Axa. „Ebenfalls interessant ist im chinesischen Markt die Rolle der Internet-Giganten. Was für den Westen Google, Facebook und Amazon sind, das sind in China Alibaba und Tencent. Und während unter Versicherungsexperten in den westlichen Märkten die Spekulation über das ob, wann und wie eines möglichen Markteintritts von Google oder Amazon immer noch ein beliebtes Spiel sind, ist dieser Markteintritt in China bereits Realität“, sagt Oletzky. Ant Financial, die Fintech-Tochter von Alibaba, gilt mit einer Bewertung von ca. 200 Mrd. US-Dollar als das branchenübergreifend wertvollste Start-up der Welt.

Autor: Michael Stanczyk

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