Gothaer-CEO im Interview: „Die neue Strategie wird sich deutlich gegenüber dem letzten Zyklus unterscheiden“

Oliver Schoeller, CEO Gothaer. Quelle: Gothaer

Oliver Schoeller ist Betriebswirt und seit mittlerweile zwölf Jahren im Gothaer-Konzern aktiv. Im Juli stieg er zum CEO auf. Richtig zur Sache geht es aber bekanntlich erst nach der „Eingewöhnungszeit“ von 100 Tagen. Die hat Schoeller nun fast hinter sich. Ein Strategie-Interview.

VWheute: Sie beginnen als Chef des Gothaer-Konzerns mit der neuen Strategie „Ambition25“. Was beinhaltet diese?

Oliver Schoeller: Wir schalten jetzt stärker auf Wachstum. Da wir mit dem letzten Strategiezyklus deutlich an bilanzieller Stärke gewonnen haben, trauen wir uns nun mehr zu. In unserer Position als führender Partner für den Mittelstand fühlen wir uns wohl und wollen diese deutlich ausbauen. Zudem werden wir mehr als ein Versicherer sein. Das bedeutet, dass wir das Portfolio um Services ergänzen, die wir entweder selber leisten oder bei denen wir uns in Ökosysteme einbetten. Damit wollen wir unseren Kunden helfen, ihre Risiken und/oder deren Vermeidung besser zu verstehen und beim Eintritt eines Schadens dessen Folgen zu bewältigen.

VWheute: Wie sind die Zielvorgaben?

Oliver Schoeller: Unsere Position ist mit 200.000 Unternehmerkunden – bundesweit gibt es rund 2,3 Millionen Unternehmen – schon sehr stark in diesem Segment. Wir peilen hier ein Wachstum jenseits der drei Prozent an. Auch im Privatkundensegment wollen wir weiter wachsen; dort tendenziell um zwei Prozent.

VWheute: Brauchte die Gothaer eine neue Strategie?

Oliver Schoeller: Die neue Strategie wird sich deutlich gegenüber dem letzten Zyklus unterscheiden. Und das muss sie auch, weil da in einem Post-Covid-Szenario die Welt eine vollständig andere sein wird. Deshalb kommt dieser neue Strategiezyklus genau zur richtigen Zeit.

VWheute: Worin liegen die Unterschiede?

Oliver Schoeller: Wir haben in den vergangenen fünf Jahren an der bilanziellen Resilienz der Gothaer gearbeitet. Das betraf die Solvenz und die Ertragskraft des Unternehmens. Beispielsweise haben wir bei der Gothaer Leben die Substanz deutlich gestärkt, sodass die Solvenzquote von 106 Prozent (2016) auf 207 Prozent (Ende 2019) bei deutlich abgesenktem Zinsniveau gestiegen ist. Zudem haben wir den Konzern in seinem Fokus verändert: Wir konzentrieren uns stärker auf unsere Kern-Risikoträger Gothaer Leben, Gothaer Allgemeine und Gothaer Kranken. Dazu haben wir beispielsweise die Beteiligung an der Aachener Bausparkasse und das Tochterunternehmen in Polen verkauft, Roland Rechtsschutz auf zwei Aktionäre konsolidiert und die Asstel in den Konzern integriert. Kulturell haben wir das Unternehmertum im Unternehmen deutlich gestärkt – also die Verantwortung deutlich stärker auf die diejenigen delegiert, die an der Schnittstelle zum Markt agieren. Mit dieser erstarkten Kraft und Resilienz können wir jetzt stärker nach Wachstum streben und diese Fähigkeiten in Marktkraft übersetzen.

VWheute: Welche Jubiläumsfeierlichkeiten hat Corona gestattet? Was werden Sie nachholen?

Oliver Schoeller: Ja, es ist schade. Da draußen sind aber Menschen und Unternehmen, die um ihr Überleben kämpfen. Vor diesem Hintergrund spielt ein 200-jähriges Jubiläum in meiner persönlichen Wahrnehmung eine untergeordnete Rolle. Wir werden die Feierlichkeiten dann nachholen, wenn man wieder unbeschwert und sicher mit vielen Menschen zusammenkommen und feiern kann. Betrachtet man die Krisen, die die Gothaer in den 200 Jahren hat bewältigen müssen, ist die Pandemie sicherlich eine, die zu den beherrschbaren gehört. Wir sind gut beraten, uns in dieser Situation auf unsere Kunden zu konzentrieren.

VWheute: Welche Belastungen erwachsen Ihnen aus der Pandemie: Stornowelle und kaum Neugeschäft?

Oliver Schoeller: Das Privatkundengeschäft zeigt sich in der Sach- und Krankenversicherung völlig stabil im Beitragsverhalten. In der Lebensversicherung sehen wir die Inanspruchnahme von Stundungen und Beitragsaussetzungen. Das sind Erleichterungen, die wir unseren Kunden in der Pandemie angeboten haben. Inwieweit es im nächsten Jahr zu Aufholeffekten kommt, bleibt abzuwarten. Wir haben aber den Eindruck, dass unsere Privatkunden in Summe bisher gut durch die Krise gekommen sind, was sicherlich auch an unserem Kundenstamm liegt.

VWheute: … und im Unternehmersegment?

Oliver Schoeller: Im Unternehmersegment ist die Gothaer stark positioniert. Die Wirtschaftskrise dürfte sich tendenziell erst 2021 voll zeigen. Da die Prämien in diesem Segment vielfach umsatzabhängig sind, erwarten wir im nächsten Jahr Effekte – dies übrigens auch wegen der Aussetzung des Insolvenzrechts. Positiv ist, dass unsere Unternehmerkunden ihre Policen nicht angepasst haben. Wir hatten ihnen ermöglicht, Umsatzrückgänge frühzeitig anzumelden und in Prämienreduzierungen zu übersetzen. Unsere Analyse der Branchenstruktur zeigt, dass wir in vielen krisenfesten Industriezweigen engagiert sind – beispielsweise im Baugewerbe, im Energie- und im Gesundheitssektor oder auch im verarbeitenden Gewerbe. Auch im Vertrieb zeigt sich hier eine sehr stabile Absatzentwicklung. Eine Ausnahme ist die betriebliche Altersvorsorge (bAV): Die Unternehmen halten sich im Abschluss zurück und die Kurzarbeit beginnt zu wirken. Andererseits kommen die Berater zurzeit schlechter an die im Homeoffice sitzenden Arbeitnehmer heran. In der bAV sehen wir Spuren der Pandemie: Nicht so sehr beim Storno, aber im Neugeschäft und bei den Minderungen. Schadenseitig zeigt sich die Pandemie von beiden Seiten – insgesamt werden wir aber gut durch die Krise kommen.

Die Fragen stellte VWheute-Korrespondentin Monika Lier.

Das vollständige Interview lesen Sie in der neuen Oktoberausgabe der Versicherungswirtschaft.

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