Olympiastart: Geisterspiele begeistern weder Sponsoren noch Versicherer

Thomas Bach, IOC-Präsident, besuchte im November 2020 das Olympia-Stadion in Tokio. Die Ränge werden bei den Sommerspielen 2021 nach wie vor leer bleiben. (Quelle: International Olympic Committee 2020)

Heute starten in Tokio mit einem Jahr Corona-Verspätung die Olympischen Spiele. Kurz zuvor ist die Zahl der Neuinfektionen in der japanischen Hauptstadt auf den höchsten Wert seit Januar gestiegen. Angesichts dessen wäre eine Absage die sicherste Variante. Doch man will die ohnehin nicht mehr begeisterten Sponsoren und Versicherer, die gerne Zuschauer in den Stadien gesehen hätten, nicht endgültig vergraulen. Für das IOC und Tokio steht viel auf dem Spiel.

In Tokio herrscht Corona-Notstand. Sorgen bereitet den Experten vor allem, dass Virusmutationen mittlerweile für 90 Prozent der Ansteckungen verantwortlich sind. Kein Wunder, dass die Begeisterung der Japaner für die olympische Idee sich längst in offenen Widerstand gegen die Spiele verwandelt. 40 von 500 kleineren Städten, die eigentlich Training Camps und Kulturprogramme für Athleten beherbergen sollten, haben bereits ihr diesbezügliches Commitment zurückgezogen. Tausende Helfer sind bereits vor Monaten abgesprungen.

Die japanische Regierung hält an der weltgrößten Veranstaltung seit dem Corona-Ausbruch fest und hat im Juni noch beschlossen, dass 10.000 heimische Zuschauer bei allen Wettkämpfen zugelassen werden. Diese Entscheidung kam wohl auf Druck der Sponsoren zustande. Schließlich haben sie nicht für eine Geisterveranstaltung ohne Publikum und mit recht wenigen Athleten bezahlt. Lieber hätten sie ein weiteres Verschieben der Sommerspiele, welches aber aus logistischen Gründen nicht möglich ist. Inzwischen steht fest, dass doch keine Zuschauer in den Stadien sein werden.

Immer noch günstiger als Schäden nach einem Hurrikan

Allein dieser Umstand wird die Rückversicherer etwa 300 bis 400 Mio. Dollar kosten, schätzt die Ratingagentur Fitch. Die japanische Hauptstadt hatte mit Zuschauererlösen von umgerechnet rund 815 Mio. Dollar gerechnet. Die Ticketerlöse gehen laut Schweizer Handelszeitung direkt an die Organisatoren, während Sponsoring- und Fernseheinnahmen bei Olympia an das Internationale Olympische Komitee (IOC) gehen. Fitch schätzt laut Bericht, dass sich beide zusammen mit rund 2,5 Mrd. US-Dollar gegen Ausfälle versichert haben. Branchenkreisen zufolge ist Tokio mit 500 bis 800 Mio. Euro gegen Ausfälle versichert. Ein großer Teil davon sei aber schon im vergangenen Jahr für Umbuchungen von Hotels und Sportstätten verwendet worden.

Laut Zeitungsberichten hat Japan bereits 15,4 Mrd. Dollar an Infrastrukturkosten aufgewendet und erwartete Einnahmen am Konsum von Reisenden und Einheimischen in Höhe von 4,5 Mrd. Dollar. Bei einer kompletten Absage hätten 3,3 Mrd. Dollar an Sponsoren rückerstattet werden müssen und weitere 1,3 Mrd an das IOC, davon 0,8 Mrd. Dollar aus TV-Rechten und 0,5 Mrd. Dollar aus vorausbezahlten Sponsorengeldern – beides freiwillige übervertragliche Leistungen des IOC. Reuters beziffert das Exposure der Munich Re auf 500 Mio. Dollar, das von Swiss Re auf 250 Mio. Dollar. Erhebliche Anteile sollen auch bei Lloyd’s-Syndikaten sowie bei Liberty Mutual liegen. Unklar ist, in welchem Umfang die einzelnen Risikoträger den drohenden Schaden bereits in ihren 2020er-Bilanzen passivierten.

Vorstellbar ist auch, dass bei der Olympiade wesentliche nationale Teams nicht anreisen werden und die TV-Zuschauerquoten nur bei einem Bruchteil der Erwartungen liegen. Die Versicherungsnehmer, insbesondere auf Werbeeinnahmen angewiesene TV-Sender, könnten dann argumentieren, es liege ein konstruktiver Teil- oder gar Totalschaden vor. Dennoch käme man hierbei nicht zu einem zweistelligen Mrd.-Schaden, den so manch ein US-Hurrikan jedes Jahr verursacht.

Auswirkungen auf Preise und Deckungen der nächsten Olympiade

Bereits jetzt zeichnen sich die Folgen des unerwarteten Kumul-Schadens ab: Die Kapazitäten werden deutlich sinken und man rechnet mit Preissteigerungen von bis zu 50 Prozent. Ebenso scheint ausgeschlossen, dass bei Großevents Pandemien oder andere ansteckenden Krankheiten versichert sein werden.

Derartige Veränderungen wirken sich aber nur auf Zeichnungsjahresbasis aus. Es scheint, als wäre die Sommerolympiade 2024 noch zu bisherigen, allzu großzügigen Bedingungen platziert worden. Die beteiligten Versicherer müssten wohl mit ihren Abschlussprüfern erörtern, ob die Bildung einer Rückstellung für unzureichende künftige Prämien angebracht sein könnte, also die Bildung einer Premium Deficiency Reserve.

Insgesamt könnte dies für die Zukunft bedeuten, dass sich der Event-Cancellation-Market aufgrund des Dilemmas des nicht in den Griff zu bekommenden Kumulrisikos und der daraus resultierenden Pandemie- Ausschlüsse weitgehend selber abschafft, dass also die Assekuranz als Fazilitator derart riskanter Unternehmung wie der Organisation internationaler Sportevents nicht mehr zur Verfügung stehen wird.

Autor: Philipp Thomas

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