BSV: Verstoßen die Versicherer gegen das Versicherungsvertragsgesetz?

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Bei den Rechtsstreitigkeiten um pandemiebedingte Ansprüche aus der Betriebsschließungsversicherung (BSV) argumentiert Rechtsanwalt Mark Wilhelm mit einem möglichen Verstoß gegen Paragrafen 1a des Versicherungsvertragsgesetzes. Die Branche agiere hier „hart an der Grenze“. Man habe bei den Kunden eine Erwartungshaltung in die BSV „versprochen, die nun nicht gehalten werden will – das macht unglücklich“, sagte der Anwalt der Kanzlei Wilhelm Partnerschaft von Rechtsanwälten mbB auf der MCC-Konferenz Schadenmanagement.

Zu den angebotenen 15 Prozent aus dem bayerischen Kompromiss sagte er: „Die Rechnung geht hinten und vorne nicht auf. Die Gastwirte sagen mir: Das ist Verarschung.“ Das Gesetz schreibt vor, dass „alle Informationen im Zusammenhang mit der Vertriebstätigkeit …, die der Versicherer an Versicherungsnehmer oder potenzielle Versicherungsnehmer richtet, müssen redlich und eindeutig sein und dürfen nicht irreführend sein…“ Die Düsseldorfer Kanzlei, die rund 1.000 Gastwirte, Hoteliers und Unternehmen aus der Veranstaltungsbranche vertritt, argumentiert: „Das Pandemie-Risiko war die Versicherungswirtschaft seit langem bekannt.“ Wilhelm verweist auf verschiedene ältere Publikationen der Branche und der Bundesregierung. Darunter eine, bei der „der Branchenprimus Allianz schon 2006 das Risiko analysiert hat und zum Schluss gekommen ist, es tragen zu können“, so Wilhelm. In anderen Sparten sei Pandemie ausgeschlossen. Dass es in der BSV enthalten sei, könne ein unglücklicher „Pandemie-Irrtum sein“.

Für Wilhelm hat sich die Branche bei der BSV klar verkalkuliert. Er berichtet davon, dass er sich in einigen Fällen mit Versicherern verglichen habe – und dies zur Zufriedenheit von Kunden und Versicherern. Positiv hob er die LVM, den HDI und die Signal Iduna hervor, der anders als andere keine flächendeckenden Ablehnung verschickt hätten.

Für Wilhelm hat die Branche den „Gegenwind massiv unterschätzt“. Er geht davon aus, dass die Reputationsschäden für die Assekuranz langfristige Folgen haben wird. „Hat es sich gelohnt?“, so der Anwalt. Mit dem 15-Prozent-Kompromiss sind seiner Meinung nach zwei bis vier Milliarden eingespart worden. Der Argumentation der Einzelverfügung will er nicht folgen, sondern sieht das „Hauptargument in den Listen“, die mit und ohne Öffnungsklauseln, statisch und dynamisch ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer verstehen müsse. Er rechnet damit, dass der Bundesgerichtshof am Ende über alle Listenvarianten entscheidet und die Aufzählungen für schwer verständlich hält.

Zudem berichtete er, dass verschiedene Mandanten beim Aufkommen der Pandemie im Januar und Februar in China positive Aussagen zu ihrer Deckung von ihren Versicherungsvermittler erhalten hätten „Trotzdem sind sie später abgelehnt worden“, so Wilhelm. Bis Anfang März habe die Branche noch mit der BVS geworben. Einzelne Gesellschaften hätten ihre Werbeaussagen nun sogar versucht, im Internet zu löschen. „Der Umgang der Versicherer mit den Versicherungsnehmer ist tendenziell ruppiger geworden – und mit den Kleinen scheint es ruppiger zu sein als in der Industrieversicherung.“ Es finde eine Nicht-Kommunikation statt, weil es „nur Serienbriefe mit Verklag‘ mich oder nimm die 15 Prozent“ gebe.

„Still ruht der See“, kommentierte Norbert Rollinger, Chef der R+V Versicherungen, den aktuellen Verhandlungsstand von Bund und Assekuranz in Sachen Pandemieabsicherung in Form einer Public-Private-Partnership (PPP). Für die Politik scheine die Absicherung aktuell kein vorrangiges Thema zu sein. Die Assekuranz könne das Pandemierisiko nicht tragen, da der Kollektivausgleich weder über die Zeit noch über Regionen funktioniere. Die Branche müsse sich bei der BSV vorhalten lassen, dass sie „nicht sauber“ definiert habe. Dass es sich bei der BSV nicht um eine Pandemieversicherung handeln könne, sehe man schon daran, dass sich die Prämien hier nur auf wenige 100 Mio. Euro beliefen. Bei einer Regulierung nach dem bayerischen Kompromiss (15 Prozent) würde sich das Deckungsvolumen auf rund 20 Mrd. Euro belaufen. Nach Beobachtung von Rollinger sind „je nach Haus schon 75 bis 80 Prozent der BSV-Fälle reguliert“.

Der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) wird laut Rollinger „in den nächsten Tagen sechs neue Musterbedingungen“ für die BVS veröffentlichen. „Für jeden Versicherer und für jede Zielgruppe ist etwas dabei.“ Es gebe dynamische und statische Verweisungen, mit und ohne Öffnungsklausel. Die Bedingungen hätten einen Pandemieausschluss und stellten auf die Einzelverfügung ab.

Christoph Wetzel, Vorstand der HDI Deutschland AG, sagte, dass die BSV bisher ein „Mauerblümchen“ gewesen sei. In den letzten zehn Jahren habe man eher zufällig zwei Schäden gehabt. Man habe sich gleich so positioniert, dass man Schäden anerkenne und bearbeite. Ausgangspunkt sei die Frage gewesen: Was können Vertriebspartner und Kunden erwarten? Der HDI habe rund 2.200 BSV-Schäden und bisher 58 Millionen Euro ausgezahlt. „Das ist eine spürbare Bremsspur“, so Wenzel. Man habe nach Sach- und Rechtslage reguliert und auch abgelehnt. Im Gros sei aber reguliert worden. Man sehe eine Reputationswahrnehmung in der Presse und der Vertrieb goutiere das. Bei den überarbeiteten BSV-Tarifen stelle man auf das intrinisches Risiko und die Einzelverfügung ab.

Auf ganz besonderen Diskussionsbedarf mit Kunden wies Peter Philipp, Direktor Hauptabteilung Haftpflicht-/Unfall-/Sachschaden der SV Sparkassenversicherung hin: Die überholende Kausalität. Ist ein Betrieb aufgrund eines versicherten Schadens – z. B. Brand – schon vor dem Lockdown geschlossen worden, müsse bei der Berechnung der Betriebsunterbrechungsleistung die Zeit des Lockdowns herausgerechnet werden. Denn der Schaden wäre in dieser Zeit auch ohne den Brand eingetreten. „Das gibt viele Diskussionen und ist den Marktteilnehmern nicht einfach zu vermitteln.“

Autorin: Monika Lier

5 Kommentare

  • Wo war eigentlich die DEHOGA vor der Pandemie? Warum hat nie einer das Thema vorher angesprochen? Weil niemand, auch die Assekuranz nie damit gerechnet hat das wir so etwas erleben.
    Im übrigen gibt es unterschiedlichste Formulierungen, alle ähnlich , teilweise sehr ähnlich, aber das liegt in der Natur der Sache, aber dennoch verschieden sind.. Dennoch, und das wissen insbesondere die Juristen sehr genau, kommt es oft auf den genauen Wortlaut an. Deshalb Versicherer, deren Wortlaut vielleicht eindeutiger ist, als besonders kulant darzustellen ist grenzwertig. Bleibt zu hoffen das man bald , bevor 100 tausende Euro in Gerichtsprozesse gesteckt werden zu einem höchst richterlichen Urteil kommt. Aus meiner Sicht sind die Aufsichtsbehörden, denen wurden die Bedingungswerke ja vermutlich vorgelegt wurden, genötigt nun auf eine schnelle Klärung, also höchtsrichterlichen Urteilen zu den unterschiedlichen Formulierungen zu drängen. Nochmal … keiner nicht die DEHOGA, kein Anwalt, kein Gericht hat vor der Pandemie je darauf hingewiesen das eine Pandemie versichert oder eben nicht versichert sei. Zumindest kenne ich kein Fachbuch das es so beschreibt. Lasse mich gerne belehren, bitte Title die vor der Pandemie genau diese als Leistungsfall beschreiben in möglichen Kommentaren erwähnen.

  • Ach Gottchen, ein Anwalt, der eine Klagemöglichkeit sieht. Was für ein Wunder! Und wenn die Klage dann nicht durchgeht (wie auch schon in so manchen BSV-Fällen, die NICHT in München verhandelt wurden), dann hatte hinterher das Gericht Schuld, die einfach nicht einsehen wollen, dass der Anwalt eigentlich Recht hatte.

  • Viele Anwälte vertreten schon lange nicht mehr die Interessen der Mandanten, sondern Ihrer Geldbeutel.
    Eine Klage ist immer mit ungwissem Ausgang verbunden, nur nicht für den Anwalt, der bekommt sein Honorar.

    Bei der Vielzahl von Bedingungswerken auf dem Markt jetzt auf Par 1a VVG abzuzielen ist kindisch.

  • Die Bedingungen sind unterschiedlich. Die in München verhandelten Bedingungen sind irreführend, daher wurde die Versicherung zu Recht verurteilt.

    Wer klare Bedingungen hat, hat es leicht, die Schäden abzulehnen und kommt damit vor Gericht durch.

  • Die Gastwirte erhalten Kurzarbeitergeld, Soforthilfen usw. Und zusätzlich wollen Sie von der Betriebsschließungsversicherung dann nochmals 100 % ihres Umsatzes (also ca. was weiß ich, insgesamt 150 % ihres normalen Umsatzes – schwankt sicher je nach Gastronomiebetrieb)?? Wer agiert hier denn unseriös?
    Jeder weiß, dass er Risiken aus seinem Betrieb versichert und nicht nicht Schutz gegen staatliche Schließungen ganzer Witschaftszweige. Die BSV ist doch nicht dafür da, die Gesamtwirtschaft aufzufangen, wenn diese Probleme hat.

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