Grenzgänger: Wie Ping An zu einem Weltkonzern aufgestiegen ist

Ping An Finance Center - Group Headquarters, Quelle: Ping An

Innerhalb von 33 Jahren hat eine anfangs völlig unbekannte Versicherungsfirma mit einem aus ein paar klapprigen Fahrrädern bestehenden Fuhrpark den Weg an die Weltspitze gefunden. Mittlerweile blicken europäische Player wie Allianz oder Axa auf den Riesen aus dem Reich der Mitte. Denn Ping An baute etwas auf, was für die meisten noch Vision ist: ein funktionierendes Ökosystem.

Das Tempo ist atemberaubend. Nach einem kometenhaften Aufstieg ist das Unternehmen gegenwärtig eine Ikone in der weltweiten Versicherungsbranche. Die Rede ist vom chinesischen Versicherer Ping An. Wir blicken auf das Jahr 1979 zurück, in dem die Reformen samt Öffnung Chinas begannen. In Shenzhen, einem verschlafenen Fischerdorf, sind nur ein paar alte Häuser und Fischerboote am Strand zu sehen.

Die Zeit haben die Menschen im chinesischen Süden nicht ungenutzt verstreichen lassen. Heute – nach 40 Jahren – ist Shenzhen mit 13 Mio. Einwohnern die wirtschaftlich lebendigste und technisch innovativste Stadt Chinas. An dem Ort, wo vor 40 Jahren einfache Wohnhäuser von armen Fischern standen, ragt das Hauptquartier der im Jahr 1988 gegründeten Ping An mit einer Höhe von 660 Metern in den Himmel.

Für 2021 belegt das Vorzeigeunternehmen im Rating von Fortune unter den weltbesten 500 Unternehmen Platz sechs mit einem gesamten Jahresumsatz von 169 Mrd. US-Dollar, einem Gewinn von 20,8 Mrd. US-Dollar und einem Gesamtvermögen von 1.453,8 Mrd. US-Dollar. Die Marke Ping An wurde von Brand Finance in 2020 als die wertvollste Marke in der Versicherungsbranche weltweit ausgezeichnet. Im Rating der Weltorganisation für Geistiges Eigentum (WIPO) steht das Unternehmen aus Shenzhen mit seinen in 2020 1.604 gemeldeten Fintech-Patenten an der Spitze.

Bereits Mitte der 90er-Jahre, als sich die Ping An auf dem dynamischen Wachstumspfad befand, erkannte das Unternehmen, dass das Wachstum irgendwann an die Grenze stoßen werde, würde man ausschließlich auf dem Feld der Versicherung weitere Schlachten schlagen. Ein Ausweg wurde schnell gefunden. Die Strategie des „Integrierten Finanzgeschäftes“ wurde eingeführt. Um diese Strategie verständlich zu machen, soll der legendäre Mitgründer des Unternehmens Ma Mingzhe zu seinen Mitarbeitern gesagt haben: „Wenn ein Kunde bei uns nur eine Kfz-Versicherung hat, wird er trotz guter Serviceleistungen irgendwann das Weite suchen, wenn wir nicht mit dem Bankgeschäft nachkommen.“

„Transforming business with technology.“ Das ist ein Slogan, den Ping An sich seit jeher auf seine Fahnen geschrieben hat. Das Unternehmen hat vor ein paar Jahren selbst erklärt, dass es sich von einem klassischen Finanz- zu einem Technologieunternehmen gewandelt habe. Man sollte allerdings nicht den Trugschluss ziehen, dass Ping An nur noch auf Technologie setzt. Entscheidend ist, wie man die Technologie einsetzt. Das deklarierte strategische Ziel von Ping An ist, weltweit führender Anbieter für Finanzservices zu werden.

Dazu soll die Technologie dienen. Fokussiert hat man sich dafür auf zwei große Geschäftsbereiche: Finanz- und Gesundheitsservice. Die Säulen, die das Erreichen des strategischen Ziels unterstützen sollen, bestehen aus vier Ökosystemen, nämlich Finanz-, Gesundheits-, Auto-Service und Immobilienfinanzierung.

Die Unterschiede zwischen den Bemühungen der Ping An und von Versicherern in Deutschland oder dem Rest der Welt um Digitalisierung und Ökosysteme machen sich in folgenden Punkten bemerkbar:

  • Vorgehensweise bei der Kundenorientierung: Ping An setzt den Fokus auf Lebensszenarien von Menschen als Basis für ihre Innovationskonzepte, während die meisten deutschen Versicherer als Kundenorientierung die Beachtung von „Customer Journey“ in den Vordergrund stellen. Die Lebensszenarien, die nicht exklusiv an bestimmte Branchen gebunden sind, sind lebhaft und dynamisch. „Customer Journey“ hingegen basiert im Grunde genommen auf den von Versicherern angenommenen und fest codierten Abläufen von Kundenaktivitäten entlang eines Produktzyklus.
  • Umfang der Ökosysteme: Die Ökosysteme der Ping An sind branchenübergreifend und ambitioniert. Man bietet nicht nur versicherungsfremde Dienstleistungen an, sondern verankert auch die Services von Dritten als feste Bestandteile in eigenen Ökosystemen. Deutsche Versicherer ziehen bei ihren Ökosystemen keine größeren Kreise und statten ihre Plattformen eher bescheiden aus.
  • Verständnis vom Zweck der Digitalisierung: Viele Versicherungen in Deutschland wollen moderne Technologie nutzen, um die bestehenden Prozesse zu beschleunigen oder Dunkelverarbeitung zu ermöglichen. Das steht bei der Ping An nicht im Fokus. Schließlich weiß man in Shenzhen auch, dass Amazon nicht so erfolgreich hätte werden können, wenn das Unternehmen Bücher lediglich schneller ausliefern könnte.
  • Schwerpunkt der Fokussierung: Die Ping An unterscheidet klar zwischen Frontoffice und Backoffice und setzt dementsprechend bei der Innovation der IT konsequent auf das Frontoffice. Bei vielen deutschen Versicherungen ist diese Unterscheidung nicht so derartig ausgeprägt.

IBM hat in der Studie in 2019 konstatiert, dass das Wachstum eines Versicherungsunternehmens nicht mit der Investition im Bereich der Backoffice-IT positiv korreliert. Demnach sollen auch die Anzahl der Einsatzjahre der IT und die Zunahme der Anzahl von IT-Anwendungen keine Rolle bei der Steigerung von Einkommen spielen. Die Studienergebnisse von IBM bestätigen die Erkenntnisse aus einer Untersuchung der Versicherungen in 20 Ländern vom Beratungshaus Bain aus dem Jahr 2017. Diesen zufolge bestehen die Erfolge der Vorreiter bei Ökosystemen darin, dass sie sich in dem ersten Schritt auf die Verknüpfung von neuen Systemen mit den Altsystemen konzentrieren, statt zuerst die Altsysteme zu modernisieren.

Autor: Heng Yan

Den vollständigen Beitrag lesen Sie in der aktuellen Juli-Ausgabe der Versicherungswirtschaft.

5 Kommentare

  • Ein schöner Bericht und eine tolle Darstellung wie Unternehmertum aussieht und auch funktioniert. Ping An wird sich ausbreiten und sitzt heute schon in vielen guten Stuben der Versicherungswirtschaften. Die Zielstellungen sind bei Ping An klar formuliert und der Beweis, Sozialismus funktioniert. Ein Beweis, dass der Kapitalismus wahrscheinlich unter der Betrachtung seiner Schaffenszeit, sich in seinen letzten Atemzügen befindet. Meine bereits getätigten Prophezeiungen werden sich also bewahrheiten. Ein Trauerspiel. Sozialismus besiegt Kapitalismus kampflos durch menschliches Versagen. Schade. Ich werde nicht mehr erleben, was zu diesem Thema später in den Geschichtsbüchern steht.

  • Das ist ja wirklich verrückt. Im zweiten Artikel mit dem Titel: Wie Versicherer den KMU-Markt erobern können sind schon zukünftige Tendenzen klar erklärt. Eine Steilvorlage wie man sie selten im Leben bekommt. Wow. Bin ich schon zu Lebzeiten ein erstklassiger Marktbeobachter und kann Zusammenhänge schnell und treffsicher erkennen? Es ist wahrscheinlich nicht das Ding der BRD beständig, nachhaltig und zukunftsweisend die Dinge anzugehen. Wirklich schade.

  • Das Beispiel von Ping An zeigt sehr gut, was freie Marktwirtschaft möglich macht. Als der Staat Ende der 70er in China die Anfänge der freien Marktwirtschaft zuließ haben findige geschäftstüchtige Menschen das erfolgreich genutzt. Leider wird auch dieses Unternehmen über kurz oder lang nur existieren dürfen, wenn es sich dem sozialistischen chinesischem Regime unterordnet.

  • Eine Top Analyse die sich Entscheider in Deutschland mal auf der Zunge zergehen lassen sollten. Danke

  • Praxisrelevante Darstellung über eine systematische Unternehmensentwicklung eines Versicherers und seines umfassenden Ökosystems.

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