Wieso Artikel 15 der DSGVO den gläsernen Versicherer Realität werden lässt

„Erlebnisreaktive psychische Störungen“ sind auch nach der Rechtsprechung „in jedem Fall vom Versicherungsschutz ausgenommen“. Quelle: Bild von Hans Braxmeier auf Pixabay

Das neue europäische Datenschutzrecht ist auch für den Versicherungssektor ein „scharfes Schwert“ (Waldkirch, r+s 2021, 317, 321). Ein aktueller bis zum BGH geführter Rechtsstreit eines Versicherungsnehmers mit seinem Versicherer belegt dies eindrucksvoll. Dabei geht es um den Anspruch des Versicherungsnehmers einer Lebensversicherung mit Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung auf Datenauskunft gem. Art. 15 Abs. 1 DSGVO. Der BGH (VersR 2021, 1019 Rz. 15 ff.) gewährt einen solchen Anspruch in weit reichendem Umfang. Von Christian Armbrüster.

Demnach können die zurückliegende Korrespondenz der Parteien, das „Prämienkonto“ des Versicherungsnehmers und Daten des Versicherungsscheins sowie – und dies macht das Urteil für die Praxis brisant – interne Vermerke und interne Kommunikation des Versicherers mit Informationen über den Versicherungsnehmer (Rz. 27) nicht von vornherein vom Auskunftsanspruch nach Art. 15 Abs. 1 DSGVO ausgenommen werden.

Allerdings zeigt der BGH auch gewisse Grenzen dieses Anspruchs auf. Sofern der Versicherungsnehmer etwa Auskunft über die internen Bewertungen des Versicherers zu seinen Ansprüchen aus dem Versicherungsvertrag begehrt, sei zu beachten, dass die auf der Grundlage dieser personenbezogenen Daten vorgenommene Beurteilung der Rechtslage selbst keine Information über den Betroffenen und damit kein personenbezogenes Datum darstelle (Rz. 28). Hinsichtlich der Folgerungen, die der Versicherer für seine Eintrittspflicht zieht, ist er demnach nicht gläsern.

Wichtig ist zudem die weitere Feststellung des BGH, dass auch Daten über Provisionszahlungen des Versicherers an Dritte, deren Mitteilung der Versicherungsnehmer im Ausgangsfall gleichfalls begehrte, nach den vom EuGH (NVwZ-RR 2014, 736) entwickelten Kriterien keinen Bezug zur Person des Versicherungsnehmers haben und daher nicht vom Auskunftsanspruch nach der DSGVO erfasst werden (Rz. 28). Zudem können ggf. ein unverhältnismäßiger Aufwand für den Versicherer sowie dessen Geheimhaltungsinteresse dem datenrechtlichen Auskunftsanspruch Grenzen setzen (Rz. 33; instruktiv dazu Waldkirch, r+s 2021, 317 ff).

Was bedeutet das Urteil für die Praxis? Versicherer werden sich künftig häufiger als bislang dem Verlangen ausgesetzt sehen, ihre Unterlagen umfassend offenzulegen. Dabei gewinnt der vom BGH betonte Unterschied zwischen den personenbezogenen Daten des Versicherungsnehmers und der darauf beruhenden Bewertung der Rechtslage eine entscheidende Bedeutung.

Hier ergibt sich eine interessante Parallele zum Anspruch des Versicherungsnehmers auf Einsichtnahme in Sachverständigengutachten, die der Versicherer zwecks Prüfung seiner Leistungspflicht eingeholt hat: Richtigerweise ist ein solcher Anspruch auch jenseits der Fälle des § 202 VVG bereits auf versicherungsvertraglicher Grundlage anzunehmen (näher Armbrüster, VersR 2013, 944, 949 ff.). Allerdings bezieht sich dieser Anspruch allein auf die Feststellungen des Sachverständigen zu den regulierungsrelevanten Tatsachen. Nicht erfasst sind hingegen etwaige Schlussfolgerungen, die der Sachverständige daraus im Hinblick auf die Leistungspflicht des Versicherers gezogen hat. Entsprechende Passagen dürfen daher geschwärzt werden; am besten sollten sie freilich von vornherein nicht im Gutachten enthalten sein. Angesichts dieser Grenze kommt es nicht darauf an, inwiefern sich der Anspruch auf Einsichtnahme in Sachverständigengutachten nunmehr auch auf Art. 15 Abs. 1 DSGVO stützen lässt, da das aktuelle BGH-Urteil, wie dargelegt, dieselbe Einschränkung für Aussagen zur Rechtslage – insbesondere hinsichtlich der Eintrittspflicht – vorsieht.

Der Versicherer ist mithin nur in Teilbereichen gläsern. Generell ist er gut beraten, wenn er seine internen Unterlagen klar nach personenbezogenen Daten einerseits, Einschätzungen zu seiner Eintrittspflicht andererseits trennt. So sollten etwa auf von ihm eingeholten ärztlichen Beurteilungen keine handschriftlichen Vermerke zu den daraus für die Leistungspflicht zu ziehenden Folgerungen angebracht werden (vgl. auch als „Negativbeispiel“ zu Notizen auf Bewerbungsunterlagen den Tatbestand von ArbG Stuttgart, NZA-RR 2010, 344). Wird dieser Trennungsgrundsatz konsequent umgesetzt, so kann die Erfüllung von Auskunftsansprüchen Vertrauen stärken und zugleich unnötige Verwerfungen vermeiden. Solche Verwerfungen könnten etwa entstehen, wenn der Versicherungsnehmer aus den Unterlagen erfährt, dass der Versicherer Zweifel an seiner Sachverhaltsdarstellung hegt, auf die er sich aber (aus welchen Gründen auch immer) nicht berufen möchte.

Autor: Christian Armbrüster ist Professor für Bürgerliches Recht, Handels- und Gesellschaftsrecht, Privatversicherungsrecht und Internationales Privatrecht an der Freien Universität Berlin

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