Zerbrechen die Versicherer am Klimawandel?
Der Versicherungsmarkt wird immer anspruchsvoller – lokal, europaweit, global. Auch aufgrund der zunehmenden Anzahl und Schwere von Naturkatastrophen. Hurrikan „Ida” wird die Versicherer 35 bis 44 Mrd. US-Dollar kosten, Bernd im schlimmsten Fall rund acht Mrd. Euro. Schon jetzt zeichnet sich ab, dass 2021 die Bücher so stark belastet wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Für die Risikoanalysten der Branche ist das Limit damit allerdings längst nicht erreicht. Sie warnen, dass die Gefahr von Wetterextremen aufgrund des Klimawandels rasant zunehmen wird.
„Luft kann mit jedem Grad Erwärmung etwa 6 bis 7 Prozent mehr Wasser tragen, wodurch sich in einem wärmeren Klima die Häufigkeit von Starkniederschlagsereignissen generell erhöhen dürfte“, erklärt Andreas Weigel, Katastrophenanalyst der Swiss Re.
„Inwieweit dies dann auch lokal zu mehr katastrophalen Fluten führt, hängt nicht zuletzt von der Leistungsfähigkeit des Hochwasserschutzes ab. Auch die zukünftige Siedlungsflächenentwicklung wird eine wichtige Rolle spielen: Beispielsweise nahm in Deutschland 2000 bis 2015 die überbaute Oberfläche um 10 bis 15 Prozent zu, was schnelleren Wasserabfluss begünstigt und damit das Sturzflutrisiko zusätzlich erhöht.“
Worauf müssen sich Versicherer und Rückversicherer mit Blick auf den Klimawandel in 30, 60 Jahren grundsätzlich einstellen? Der unlängst veröffentlichte neue Sachstandsbericht des Weltklimarates zeigt, dass in den kommenden Jahren und Jahrzehnten das Risiko von extremen Wetterereignissen allgemein zunehmen dürfte, insbesondere die Häufigkeit von Hitzewellen, Dürren und Waldbränden in vielen Regionen, aber auch die Intensität von Starkniederschlägen. Tropische Wirbelstürme könnten stärker werden, und mit ansteigendem Meeresspiegel wird sich das Risiko von Sturmfluten in Küstenregionen zusätzlich erhöhen. „Sofern geeignete Anpassungs- und Präventionsmaßnahmen ausbleiben, müssen wir uns auf eine Zunahme von schweren Schadensereignissen einstellen“, warnt Weigel.
Mit Blick auf die Prämien ist es kein Geheimnis, dass Versicherungsschäden grundsätzlich durch Einnahmen gedeckt sein müssen. Sonst kann der Grundgedanke der Rück-/Versicherung – Solidarität und Risikotransfer – ökonomisch nicht funktionieren. An der Preisschraube könnte künftig stärker gedreht werden.
Prävention und geeignete Anpassungsmaßnahmen, heißt es unisono aus der Branche, seien ungemein wichtig, um die Auswirkungen des Klimawandels abzufedern und Prämien stabil zu halten. Verbesserter Hochwasserschutz oder weniger Neubauten in Risikogebieten wird etwa gefordert. „Über den Hebel risikoadäquater Prämienanreize kann die private Versicherungswirtschaft die Implementierung solcher Maßnahmen unterstützen und beschleunigen und ist somit ein wichtiger Motor für die Anpassung der Gesellschaft an den Klimawandel. Gesellschaftliche Resilienz braucht jedoch das Engagement aller“, sagt Klimaexperte Weigel.
Werden Regionen unbewohnbar? Die Swiss Re sieht diese Gefahr noch nicht, doch wird mittel- und langfristig der ansteigende Meeresspiegel eine zunehmende Bedrohung für tief liegende Küstenregionen und Inseln darstellen. Einige dieser Regionen dürften nur durch äußerst kostspielige Anpassungsmaßnahmen langfristig bewohnbar bleiben.
Digitale Offensive soll Abhilfe schaffen
Indes gilt für die Versicherungswirtschaft die Digitalisierung als wichtiger Helfer in Sachen Riskmanagement und Schadenprävention, zum Beispiel für Wasserschäden in Gebäuden. Laut Industrieversicherer Chubb beliefen sich die durchschnittlichen Kosten eines Wasserschadens im Jahr 2010 auf fast 3.000 Euro, inzwischen haben sich diese bis 2019 um ein Vielfaches auf über 17.000 Euro im Durchschnitt erhöht.
Gemeinsam mit dem Rückversicherer Munich Re hat Chubb etwa die Internet of Things-(IoT)-Sensorlösung „Connect & Protect“ entwickelt. Sensoren überwachen dabei verschiedene Parameter wie Wasser- oder Temperaturstände und schlagen bei einer erkannten Gefahr per Warnmeldung Alarm, sodass mögliche Wasserschäden erkannt und sogar vermieden werden.
„Gerade für störanfällige Bereiche, die nicht permanent durch menschlichen Einsatz beobachtet werden, können IoT-Lösungen eine wertvolle Unterstützung der Haustechnikeinheiten beim Gebäudemonitoring und bei der Analyse der vielfältigen Gefahrenquellen vor Ort darstellen“, erklärt Andreas Wania, Regional Executive Officer Eastern Region & Country President Germany bei Chubb.
Ein guter Schritt nach vorne, um mehr Kontrolle zu bekommen. Doch löst die Technik die Probleme der Versicherer mit Blick auf das Klima? Zumindest nicht im Alleingang.
„Der Schwerpunkt der Anstrengungen in den kommenden Jahren sollte auf der kurzfristig umsetzbaren technischen Prävention, der Optimierung der technischen und organisatorischen Warninfrastruktur sowie der kontinuierlichen und transparenten Aufklärung über die Bedeutung des Versicherungsschutzes liegen. Möglichkeiten zur Umsetzung staatlicher Subventionen könnten diesen Weg flankieren“, sagt Jan-Oliver Thofern, Chief Executive Officer Aon, zuständig für den Bereich Reinsurance Solutions.
Kritik an den Rückversicherern
Ein Kritikpunkt an den Maßnahmen der Rückversicherer ist, dass sie sich aus historischer Betrachtung bei ihren Schadenmodellen vor allem auf Naturgefahren fokussiert haben, die das höchste Ereignisschadenspotenzial bergen: Winterstürme, Erdbeben und tropische Wirbelstürme. Da in den vergangenen Jahren aber zunehmend Schäden durch Hagel, Waldbrand und Starkniederschläge in den Vordergrund traten, muss es nun die akkurate Modellierung der sogenannten Sekundärgefahren tun.
Ein weiteres Problem wäre zudem, dass sich viele in der Versicherungswirtschaft gängige Naturgefahrenmodelle vornehmlich an der Vergangenheit orientieren. Klimaprojektionen und sozioökonomische Makrotrends, wie zum Beispiel die fortschreitende Urbanisierung, werden vielfach noch nicht hinreichend berücksichtigt.
Autor: Michael Stanczyk