Kernsysteme: Versicherern steht großes Aufräumen bevor

Bild: Gerd Altmann auf Pixabay

Digitale Ökosysteme und Versicherung: Passt das zusammen? Viele Versicherer und ihre Vorstände sind überzeugt, dass dies nicht der Fall ist. „Wir sind zu klein, man betrachtet uns als zu unattraktiv und wir verfügen ohnehin nicht über die dafür notwendigen IT-Kompetenzen“, ist zu hören. Tatsächlich gibt es viele Gründe dafür, warum die Branche hier mehr Selbstvertrauen entwickeln sollte. Ohne ein starkes Back-End werden die Versuche beim Thema Ökosysteme allerdings scheitern. Ein Gastbeitrag von Michal Trochimczuk.

Diejenigen Unternehmen, die bereits erste Schritte in Richtung digitaler Ökosysteme unternommen haben, klagen über mangelnde Kundenakzeptanz. Selbst diejenigen Versicherer, die beim Thema digitale Ökosysteme vorangehen, geben leicht zerknirscht zu, dass sie selbst nicht wissen, ob ihre Investitionen in diesem Bereich aufgehen werden. Bemerkenswerterweise sind Branchenfremde oft anderer Meinung.

Nicht nur Rückversicherer wie die Munich Re fordern hier mehr Mut, sondern auch Insurtechs und Unternehmensberater. Und es gibt viele gute Gründe, warum Versicherer das ernst nehmen sollten. Hier ist als Erstes der Themenkomplex Kunde und Bequemlichkeit zu nennen. Wir leben in multioptionalen Gesellschaften, die eine sehr große Zahl an beruflichen, lebensweltlichen und dem entsprechend auch finanziellen Wahlmöglichkeiten bietet.

Deregulierung von Märkten, Internationalisierung und Technologisierung haben zu einer enormen Produktvielfalt in so gut wie allen Bereichen geführt. Doch wer die Wahl hat, hat oft die Qual. In der Versicherungsbranche hat man bereits erste Erfahrungen mit zu großen Wahlmöglichkeiten gemacht und den Hebel umgelegt. Der Trend zur Produktvereinfachung wird sich sowohl in Marketing und Vertrieb als auch IT-seitig positiv auswirken.

Der Siegeszug der großen Plattform-Unternehmen wie Apple, Google und Amazon, um nur die bekanntesten zu nennen, wurde vor allem dadurch möglich, dass sie für das Thema Bequemlichkeit akzeptable Lösungen bieten. Der Vermietungsplattform Airbnb beispielsweise gelingt es unter anderem deshalb, so viele attraktive Ferienunterkünfte zu gewinnen, weil sie den Vermietern einen Großteil der Administration abnimmt und mit digitalen Tools deren Vermietungs-Chancen steigert.

Versicherung ist ein Thema von überragender Bedeutung, dem die Kunden aber paradoxerweise geringe Aufmerksamkeit schenken. Bequemlichkeit ist einer der Gründe. Offenbar gelingt es den Versicherern, ihr Sicherheitsversprechen in Marketing und Vertrieb einzulösen.

Erneuerung der Kernsysteme machbar

Es ist unbestreitbar, dass den meisten Versicherern das große Aufräumen bei den Kernsystemen noch bevorsteht. Ohne ein starkes Back-End werden die Versuche beim Thema Ökosysteme scheitern. Doch weil es bei dem Thema digitale Ökosysteme um so viel geht, sollte man sich nicht mit dem Verweis auf mangelnde IT-Kompetenz zurücklehnen. Im Gegenteil. Der Versicherungssektor zeichnet sich durch eine fragmentierte Wertschöpfungskette aus, mit mehr oder weniger stark angebundenen Agenten, Maklern und anderen Vertrieben, externen Schadengutachtern, Service-Dienstleistern, um nur einige zu nennen.

Bei genauer Betrachtung stellt sich die Dienstleistung des Versicherungsschutzes als komplexes Ökosystem dar, in dem Gesundheitsdienstleistungen, Schadenprävention, Risikoanalyse und viele weitere Services unter der Marke eines Versicherers angeboten werden. Dieses Ökosystem gilt es zu digitalisieren und zu erweitern. Meiner Ansicht nach handelt es sich dabei nicht um eine unlösbare Aufgabe.

Die Versicherer haben in der ersten Phase der Digitalisierung in den 1970er-Jahren zu den Vorreitern der elektronischen Datenverarbeitung gehört und aus eigener Kraft Bedeutsames geschaffen. Eine Reihe von am Markt erhältlichen Standardsystemen ist von Versicherern aufgebaut worden und dann als Spin-off mehr oder weniger unabhängig vom Ursprungsunternehmen dem Markt zur Verfügung gestellt worden. Das Problem liegt darin, dass manche dieser Anbieter zu lange die Hände in den Schoß gelegt haben.

Während die Versicherer in den ersten drei Themenbereichen bereits erste Aktivitäten starten, unterschätzen sie meiner Ansicht das Potenzial im B2B-Bereich. Die Stärke von Unternehmen wie Amazon, eBay und AirbnB rührt letztendlich aus ihren ausgefeilten B2B-Services. Versicherer fangen hier nicht bei null an. Die Schweizer Vaudoise beispielsweise erweitert mit der von ihr finanzierten Crowdlending-Plattform Neocredit ihre Kundenbasis im Bereich von kleinen und mittleren Unternehmen. Daraus ergeben sich digital getriebene Cross-Selling-Möglichkeiten. Es gilt also, die vorhandenen Strukturen und Kompetenzen zu digitalisieren. Um hier erfolgreich zu sein, müssen die Versicherer sich auf folgende vier Themen konzentrieren: Datenmanagement, Prozessautomatisierung, Flexible Front-Ends, innovationsfreudige und lösungsorientierte Teams.

Crossfunktionale Teams und Devops

Um den notwendigen Wandel zu schaffen, sind neue Strukturen in den Belegschaften hilfreich. Im Hürdenlauf durch die Abteilungen kann aus einer Innovation schnell ein alter Hut werden. Innovation ist kein Wert an sich und es gibt unzählige Beispiele für Innovationen, aus denen nichts geworden ist.

Aber es ist müßig, darüber zu klagen, wie verstaubt die Versicherungsbranche erscheint, wenn man nichts zur Innovationsförderung in den Belegschaften unternimmt. Immer mehr Versicherer stellen crossfunktionale Teams auf und das Thema Devops beginnt die Runde zu machen. Welche Unternehmen werden die Treiber des Versicherungsgeschäfts in zehn Jahren sein, haben wir die Versicherer gefragt.

Mehr als die Hälfte der Teilnehmer unserer Konferenz ist der Ansicht, dass Insurtechs und die großen Tech-Unternehmen das Geschäft treiben werden. Versicherer liegen abgeschlagen an dritter Stelle. Pessimismus ist weit verbreitet, nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa und auf anderen Märkten unseres Globus. Denkt man an die eingangs erwähnten Vorbehalte vieler Versicherer gegenüber dem Einstieg in digitale Ökosysteme, so mag dies als eine Prophezeiung erscheinen, die sich durch sich selbst erfüllt.

Sind Versicherer zu klein, um eigene digitale Ökosysteme aufzubauen? Ich denke, dass sie über eine sehr bedeutende Zahl von Kunden verfügen und mit dem Thema Sicherheit etwas ansprechen, das viel Potenzial besitzt. Es geht nur darum, dies glaubwürdig und exzellent digital unterstützt zu transportieren.

Autor: Michael Trochimczuk, Managing Partner Sollers Consulting