Unerreichbares Vorbild Ping An? „Der Aufbau digitaler Vollversicherer als Modell hat sich in Deutschland noch nicht durchgesetzt“

Ping An Finance Center, Quelle: Ping An

Seit 75 Jahren begleitet die Zeitschrift Versicherungswirtschaft die Entwicklungen der Branche. Diese hat sich in dieser Zeit mehr als einmal gravierend verändert. Heute sind es die Digitalisierung und die in deren Zuge neu entstehenden Marktteilnehmer, die das Bild der Branche erneut verändern. Auch der chinesische Big Player Ping An spielt in diesem Umfeld eine wichtige Rolle. Ein Gastbeitrag von Torsten Oletzky.

Kontrovers und mitunter leidenschaftlich diskutiert wird die Frage, ob die Digitalisierung und das Auftreten der Insurtechs zu einer Disruption in der Versicherungswirtschaft führen wird. Der Duden definiert Disruption als eine „einschneidende (meist zerstörerische) Veränderung“ – diesen Punkt haben wir in der deutschen Versicherungswirtschaft noch nicht erreicht.

Während digitale Ökosysteme in Deutschland vor allem als Schlagwort in den Fachmedien und den Veröffentlichungen der Versicherer auftauchen, bislang aber noch keine nennenswerte ökonomische Relevanz erlangt haben, wird ihr tatsächliches Potenzial beim Blick nach China mehr als deutlich. Digitalversicherer wie Ping An oder Zhong An verdanken ihre Stärke ganz maßgeblich einer konsequenten Ausrichtung auf digitale Ökosysteme. Dabei gelingt es diesen Versicherern, in den digitalen Ökosystemen nicht nur mitzuspielen, sondern sie als Orchestratoren maßgeblich zu gestalten.

Die Ping An ist mit diesem Ansatz zum wertvollsten Versicherer weltweit aufgestiegen, mit deutlichem Vorsprung vor der Allianz, der Axa und den übrigen etablierten Versicherungskonzernen. Ebenfalls interessant ist im chinesischen Markt die Rolle der Internet-Giganten. Was für den Westen Google, Facebook und Amazon sind, das sind in China Alibaba und Tencent. Und während unter Versicherungsexperten in den westlichen Märkten die Spekulation über das ob, wann und wie eines möglichen Markteintritts von Google oder Amazon immer noch ein beliebtes Spiel ist, ist dieser Markteintritt in China bereits Realität. Ant Financial, die Fintech/Insurtech-Tochter von Alibaba, gilt mit einer Bewertung von ca. 200 Mrd. US-Dollar als das branchenübergreifend wertvollste Start-up der Welt.

In den USA hat die Digitalisierungswelle in der Versicherungswirtschaft und die Gründung von Insurtech-Start-ups etwa drei bis fünf Jahre früher als in Europa begonnen. Entsprechend finden wir in den USA heute Insurtech-Start-ups, die bereits den Kinderschuhen entwachsen sind. Oscar in der Krankenversicherung, Root und Metromile in der Kfz-Versicherung sowie Lemonade und Hippo in der privaten Sach- und Haftpflichtversicherung haben sich im Markt etabliert.

Ihre Marktanteile gemessen an den Beitragseinnahmen sind immer noch überschaubar, aber die Investoren setzen großes Vertrauen in sie. So erzielten diese Unternehmen Bewertungen von bis zu knapp unter zehn Mrd. US-Dollar bei ihren – teils von „Special Purpose Acquisition Companies“, kurz: SPACs unterstützten – Börsengängen, auch wenn die Bewertungen zuletzt wieder leicht nachgaben. Der Zugang zu frischem Kapital ermöglicht es diesen Unternehmen, ihre Technologiebasis weiter auszubauen und weiteres aggressives Wachstum zu finanzieren.

Auffällig ist, dass sich der Aufbau digitaler Vollversicherer als Modell in Europa und Deutschland bislang noch nicht durchgesetzt hat und es auch einem Unternehmen wie Lemonade bislang nicht gelingt, im europäischen
Markt nennenswert Fuß zu fassen. Gleichzeitig scheint es schwer vorstellbar, dass der Trend zu voll-digitalen Anbietern komplett am europäischen Markt vorbeigehen sollte.

Die Digitalisierung wird die Versicherungswirtschaft nachhaltig verändern, ganz gleich, ob dieser Prozess nun als Disruption oder eher als evolutionäre Veränderung ablaufen wird. Wollen die Versicherer auch in Zukunft aus Kundensicht relevant bleiben und sich gegen potenziell neu in den Markt eintretende Technologieunternehmen behaupten, so müssen sie sich dieser Herausforderung schnell stellen. Um eigene Defizite in der Entwicklungsgeschwindigkeit und die Probleme von Legacy-IT-Systemen zu umgehen, kann die Kooperation mit Insurtech-Start-ups ein Weg sein, die erforderlichen Innovationssprünge zu machen.

Autor: Torsten Oletzky, Institut für Versicherungswesen der Technischen Hochschule Köln und Vorstand im Insurlab Germany

Den vollständigen Beitrag lesen Sie in der aktuellen Ausgabe der Versicherungswirtschaft.

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