Der Corona-Knall: Wie lernfähig ist die Branche?

Quelle: Thomas-Suisse auf Pixabay

Die deutsche Versicherungswirtschaft hat dazugelernt. Kaum ein Jahr hat der Branche gleich auf mehreren unternehmerischen Ebenen so viel abverlangt wie dieses – wirtschaftlich, technisch, organisatorisch. Die Prozesse laufen, doch das Geschäft ist gestört. Digitale Probleme sind nicht gelöst und die Debatte um die BSV hat Spuren hinterlassen. Einer der großen Versicherungs-CEOs stellt offen klar, dass dadurch viel Vertrauen zerstört worden sei.

„Nach der erfolgreichen Schockbewältigung besteht nunmehr die große Herausforderung darin, einen Normalbetrieb in einer neuen Welt mit Covid-19 herzustellen und das Momentum zur strategischen Neuausrichtung der Organisation zu nutzen“, sagt Stephan Maier, Partner und Managing Director bei EY-Parthenon Financial Services. Eine Mammutaufgabe. Versicherer schlagen sich zwar wacker, doch sie agieren unter einem enormen Performance- und Wachstumsdruck. Laut Managementberatung Zeb sollen die Gewinne der Branche in diesem Jahr um satte 30 Prozent einbrechen. Auch das ist Corona. Die Prozesse laufen, das Geschäft ist gestört.

„Unzulänglichkeiten in den Originalbedingungen“

„Die aktuelle Pandemie hat vielen Versicherungsnehmern und ihren Versicherern deutlich gemacht, dass vermeintlich klare Deckungszusagen im Schadenfall völlig konträr interpretiert werden“, berichtet Swiss-Re-Manager Frank Reichelt. „Neben unzufriedenen Kunden und zahlreichen Gerichtsverfahren hat dies der Versicherungswirtschaft einen nachhaltigen Reputationsverlust eingebracht. Die Unzulänglichkeiten in den Originalbedingungen haben auch für die Rückversicherungsverträge Unsicherheit gebracht: Was wird letztendlich gedeckt? Welche Exposures können sich aus einer Pandemie, einer Epidemie oder anderen Infektionskrankheiten ergeben?“

Fälle und Leistungspflichten um die Betriebsschließungsversicherung gehören seit Beginn der Coronakrise zu den heißesten Branchenthemen. In den Augen von Frank Walthes war eine BSV allerdings nie für den Fall gedacht und kalkuliert, dass eine gesamte Branche, ein gesamtes Kollektiv seitens des Staates geschlossen wird. Der Manager glaubt nicht, dass die Branche Fehler gemacht hat, weil sie ein bis dato nicht denkbares Ereignis nicht in ihren Versicherungsbedingungen vollumfänglich berücksichtigt hat.

Versicherer gegen die Öffentlichkeit

Aus rein fachlicher und unternehmerischer Sicht mögen die vorgetragenen Argumente verständlich sein. Nur bekommt die breite Öffentlichkeit von den Experten-Talks bestenfalls am Rande etwas mit. Der Kunde hat in seinem eigenen Verständnis eine Versicherung abgeschlossen. Er hat dafür bezahlt. Er will entschädigt werden. Wenn das nicht passiert wird der Assekuranz schnell der Stempel der „Nichtzahler“ aufgedrückt.

Ein Versicherungsjurist einer internationalen Top-Kanzlei erklärte gegenüber der Versicherungswirtschaft, dass sich die Branche in der Debatte um die BSV nicht sehr gut verkaufen würde. In den meisten Fällen würde Versicherern Recht zugesprochen werden. In der Öffentlichkeit entstehe der Eindruck, als sei es umgekehrt der Fall.

Die Frage aber, ob eine so finanzstarke Branche wie die Versicherungswirtschaft in einer so tiefgreifenden Krise nicht hätte tiefer in die Tasche greifen können, bleibt. Top-Manager Ulrich Leitermann seinerseits ist überzeugt, dass „Versicherer in der Corona-Krise insgesamt ausgezeichnete Arbeit leisten“. Beim Thema BSV dagegen habe man sich schlecht präsentiert.

Ein Problem liege in der Tatsache, dass einzelne Versicherer unterschiedlich agieren. Kunden könnten das nicht nachvollziehen. Der Signal-Iduna-Chef fordert künftig eine einheitlichere Linie. „Es wurde viel Vertrauen zerstört, das wir uns als Branche erst wieder bei den Kunden zurückverdienen müssen. Ein Teil des Problems sind sicherlich auch die sehr unterschiedlichen AVB.“

Produkte und Prozesse auf dem Prüfstand

Produkte und Prozesse stehen auf dem Prüfstand – auch mit Blick auf ein digitales Geschäftsmodell. Versicherer sind aufgerufen, um über sich selbst nachzudenken. Gerade weil sie so gerne als Akteur wahrgenommen werden möchte, der „vom Kunden her denkt“, das in der Praxis aber oft nicht so ankommt.

 „Versicherer haben das Gebot der Stunde erkannt und schnell auf die neuen Anforderungen reagiert. Doch es gibt zwei Seiten der Medaille“, warnt Markus Heyen, Geschäftsführer und Leiter Versicherungen Deutschland bei Accenture. „Agilität und Schnelligkeit gehen mit einem gewissen Grad an Resilienz und Widerstandsfähigkeit der Prozesse einher. Sicher ist es möglich, in Notsituationen schnelle Lösungen zu generieren. Wenn diese sich jedoch verstetigen sollen, müssen Prozessketten, IT und Operations verändert werden.“

Wirkliche Veränderung findet laut Volkswohl-Bund-Vorstand Gerrit Böhm auf einem Markt am Ende nur statt, wenn das Geschäftsmodell durch digitale Prozesse verändert wird. So weit sei die Branche noch nicht.

Den vollständigen Hintergrundbeitrag lesen Sie in der neuen Dezember-Ausgabe der Versicherungswirtschaft.

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