Bittersüßes Milliardengeschäft: Was steckt hinter dem Hype um eingebettete Versicherungen und wo lauern Gefahren?

Ein Teil des Ganzen: Lukrative Geschäftschancen in der digitalen Welt befördern den Trend zu eingebetteten Versicherungen. Quelle: Kevin Sanderson/ Pixabay

Bezahlbare, relevante und personalisierte Versicherungsprodukte, die mittels Daten nahtlos und unkompliziert von Nicht-Versicherern direkt an die Endkunden verkauft werden, so lautet eine Definition von eingebetteten Versicherungen, besser bekannt als Embedded Insurance. Ob Ergo, Axa oder Allianz – die Unternehmen wollen nicht nur die allgemeine Kundenzufriedenheit steigern, sondern die oft komplexen Bedürfnisse ihrer Kunden durch passende Lösungen erfüllen. Embedded Insurance wird in diesem Umfeld zu einem stillen Hoffnungsträger. Doch es gibt ein Problem.

Das Versicherungswesen wandelt sich vom Produktgeschäft hin zum sogenannten Customer Care, berichtet das Beratungshaus Capgemini in seinem neusten World Insurtech Report und sieht in der Embedded Insurance einen Mehrwert in Ökosystemen Dritter: „Der Versicherungsvertrag wird am Point of Sale oder Point of Service integriert, wodurch er nahezu unsichtbar wird. Das Geschäftsmodell entwickelt sich zu einem B2B2C-Ansatz, bei dem Ökosystempartner die Kundenbeziehungen pflegen.“

„Im Grunde genommen sind eingebettete Versicherungen für uns ein alter Hut und von Beginn an Kern unseres Geschäftsmodells“, sagt Alexander Hornung, Mitbegründer und General Manager von Hepster. Das Rostocker Insurtech wurde 2016 gegründet und bietet ein API(Application Programming Interface)-gesteuertes Ökosystem, das es Unternehmen aller Branchen ermöglicht, bedarfsorientierte und individuelle Versicherungen in ihre Angebote zu integrieren. Damit hat die junge Firma schon früh ein wichtiges Trendthema der Branche aufgespürt.

Das Portfolio von Hepster umfasst Mobilitäts-, Elektronik-, Ausrüstungs-, Reise- und Unfallversicherungen. In den vergangenen vier Jahren hat das Team um Hornung über 1.000 Partner und mehr als 100.000 Kunden mit über 300 maßgeschneiderten Versicherungsprodukten von sich überzeugt. „Wir sind 2016 an den Start gegangen, um die Versicherungsbranche mit ‚Add-On-Versicherungen‘ – wie wir sie damals nannten – aufzumischen. Wir sind überzeugt, dass eingebettete Versicherungslösungen das schaffen werden, wovon viele Insurtechs seit Jahren sprechen: Marktanteile in der Versicherungsbranche umzuverteilen. Es bleibt nur noch die Frage, wer sie sich am Ende sichert“, erklärt der Manager.

Schwache und starke Ausrichtung

In seiner schwächeren Ausprägung hängt die Embedded Insurance mit dem Gesamtkomplex Embedded Finance sowie Open Finance zusammen und beschreibt ein Spielfeld, auf dem der einfache Autokäufer direkt beim Händler die passende Versicherung zum Neuwagen abschließen kann, ohne den Umweg über eine Versicherungsgesellschaft machen zu müssen.

Ein Einrichtungshaus bietet Kunden beim Möbelkauf die passende Hausratversicherung an, die im Umfeld von Möbel, Design und Wohnaccessoires direkt abgeschlossen werden kann. Die Embedded Insurance bezieht sich auf das Angebot des Autohändlers oder des Einrichtungshauses. Beide sind keine Versicherer, betten jedoch passende Policen als wählbare Zusatzleistungen in ihre Angebote oder Online-Prozesse ein. Das kann digital auf Plattformen oder analog im realen Laden der Fall sein. Kunden sollen im genau richtigen Umfeld auf die passende Versicherung treffen – beim Autokauf, beim Kauf der Neueinrichtung, bei der Buchung von Reisen und in anderen Bereichen.

Indes schließt die stärkere Ausprägung der Embedded Insurance notwendige Versicherungen direkt in Leistungspakete mit ein. Kauft jemand ein neues Mountainbike, gehört neben Rad, Luftpumpe und Diebstahlschloss gleich die Diebstahlversicherung als fester Bestandteil zum Paket. Die Versicherung muss nicht bewusst abgeschlossen werden. Mit dem Kauf einer Ware oder mit der kostenpflichtigen Nutzung einer Dienstleistung gehört der passende und notwendige Versicherungsschutz mit zum Paket und ist sofort wirksam.

Unsichtbare Versicherungen

Simon Torrance, Experte für Plattformstrategie, rechnet auf seiner Homepage vor, dass Versicherer im Sach- und Haftpflichtgeschäft bis ins Jahr 2030 mit eingebetteten Policen 700 Milliarden Dollar an Bruttoprämien generieren könnten. Das wäre ein Viertel des weltweiten Gesamtmarktes. Lebensversicherungen inklusive, ergebe sich sogar eine Drei-Billionen-Dollar-Chance.

Die Idee, bereits beim Verkauf von Produkten entsprechende Versicherungen mit anzubieten, ist nicht unbedingt neu. Neu ist vor allem der Umstand, dass die digitale Welt den Versicherern im Verkaufsprozess neue lukrative Geschäftschancen eröffnet. Policen können nahtlos in den Verkaufsprozess integriert werden, ohne dass es den Kunden stört. In Fällen wie dem von Airbnb wird die Versicherung für den Endverbraucher als Teil des Gesamtpakets unsichtbar.

Um eine positive Interaktion mit Verbrauchern zu schaffen, gilt der Faktor Einfachheit unter den Branchenexperten als Erfolgsschlüssel. „Im Gegensatz zu den Versicherungsprodukten und -dienstleistungen, die von Maklern verkauft werden, muss in diesem Modell ein geradliniges Versicherungsangebot ohne viele Variationen implementiert werden“, schreibt Bsurance, ein auf cloudbasierte und anpassbare Versicherungsprodukte spezialisiertes Unternehmen, das Big Player wie R+V, Munich Re, Uniqa, Allianz und Axa zu seinen Kunden zählt.

Der Makler habe Zeit und könne einem Kunden ein kompliziertes Produkt leicht erklären. Er könne Vertrauen zum Kunden aufbauen, da er in der Lage sei, die Komplexität des Produkts auf einer kundenorientierten Ebene zu reduzieren. „Das ist in einer digitalen Umgebung nicht möglich – der Kunde hat weder Zeit noch Geduld für einen langwierigen Entscheidungsprozess, bei dem er alle notwendigen Informationen für einen Kauf zusammensucht. Diese Informationen müssen beim Abschluss klar vorliegen. Es ist eine Frage von Sekunden.“ Mit einer eingebetteten Versicherung werde einem potenziellen Kunden zur richtigen Zeit am richtigen Ort die Versicherung präsentiert. Damit würden die Konversionsraten deutlich steigen und die Kosten sinken.

Zugpferd Mobilität

Zu den Vorreitern im Bereich Mobilität gehören US-Player wie Tesla oder Lyft. Der Elektroautoproduzent verkauft seinen Kunden in Kalifornien speziell entwickelte Policen gleich mit. Im Versicherungsgeschäft hat das Unternehmen noch Großes vor. Tochter Tesla Insurance Limited verfügt bereits über eine Niederlassung hierzulande. Wie das Bafin-Journal vor einigen Wochen berichtete, hat der Konzern aber kein eigenes Versicherungsunternehmen für die Bundesrepublik gegründet, sondern operiert von einer Europa-Zentrale in Malta aus.

„Die Firma setzt neue Maßstäbe, was die Versicherung ihrer Fahrer anbelangt. Tesla bietet seinen Kunden eine maßgeschneiderte Versicherung auf Basis von Daten. Die Fahrgewohnheiten des Fahrers werden mittels Künstlicher Intelligenz ausgewertet und der Versicherungsschutz entsprechend zusammengestellt. So bemisst sich der Versicherungsbeitrag der Kunden entsprechend seiner individuellen nutzungsbasierten Risikoeinschätzung“, erklärte Nicolas Serceau, Mitbegründer des französischen Insurtechs Moonshot Insurance, das seit Kurzem auch in Deutschland aktiv ist. Das Insurtech positioniert sich selbst als B2B2C-Unternehmen, das „kontextuelle Whitelabel-Versicherungen mit dem Fokus auf E-Commerce und Mobilität“ anbietet.

Auch der Mobilitätsanbieter Lyft bietet für die Nutzer seines Fahrservices eine Absicherung an, die sogenannte Ride-Sharing-Versicherung. Neben Versicherungsleistungen, die für den Transport von Passagieren wichtig sind, enthält diese Police ein zusätzliches Incentive für Lyft-Fahrten. Für jede durchgeführte Tour erhält der Fahrer automatisiert einen zusätzlichen Geldbetrag von der Versicherung. Über die Lyft-App werden die Fahrten nachverfolgt und die Daten wiederum dem Versicherer zur Verfügung gestellt, der automatisiert den entsprechenden Betrag per Fahrt auszahlt. Nach heftigen Geschäftseinbußen in der Corona-Krise hat sich der US-Fahrdienstvermittler im zweiten Quartal dieses  Jahres wieder berappelt. Im abgelaufenen Quartal bis Ende Juni stieg der Umsatz im Jahresvergleich um 125 Prozent auf 765,0 Mio. Dollar.

Versicherern droht Identitätsverlust

In der Versicherungsbranche wird es wohl immer zwei Typen von Kunden geben. Diejenigen, die sich ausgiebig informieren und die Versicherung selbst abschließen wollen, und andere, die einen möglichst einfachen Prozess ohne aufwendige Recherche bevorzugen. Diese Welt der vielfältigen Kundenwünsche müssen Versicherer heutzutage managen. Eingebettete Versicherungen können trotz ihrer enormen Geschäftspotenziale für die Versicherer allerdings auch gefährlich werden, vor allem mit Blick auf deren Identität. Mit der Embedded Insurance verändert sich der Kontakt zum Kunden gravierend. Versicherer werden nicht mehr klassisch als Versicherer wahrgenommen, Marken treten vor den Consumer Brands in den Hintergrund und verlieren an Aufmerksamkeit.

Autor: Michael Stanczyk