BGV-Chef Edgar Bohn im Interview: „Wir sind aktuell mitten in der Komplett-Überarbeitung unserer Firmenprodukte“

Edgar Bohn, Vorstandsvorsitzender des BGV in Karlsruhe. Quelle: BGV

Wie hat sich der BGV im Corona-Jahr 2020 geschlagen? Und welche langfristigen Folgen hat die Pandemie auf den Alltag des badischen Versicherers? Exklusive Antworten darauf hat BGV-Vorstandschef Edgar Bohn im Gespräch mit VWheute.

VWheute: Beginnen wir mit dem Vergangenen. Wie war das Coronaerlebnis 2020 für den BGV?

Edgar Bohn: Zum Schutz unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und um unserer gesellschaftlichen Verantwortung gerecht zu werden, haben wir in der Pandemie von Anfang an eher früher und konsequenter reagiert, als es die Politik verlangte. Im Frühjahr waren wir in der Lage, von einem auf den anderen Tag nahezu alle Mitarbeiter von zu Hause aus arbeiten zu lassen, ohne dass wir in unserer Arbeitsleistung nachgelassen hätten. Als sich die Lage im Herbst wieder verschärft hatte, waren wir also gewappnet und sind es nach wie vor. Es fehlt allerdings der soziale Austausch unter den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und natürlich oftmals: der trotz aller Digitalisierung wichtige direkte Kundenkontakt.

VWheute: Jetzt ist es ja leider so, dass Corona noch (lange) nicht vorbei ist. Was erwarten Sie in diesem Jahr?

Edgar Bohn: Natürlich fällt es auch uns schwer, in diesen Tagen konkrete Prognosen zu tätigen. Wir gehen aber von einem moderaten Wachstum aus, vor allem im Privatkundengeschäft. Hier werden wir im Mai mit neuen Versicherungsangeboten speziell für Familien an den Start gehen. Hinzu kommt ein naturgemäß geringeres Schadenvolumen in der Kfz-Versicherung, solange die Corona-Einschränkungen anhalten. Auf der anderen Seite haben wir es weiterhin mit – trotz leichter Steigerung – niedrigen Zinsen sowie insgesamt unsicheren Finanzmärkten zu tun.

VWheute: Im letzten Jahr stieg der Schadenaufwand, ohne die 2020er-Zahlen vorwegzunehmen, ist es im Kommunalgeschäft nicht schwierig, die Zeichnungs- und Prämienpolitik entscheidend zu beeinflussen?

Edgar Bohn: Hier gelten in der Tat andere Rahmenbedingungen als die üblichen Wettbewerbsregeln, da wir gegenüber den Kommunen und kommunalen Unternehmen verpflichtet sind, auch schwere Risiken zu decken, zum Beispiel Umweltrisiken oder Krankenhaushaftpflicht. Am Markt sind diese Risiken, wenn überhaupt, nur schwer versicherbar.

VWheute: Viele kommunale Gebäude standen während der Pandemie teilweise oder komplett leer, ist das für die Schadenentwicklung gut oder schlecht?

Edgar Bohn: Tendenziell konstatieren wir bei Leerstand sogar ein höheres Risiko, da eher Gelegenheit zu Brandstiftungen besteht oder beispielsweise Leitungswasserschäden später entdeckt werden. Insgesamt ging die Anzahl der Großschäden 2020 nicht zurück.

VWheute: So, zum Privatgeschäft, haben Sie Ihren Vertrieb in Zeiten der Krise umgestellt, gibt es Felder in Ihrem Angebot, die online schwieriger zu vermitteln sind?

Edgar Bohn: Wir waren schon vor der Krise digital umfassend aufgestellt, natürlich sind unsere Versicherungen online abschließbar. Die Nutzung dieser Kanäle ist insgesamt eine Frage des Kundenverhaltens. Natürlich steigt die Zahl derer, die sich online informieren und auch dort abschließen. Eine umfassende persönliche Beratung ist allerdings nicht so einfach zu ersetzen.

Hier haben wir mit Telefonie, Chat und Videochat gute Alternativen ermöglicht und tun das weiterhin. Unsere selbstständigen und angestellten Vertriebsmitarbeiter haben zudem unsere Kunden in dieser schwierigen Phase vermehrt kontaktiert, um Nähe zu signalisieren. Das ist gut gelungen. Im Sachversicherungsgeschäft haben wir unseren Bestand sogar ausbauen können.

VWheute: Ich erinnere mich daran, dass die Rechtsschutzversicherung zuletzt schwierig war. Wie ist der Stand?

Edgar Bohn: Der Rechtsschutzmarkt ist sehr umkämpft. Stichworte dazu sind Immobilienkredite, die zum Leidwesen der Banken massenhaft widerrufen werden, um in der Niedrigzinsphase bessere Konditionen zu erreichen, der andauernde Diesel-Abgasskandal oder die aktuelle Erhöhung der Anwalts- und Gerichtskostengebühren durch das Kostenrechtsänderungsgesetz. Aber natürlich auch Corona: Gerade beim ersten Lockdown war der Beratungsbedarf unserer Kunden sehr hoch. Stornierte Reisen und Veranstaltungen, vor allem aber Kurzarbeit waren die Themen. Hier konnten wir vielen Kunden wichtige Hilfestellungen geben.

VWheute: Was planen Sie produkttechnisch aktuell und sind die Vorbereitungen derzeit wegen der Krise auf Eis gelegt?

Edgar Bohn: Wir sind aktuell mitten in der Komplett-Überarbeitung unserer Firmenprodukte. Die Gruppenunfall- und die Gebäudeversicherung sind bereits erneuert, die betriebliche Haftpflichtversicherung folgt im Laufe des Jahres. Auch einen „runderneuerten“ Kfz-Tarif werden wir im dritten Quartal auf den Markt bringen.

VWheute: Der BGV treibt seine IT-Ausrichtung voran. Wie steht es, gab es Fortschritte bei der Dunkelverarbeitung, der Online-Beratung und den digitalen Angeboten?

Edgar Bohn: Mittlerweile wird beim BGV im Privatkundengeschäft das Neu- und Ersatzgeschäft zu 50 Prozent „dunkel“, zu 30 Prozent automatisiert mit manueller Nachbearbeitung durch Mitarbeiter und zu 20 Prozent manuell durch Mitarbeiter verarbeitet. Die zunehmende Automatisierung umfasst mittlerweile alle Vertriebskanäle. Übergreifend ist die Geschäftsprozess-Optimierung mit modernen Process-Mining-Tools im Unternehmen ein Muss geworden. Unsere Optimierungsprojekte erstrecken sich über die Antrags-, Vertrags- und Schadenprozesse. Darüber hinaus konnten wir über 35.000 Kunden neu zu digitaler Korrespondenz bewegen.

VWheute: Ein mehr an Digitalität, was die Kunden wünschen, bedeutet auch immer weniger persönlichen Kontakt. Verbaut das die Vertriebschancen für den Außendienst oder hat der Kunde immer recht?

Edgar Bohn: Die zunehmend digitale Kommunikationsbereitschaft wurde sicherlich durch Corona verstärkt, aber der Trend war schon seit Jahren absehbar. Unsere Vorbereitung auf diese Anforderungen führten zu einem mobilen, aber auch zentral vernetzten CRM-System für unsere Ausschließlichkeit – mit diversen Kommunikationsschnittstellen für Chat, Video, E-Mail und Telefonie.  Daneben werden Beratungsvideos angeboten oder neue entwickelt und es gibt modern visualisierte Angebotsrechner. Ein Vermittler, der die technischen Möglichkeiten nutzt, hat damit neue Kontaktchancen, die die eventuell reduzierten persönlichen Begegnungen kompensieren.  Natürlich steht der Wunsch des Kunden dabei im Fokus. Wir begegnen ihm dort, wo er uns begegnen möchte.

VWheute: Wir leben in kontroversen Zeiten. Sie haben fast 800 Mitarbeiter, wie gehen Sie damit um, wenn ein Mitarbeiter gegen Regeln des Unternehmens verstößt, sich beispielsweise in seiner Freizeit oder den sozialen Medien als radikaler Impfgegner, Maskenverweigerer oder Verschwörungstheoretiker zeigt. Wo liegen die Grenzen des Erlaubten, Ihre Einflussmöglichkeiten?

Edgar Bohn: Von Beginn der Pandemie an haben wir uns regelmäßig in unserer Taskforce Corona mit allen Begleiterscheinungen des Virus beschäftigt. Insgesamt schätzen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unsere Schutzmaßnahmen sehr und stehen absolut dahinter. Wir haben beim BGV keine negativen Erfahrungen mit den von Ihnen angesprochenen Phänomenen gemacht. Wir haben für alle Mitarbeiter klare Handlungsanweisungen erarbeitet, die auch eingehalten werden. Bei Verstößen würden wir dies mit den Betreffenden natürlich direkt besprechen.

VWheute: Bei der Axa hat ein Vermittler ein Anschreiben zur Unfallversicherung mit der Angst vor Impfschäden verbunden und sich im Ton vergriffen. Wie gehen Sie allgemein mit dem Spannungsfeld „Absicherungsbedarf aufzeigen, ohne Angst zu schüren“, um?

Edgar Bohn: Gerade bei diesen gesellschaftlich sensiblen und mitunter kontroversen Sachverhalten gilt es umso mehr, Risiken objektiv aus der Sicht des Kunden aufzuzeigen und mögliche Folgen hieraus darzustellen. Aber das ausdrücklich ohne zu dramatisieren oder – noch schlimmer – irgendwelchen nicht fundierten Theorien beizuspringen. Das gelingt uns sehr gut.

VWheute: Wenn Sie sich (Ihre) Geschäftszahlen anschauen, worauf achten Sie. Ist der Gewinn wichtiger als gewonnener Marktanteil, die Combined Ratio aussagekräftiger als der Schadenaufwand? Welcher Wert oder welche Kombination dieser zeigt wirklich Entscheidendes an?

Edgar Bohn: Ertrag geht vor Umsatz, aber ohne Umsatz gibt es langfristig keinen Ertrag, zumal sich die Kosten bei gleichbleibendem oder gar sinkendem Umsatz überproportional auswirken. Daher möchten wir weiter wachsen. Dabei ist in der Versicherungstechnik zwangsläufig die Combined Ratio eine wichtige, wenn nicht die wichtigste Kennzahl.

VWheute: Was sind ihre 2021-Ziele für den BGV und Ihre persönlichen?

Edgar Bohn: Gut durch die Coronakrise kommen, unseren Modernisierungskurs fortsetzen und trotz „Homeoffice“ die BGV-Kultur erhalten, die vom vertrauensvollen und sozialen Miteinander geprägt ist. Wir möchten weiterhin der verlässliche Partner für unsere Mitglieder und Versicherungsnehmer sein. Persönlich wünsche ich meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und uns allen eigentlich nur eines: Gesund bleiben!

Die Fragen stellte VWheute-Redakteur Maximilian Volz.

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