Allianz-Transformationsexperte Veit Stutz: „Es geht nicht alles ohne Schmerz, aber er ist bei uns überschaubar“

Veit Stutz, Head of Business Transformation Allianz, Quelle: Allianz

In den letzten rund anderthalb Jahren hat die Allianz mächtig an ihren Strukturen getüftelt. Herausgekommen ist das konzerneigene Customer Modell, das Prozesse vereinfacht, Produkte vereinheitlicht und skalierbar macht. Jetzt steht die nächste Mammutaufgabe an. Das Modell soll mit der IT-Masterplattform vereint werden. Veit Stutz, Head of Business Transformation der Allianz SE und Drahtzieher im Hintergrund, verrät im Exklusiv-Interview mit der Versicherungswirtschaft, was Change für ihn bedeutet und was jetzt auf den Mitarbeiter zukommt.

Versicherungswirtschaft: Was bedeutet Transformation für Sie? Keine wissenschaftliche, aber bitte eine unternehmerische Definition.

Veit Stutz: Dazu vielleicht zunächst ein paar Ausführungen zum Paradigmenwechsel bei der Allianz, der das ganze Thema angestoßen hat. Die Versicherungswirtschaft hat allgemein immer versucht, die Customization hochzuhalten. Klauseln wurden eingebaut, erweitert und wieder überarbeitet. Ähnlich lief es bei den Produkten. Damit hat sich die Komplexität in den letzten Jahrzehnten extrem erhöht, die Kosten wuchsen enorm. Wenn man zukunftsorientiert agieren möchte, muss die Kostensituation deutlich schlanker aufgestellt sein. Ausgangspunkt der Transformation war es also, Komplexität und Kosten signifikant zu reduzieren. Das versuchen wir mit unserem Programm.

Versicherungswirtschaft: Ist das alles besser für die Allianz oder für den Kunden?

Veit Stutz: Für beide. Kunden äußern Customization heute nicht als Haupterwartungspunkt. Was sie äußern, ist die Forderung, keine negativen Überraschungen erleben zu wollen und Produkte, die sie verstehen. Sie wollen wissen, was drin ist – und das bitte in einem kundenfreundlichen Umfeld. Wir versuchen nicht nur innerhalb einer Landesgesellschaft die Produkte entsprechend schlank aufzustellen, sondern sie so zu definieren, dass sie über Landesgesellschaften hinweg harmonisiert und skalierbar sind.

Versicherungswirtschaft: Der Konzern profitiert auf Kostenseite …

Veit Stutz: Es hilft uns die Kostensituation enorm positiv zu beeinflussen, weil in unseren Dutzenden Landesgesellschaften nicht mehr jeder sein eigentlich identisches Produkt noch­mal neu definiert. Wir haben ein Produkt, das länderübergreifend gebaut werden kann. Das macht einen Riesenunterschied.

Versicherungswirtschaft: Welche Produkte haben Sie konkret im Portfolio?

Veit Stutz: Ein Leuchtturm aus dem Allianz Customer Modell (ACM) ist der Privatschutz-2.0 in Deutschland. Es folgt genau dieser Vereinfachungs- und Skalierbarkeitslogik. Die Vertreterschaft berichtet von einem verständlich gebauten und gut verkaufbaren Produkt. Wir haben zwei bis drei Mal mehr Vertragsabschlüsse im Vergleich zur alten Version. Ein fast identisches Produkt wird darüber hinaus inzwischen in Italien, über den Multiagentenkanal, vertrieben. Das ist eine noch etwas größere Herausforderung. Hier sehen wir ähnliche Entwicklungen der Neuverkaufszahlen mit ähnlich positivem Feedback. Zur Einordnung: Die Kollegen in Italien haben zuvor 700 verschiedene Nonmotor-Produkte im Portfolio gehabt. Das ist verrückt. Durch unser Programm haben wir diese Zahl durch ein Masterprodukt ersetzt.

Versicherungswirtschaft: Die Allianz ist mittendrin im Transformationsprozess. Wohin bewegt sich der Konzern?

Veit Stutz: Transformation ist keine Sache von einem oder zwei Jahren. Das Thema wird uns über die nächsten Jahre fortwährend begleiten. Es wäre fahrlässig zu sagen ‚alles ist wunderbar, wir haben die Nuss geknackt‘. Dem ist natürlich nicht so.

Versicherungswirtschaft: In den letzten 18 Monaten hat die Allianz das Geschäftsmodell neu gebaut. Worauf liegt nun der Fokus?

Veit Stutz: Jetzt geht es darum, das Allianz Customer Modell mit unserer IT-Masterplattform zu vereinen, um es im Endeffekt auf einer Plattform skalierbar zu machen. Das ist eine große Herausforderung, weil wir die beiden Komponenten Modell und Plattform zusammenführen und global skalieren. Das hat noch kein Versicherer gemacht.

Versicherungswirtschaft: Das Projekt ist von der Konzernspitze um CEO Oliver Bäte verordnet. Es geht in Richtung Plattform …

Veit Stutz: Das ist absolut richtig. Sowohl Herr Bäte als auch Herr de la Sota haben die Vorgabe gesetzt. Und es geht in Richtung Plattform. Wir setzen bei drei Komponenten an: Produkten, Prozessen und Plattformen. Um Komplexitäten signifikant zu reduzieren, müssen alle drei Bereiche bearbeitet werden. Wenn man etwa Produkte gestaltet, ohne die Prozesse anzugreifen, kann die neue Produktdesign-Logik überhaupt nicht in die Plattform gebracht werden. Also wurde die Prozesslandschaft reduziert, um das Kundenerlebnis nicht nur beim Onboarding, sondern auch im Schadenfall etc. zu optimieren. Wenn wiederum Produkte und Prozesse stehen, zugleich aber über 70 verschiedene Plattformen weltweit existieren, resultiert daraus ein noch immer unnötig hoher Kostenblock. Für uns geht das Thema Plattformen strikt einher mit dem Thema Simplifizierung.

Versicherungswirtschaft: Wie wird die Allianz in zehn Jahren Ihrer Meinung nach aussehen in ihrer Grundstruktur?

Veit Stutz: Über die letzten 100 Jahre hat sich die Versicherungswirtschaft kaum verändert, wenn man beobachtet, wie die Vertriebskanäle oder Produkte gestrickt waren. Das ist schon bemerkenswert. Ich glaube, dass der Kern unseres Schaffens unverändert bleibt. Wir werden uns aber wegbewegen vom reinen Produktverkauf hin zum Angebot ganzer Versicherungsleistungen. Keine Schaden-Auszahlung-Beziehung, sondern eine ‚Wir-lösen-das-Problem-für-dich-Beziehung‘. Das ist eine Entwicklung, die nicht mehr aufzuhalten ist.

Versicherungswirtschaft: Versicherer wollen nicht mehr der Bargeldauszahler für einen Schaden sein …

Veit Stutz: Ich glaube auch, dass wir uns in Richtung 360-Grad-Finanzdienstleister bewegen und viel mehr in die digitalen Möglichkeiten einsteigen werden, die der Markt bietet. Die Allianz wird man dennoch in zehn Jahren noch als Allianz erkennen.

Versicherungswirtschaft: Am Kerngeschäft Versicherung wird nicht gerüttelt?

Veit Stutz: Nein. Ich glaube auch nicht, dass es in zehn Jahren fliegende Taxis gibt. Am Kerngeschäft Versicherung wird nicht gerüttelt.

Versicherungswirtschaft: Hat Corona den Transformationsprozess verschärft?

Veit Stutz: Covid war für uns ein Katalysator, um die Strategie weiter zu beschleunigen. Zuvor haben wir strategisch die richtigen Punkte bearbeitet, aber die Krise war natürlich ein Lackmustest. Von heute auf morgen anders zu arbeiten, anders zu interagieren wurde plötzlich zur Notwendigkeit. Wir hatten überall in unseren Kernländern die digitale Agentur entwickelt. Nun kam der Moment, wo sie plötzlich voll eingeschlagen hat. Ich glaube, dass in dieser Situation alle froh darüber waren. Die Krise hat gezeigt, dass wir die richtigen Themen aufgegriffen haben und die richtigen Themen funktionieren.

Versicherungswirtschaft: Zur Transformation gehört auch der Wandel in der Allianz Belegschaft. Wie wird sich diese ändern?

Veit Stutz: Bewegung ist für die Versicherer grundsätzlich wichtig. Es gibt Beispiele wie den IT-Konzern IBM, der seine Strukturen alle zwei Jahre fundamental geändert hat, um sicherzustellen, dass die Dynamik im Unternehmen erhalten bleibt. In Deutschland ist man vorsichtiger. In Polen etwa war es gang und gäbe schnelle Änderungen in Sachen Belegschaft vorzunehmen. Auch das Personal selbst war viel mobiler. So war es völlig normal, dass jemand sagte, dass der Job keinen Spaß mehr mache und er in drei Monate z.B. zur Konkurrenz wechsele.

Versicherungswirtschaft: Bäte sagte einmal, „wer nicht mitmacht, kann gehen.“ Wie sehen Sie das?

Veit Stutz: Es ist durchaus wichtig zu formulieren, dass wir alle brauchen, um die Transformation hinzubekommen. Wir brauchen die Belegschaft für einen erfolgreichen Wandel. Momentan kommt es manchmal vor, dass Mitarbeiter Informationen von einem Screen auf den anderen abtippen. So etwas abzustellen und das Personal ihren Skills entsprechend einzusetzen, ist für alle Beteiligten gewinnbringend. Es geht nicht alles ohne Schmerz, aber er ist bei uns überschaubar.

Versicherungswirtschaft: Stellenstreichungen sind immer einer der letzten Schritte. Ein Exit, wenn nichts mehr hilft. Wie entwickelt die Allianz ihr Personal?

Veit Stutz: Im Rahmen des Strategic Workforce Planning zeigen wir ihnen Wege auf, sich für die Zukunft zu rüsten. Wir bereiten sie hier gezielt darauf vor, welche Fähigkeiten sie in fünf Jahren brauchen, um „wettbewerbsfähig“ zu bleiben. Auf der anderen Seite stehen wir als Versicherer in der Pflicht, sie dabei zu begleiten und sie in die von uns anvisierte Zielrichtung mitzunehmen. Diese besteht nicht darin, alte Mitarbeiter rauszuschmeißen und sie durch neue zu ersetzen, sondern der aktuellen Belegschaft Neues beizubringen. An diesem Thema arbeiten wir eng mit unserer HR-Abteilung zusammen. Wir liefern die Businessmodell-Seite mit entsprechenden Anforderungen zu, während HR Wege auslotet, um das Personal zu aktivieren und auf die neuen Aufgaben vorzubereiten.

Versicherungswirtschaft: Kann ein Sachbearbeiter Ü50 die digitalen Zielvorgaben aus der Führungsetage erfüllen?

Veit Stutz: Ich würde das nicht reduzieren auf eine Altersgruppe. Das hat nichts mit dem Alter zu tun. Wir sehen über alle Altersgruppen die gesamte Bandbreite – von „Begeisterten“ über die „Schmerzfreien“ bis hin zu den „Strategieverweigerern“. Diese Fragmentierung ist aus meiner Sicht allerdings ganz normal und auch nachvollziehbar.

Die Fragen stellte VWheute-Chefredakteur Michael Stanczyk.

Das vollständige Titelinterview lesen Sie in der aktuellen Dezember-Ausgabe der Versicherungswirtschaft.

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