Marcel Armon: „Nach fast 15 Jahren Preisdruck hat die Industrieversicherung ihre Schmerzgrenze in einigen Sparten deutlich überschritten“

Marcel Armon. Quelle: privat

Das Gros der Verträge für Industrie- und Großkunden wurde für 2021 verlängert. In mehreren Sparten haben Versicherer die Preise jedoch deutlich angehoben, Kapazitäten verringert und Bedingungen enger gezurrt. „Diese explosionsartige Sanierung hat vielschichtige Gründe“, erklärt Branchenkenner Marcel Armon. „Nach fast 15 Jahren Preisdruck hat die Industrieversicherung ihre Schmerzgrenze in einigen Sparten deutlich überschritten.“ Im Gastbeitrag zeigt er Maklern fünf Wege auf, um nicht zwischen Versicherer- und Kundeninteresse zerrieben zu werden.

Das Renewal 2020 war eine der schwersten Verhandlungsrunden im Zusammenspiel zwischen Versicherer, Makler und Kunden. Die meisten Versicherungsverträge für Industrie- und Großkunden wurden für 2021 verlängert. Gleich in mehreren Sparten haben Versicherer jedoch Preise deutlich angehoben, Kapazitäten verringert und Versicherungsbedingungen enger gezurrt.

Diese explosionsartige Sanierung hat vielschichtige Gründe. Nach fast 15 Jahren Preisdruck hat die Industrie-Versicherung ihre Schmerzgrenze in einigen Sparten deutlich überschritten. Schon in den vergangenen Renewal-Runden erlitten Kunden Preiserhöhungen und Kapazitätsengpässe in der Sachsubstanz- und Ertragsausfall-Versicherung; 2020 sprang die Welle der Vertragssanierungen auf andere Sparten über. Die Corona-Pandemie tat als Brandbeschleuniger ein Übriges.

Diese Erneuerungsrunde lehrt zweierlei: 1) Die Versicherer brauchen mehr Geld in der Kasse und nutzen die Gunst der Stunde für Preisanpassungen. Sie haben gelernt, dass sich das Fenster für Prämienanpassungen rasch wieder schließt. 2) Die dünne Personaldecke im Underwriting der Versicherer verhindert, dass Kundenrisiken individuell betrachtet und qualifiziert diskutiert werden. Massenabfertigung ist in Renewal-Runden Teil der Strategie der Versicherer. Aus Kundensicht ist diese Sanierungsrunde verloren. Umso wichtiger ist es nun, sich auf die nächste Sanierungsrunde vorzubereiten.

To-Do’s für Makler, um nicht zwischen Versicherer- und Kundeninteresse zerrieben zu werden

1. Erwartungen managen

Es ist mit weiteren Prämienerhöhungen zu rechnen. Die Sanierung kann auch in bisher weniger im Fokus stehenden Branche wie die allgemeine Haftpflicht-Versicherung überspringen. Daher gilt: Kunden jetzt frühzeitig die Situation am Markt transparent machen. Schlechte Nachrichten werden dadurch nicht besser, dass sie die Kunden erst wieder Ende 2021 im Rahmen des nächsten Renewals kalt erwischen. Denn auch Kunden suchen Planungssicherheit und müssen ihre Budgets aufsetzen.

2. Selbsttragung ausweiten

Makler sollte gemeinsam mit dem Kunden dessen Versicherungsphilosophie beleuchten und den veränderten Marktbedingungen anpassen. Es bietet sich an, Selbsttragung für potenzielle nicht existenzbedrohende Schäden einzuführen oder zu erhöhen. Bei langjährigen Versicherungsverträgen ist entscheidend, ob der Kunde diese heute noch so braucht oder die Finanzkraft hat, solche Schäden selbst zu tragen. Das lässt sich anhand der Schadenerfahrungen der letzten Jahre ableiten. Auch wer den Vertrag nicht gänzlich aufgeben will, kann er ein größeres Stück vom Risiko tragen und Selbstbeteiligungen je Schaden oder als Jahresaggregat nennenswert erhöhen. Gleiches gilt für die Vereinbarung von (Jahres-) Höchstentschädigungen

3. Architektur überdenken

Anders als in der Gewerbe-Versicherung finden sich in der Industrieversicherung wenige Multi-Line-Produkte, die mehrere Sparten miteinander kombinieren. Gleichwohl sind sie auch kein No Go. Sinnvoll ist, mit dem Versicherer über Bündelungen von Verträgen zu sprechen, so dessen Prämienkuchen zu vergrößern und dafür Rabatte zu erhalten. Häufig sind Bündelungen in der Sachsparte unter Hinzunahme von Elektronik-, Maschinen- und Transportrisiken. Aber auch die Platzierung mehrerer Risiken als eigenständige Verträge bei den gleichen Versicherern führt dazu, dass der Versicherer in Prämienkonditionen entgegenkommen könnte.

Bei internationalen Programmen ist zudem zu prüfen, ob diese zwingend in der integrierten Form platziert werden müssen. Vielleicht ist ein koordiniertes Programm unter Einbindung lokaler Auslandspolicen bei Dritt-Versicherern für den Kunden preislich attraktiver. Denn für ein koordiniertes Programm kommen in Deutschland wesentlich mehr Anbieter für den Master-Vertrag als Versicherer infrage als für den ohnehin engen Markt der Anbieter integrierter internationaler Versicherungsprogramme.

4. Langfristig denken

In den nächsten zwei bis drei Jahren werden die Prämien weiter steigen. Daher sollten Makler im Sinne ihrer Kunden jetzt mit den Versicherern über Mehrjahresverträge verhandel. Zwar gehen Versicherer ungern mehrjährige Bindungen in der Industrie-Versicherung ein und verweisen stets auf die mangelnde Unterstützung der Rückversicherer für solche Vorhaben. Das Argument ist aber wenig valide, denn gegen einen vertretbaren Prämienzuschlag finden sich Anbieter für Mehrjahresverträge. Wer nicht mitmacht ist vielleicht auch nicht der richtige Versicherer. Denn das sind diejenigen Anbieter, die auch im nächsten Jahr um fünf vor zwölf mit einer Sanierungsforderung um die Ecke kommen werden.

5. Berechnungsbasis adjustieren

Prämien berechnen sich auf den Versicherungssummen und Umsatzwerten der Kunden. Gerade bei den Umsätzen ist genau hinzuschauen. Ist mit rückgängigen Umsätzen zu rechnen, empfiehlt es sich, Vorausprämien auf niedrigem Niveau anzusetzen. Das gilt auch für die Berechnung der Betriebsunterbrechungs-Summen (BU). Führen die Umsatzmeldungen der Kunden aus den Jahren 2019 und 2020 zur Prämiennachzahlung, sollte versucht werden, diese durch Verhandlung mit dem Versicherer für den Kunden zu reduzieren – und vielleicht sogar gänzlich entfallen zu lassen.

Fazit: Kunden werden weiter leiden

In den letzten 15 Jahren haben die Makler für ihre Kunden bestmögliche Prämien und Bedingungen verhandelt und den Preistrend hervorragend mitgenommen. Die Aufgabe der Makler jetzt ist eine andere. Jetzt geht es darum, die Preisauswirkungen nach oben bestmöglich abzufangen. Kunden werden durch die harte Marktphase aber weiter leiden.

Autor: Marcel Armon, Branchenkenner und Maklerexperte

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