Revival der Bancassurance: Vernunftehe oder Crashmanöver?
Die Bancassurance steht vor einer Wiedergeburt. Doch klassische Kooperationen dürften der Vergangenheit angehören, digitale Tools bestimmen die Entwicklung. Wer das Rennen um die Bankkunden gewinnt, ist derzeit noch nicht entschieden. Digitale Plattformen, die schon viele Finanz- und Versicherungsangebote bündeln, könnten zum zentralen Anlaufpunkt für Verbraucher werden.
Die Banken brauchen dringend lukrative Ertragsbringer und forcieren den Verkauf von Versicherungen, um so Provisionserlöse zu generieren. Hiesige Sparkassen und Banken haben noch immer eine breite Kundenbasis, die ihnen teilweise schon seit Jahren oder gar Jahrzehnten die Treue hält. Ein lukrativer Markt.
Aktuell macht die Suche der Deutschen Bank nach einem neuen Kooperationspartner Schlagzeilen. Für Restschuldversicherung, Lebens-, Kranken- und Sachversicherung sucht Deutschlands größte Bank laut Medienberichten für einen dreistelligen Millionenbetrag nach Exklusivpartnern. Angeblich sollen der Talanx-Konzern und die Zurich Deutschland den Zuschlag erhalten. Das Geschäft ist nicht ganz ungefährlich. Denn der klassische Verkauf am Bankschalter dürfte immer schwieriger werden. Digitalisierung plus Transparenz ist auch bei der Bancassurance angesagt.
Bisher haben die Banken – allen voran die Sparkassen sowie die Volks- und Raiffeisenbanken – bereits in großem Stil klassisch Lebensversicherungen über den Bankschalter verkauft. Die Sparkassen sind mit der Gruppe der Öffentlichen Versicherer in der S-Finanzgruppe verbandelt und die Volks- und Raiffeisenbanken mit dem R+V-Konzern. Allein bei der S-Finanzgruppe wurden 70 Prozent aller Lebensversicherungen über die Sparkassen verkauft. Bei den Schaden- und Unfallversicherungen waren es immerhin rund ein Drittel.
Doch das Altersvorsorgegeschäft wird schwieriger. Zudem schließen zunehmend Bankfilialen und immer mehr Kunden steigen ins Onlinebanking ein. Derzeit gibt es 105 Millionen Girokonten in Deutschland und bereits über 70 Millionen Onlinekonten. Der Trend zum digitalen Bankgeschäft wird nun durch die Corona-Krise befeuert. Wer künftig Versicherung an den Bankkunden bringen will, der muss dies auch online tun. Doch viele Banken und Versicherer tun sich schwer, in einer rasch technisch verändernden Welt praktikable Lösungen zu präsentieren.
Über die Früchte der Kooperation schweigt man
Nicht alle Versicherer, die mit Banken kooperieren, sind überhaupt schon digital unterwegs. „Eine digitale Zusammenarbeit über App oder Plattform findet nicht statt“, bestätigt die Huk-Coburg, die seit 2007 mit der Postbank kooperiert. Über die „Vertriebskanäle“ der Postbank würden exklusiv Kfz-, Haftpflicht-, Sach- und Rechtsschutzversicherungen des Versicherers vertrieben. Umgekehrt bietet die fränkische Assekuranz Produkte der Postbank an. Über Erfolge schweigt man.
Im gesamten Geschäftsbericht 2019 gibt es lediglich den Hinweis, dass die Kooperation fortgesetzt werde. Überraschend ist auch, dass die ING Bank, die exklusiv mit der Axa kooperiert, bisher lediglich eine Restschuldversicherung für die mittlerweile 9,5 Millionen Kunden der Direktbank anbietet. Dabei hatten beide Unternehmen Mitte 2019 angekündigt, dass man sowohl Abschlussprozesse als auch den Schutz zugunsten der Kunden verbessern wolle. Mäßig geht es auch bei der DEVK voran, die mit Ausnahme der Sparda-Bank Baden-Württemberg alle Geldhäuser der Gruppe betreut. Erst in einer nicht näher beschriebenen Zukunft ist laut der Assekuranz ein web-basierter Versicherungsvertragsmanager geplant.
Auch bei der R+V Versicherungsgruppe ist noch Arbeit angesagt. Dabei dürfte der Bankenkanal existenziell sein. Im Lebensversicherungsbereich kommt nach Angaben der Assekuranz rund 85 Prozent der Produktion aus dem Vertriebsweg Bank, im Krankenversicherungsbereich sind es ebenfalls starke 80 Prozent, während in Komposit immerhin 40 Prozent des Geschäftes über die Kreditinstitute eingefahren werden. Trotzdem arbeitet die R+V Gruppe noch immer an der Umsetzung einer Allfinanz-Plattform. Legitimierte Kunden sollen dann im Online-Banking Zugang zu ihren Verträgen und Service erhalten. Auch Online-Abschlussstrecken würden eingebunden. Die multibankfähige Plattform soll Kunden und Bankberatern zur Verfügung stehen. Einen Starttermin nennt das Unternehmen nicht.
Außerhalb des Online-Bankings pilotiert der Wiesbadener Versicherer derzeit einen digitalen Versicherungsmanager mit 20 Genossenschaftsbanken. Die Bankkonten würden über PSD2 angeschlossen. Die PSD2-Richtlinie (Payment Services Directive 2) verpflichtet die Finanzdienstleister, offene Schnittstellen zu schaffen, um Drittanbietern automatisiert Zugriff auf Kundeninformationen zu gewähren – sofern es ein Einverständnis des Kunden gibt. „Der VR-Versicherungsmanager analysiert die Kontoumsätze des Kunden nach Versicherungsabbuchungen. Ein Teil der Vertragserfassung für die Vertragsübersicht ist daher automatisiert“, erläutert R+V-Sprecherin Inge Neudahm. Vertragsdetails würden über ein Auskunftsmandat eingeholt. Im VR-Versicherungsmanager könne der Kunde dann sein gesamtes Versicherungsportfolio in einer Anwendung sehen, auch Verträge von Fremdanbietern – ohne die Daten mühsam selbst eintippen zu müssen. „Der VR-Versicherungsmanager bietet ein integriertes, unabhängiges Scoring der Tarife durch Franke und Bornberg.“
PSD2 als Katalysator für Innovationen bei den Sparkassen
Auch die Öffentlichen Versicherer sind aufgeschreckt. Denn für sie wird durch Geschäftsstellenschließung bei den Sparkassen ein existenzieller Vertriebsarm bedroht. Gleichzeitig haben ihre Partner in der S-Finanzgruppe die „API-Plattform“ für PSD2 freigeschaltet. Es gibt so einen möglichen Zugriff auf mehr als 5.000 bankfachliche Funktionen. „PSD2 wird damit zum Katalysator für Innovationen und zur großen Chance für die insgesamt 377 Sparkassen und ihre rund 50 Millionen Kunden“, sagt Carsten Wendt, Bereichsleiter Financial Innovation bei der Sparkassentochter Finanz Informatik aus Frankfurt. „Grundsätzlich kann PSD2 auch von den öffentlichen Versicherern genutzt werden, um die Kunden bestmöglich zu beraten und ihnen passgenauere Angebote zu unterbreiten“, erläutert Stephanie Embach-Stein vom Verband öffentlicher Versicherer (Voevers). Gleichzeitig gibt es schon jetzt ein Angebot für situative Versicherungen. Ein Direktabschluss ist über die Sparkassen-App möglich. Der Erfolg – außerhalb des Online-Bankings – ist aber noch verhalten. Im Jahr 2019 wurden über die App insgesamt 4.451 Anfragen gezählt, von denen 2.247 zu Abschlüssen führten.
Die Versicherungskammer Bayern (VKB) ist bereits mit dem S-Versicherungsmanager (S-VM) unterwegs, entwickelt vom Insurtech Clark. Das modifizierte Tool sei technisch in die Digitalstrategie des Dachverbands Deutscher Sparkassen- und Giroverband (DSGV) integriert. „Mit dem S-VM wird dem Sparkassen-Berater die zeitintensive Analyse der Versicherungen abgenommen“, erläutert VKB-Vorstandsmitglied Stephan Spieleder. Direkt im Gespräch mit dem Kunden könne der Berater einen individuellen Versicherungscheck, der auf die spezifische Lebenssituation des Kunden eingeht, durchführen. Spieleder: „Der Kunde profitiert von der Auswertung seines individuellen Versicherungsbedarfs, kann Bedarfslücken schließen und auch noch Geld sparen.“ Ende 2019 wurde der S-VM gestartet. Derzeit wird das Tool in Pilot-Sparkassen in Bayern, Pfalz, Berlin und Brandenburg sowie in Sparkassen der SV Sparkassenversicherung eingesetzt. Noch 2020 soll die Pilotierung der SV Sachsen und der VGH-Versicherungsgruppe folgen. „Mit Hochdruck arbeiten wir auch an der mobilen Version für Endkunden. Der Versicherungscheck muss dann nicht mehr zwingend in der Sparkassen-Filiale vor Ort durchgeführt werden, sondern kann direkt vom Kunden von überall jederzeit genutzt werden“, erläutert der Versicherungsmanager.
Allianz dreht den Spieß um und greift die Banken an
Voll digital ist damit auch hier erst die Zukunft. Das scheint im Lager der Öffentlichen Versicherer für Unruhe zu sorgen. Denn wie der Banken-Newsletter-Dienst finanz-szene.de schreibt, würden innerhalb der S-Finanzgruppe zwei weitere Initiativen um die Gunst der örtlichen Sparkassen werben. So sei der Rheinische Sparkassenverband (RSGV) und die Provinzial Rheinland – die nun mit der Provinzial Nordwest ein Unternehmen bildet – mit der Berliner Fintech Finmas in Verhandlungen. Hinter Finmas steht das Insurtech Hypoport, das mit Innosystems über einen großen Versicherungsvergleicher verfügt. Gleichzeitig geht die Sparkasse Duisburg mit dem digitalen Versicherungstool Moneymeets „fremd“. Das Kölner Insurtech ist im Bankenbereich aktiv und betreibt derzeit auch das Demo-Vergleichsportal „s-versichert.de.“ Dort wirbt das Unternehmen um weitere Sparkassen mit der Botschaft „Provisionserträge steigern und Prozesskosten senken.“
Einen Versicherungsmanager hat mittlerweile – nach rund zwei Jahren Vorlaufzeit – auch die Deutsche Bank auf ihrer Website scharf geschaltet. Das Besondere: Wer den Manager nutzen will, muss der DB VersicherungsManager GmbH einen Maklerauftrag erteilen. Für die „angegebenen“ Sachversicherungen wird das Unternehmen dann der Makler des Kunden. Bestehende Verträge werden automatisch analysiert und angepasst. Zudem gibt es eine Bedarfsanalyse. Technische Kooperationspartner ist die Alecto GmbH, ebenfalls Versicherungsmakler und besser bekannt unter dem Namen Friendsurance. Sehr aktiv ist zudem die Talanx AG. Für die Kooperation mit Banken hat sie ihre Tätigkeiten bei der HDI Deutschland Bancassurance gebündelt. Kooperiert werde mit über 100 Banken und Sparkassen. Der Digitalisierungsgrad sei sehr unterschiedlich ausgeprägt.
Derzeit würden die Kooperationen in drei Stoßrichtungen weiterentwickelt. Zum einen gäbe es neue digitale und hybride Beratungs- und Antragsstrecken, um den Kunden der Partner die bestmögliche Beratung in den Kanälen ihrer Wahl bieten zu können. Die Integration ins Internetbanking und in die Apps werde zudem vertieft. Außerdem gebe es Implementierung von Data Analytics und Behavioral Economics Use Cases, um Kunden, aber auch Kooperationspartnern, Mehrwerte über die reine Versicherung hinaus anzubieten. „Ein Beispiel ist hier unser Optimyze Life Coach, der für Kunden die Themen Finanzen, Gesundheit und Fitness, aber auch Freizeitangebote bündelt und so zu einem aktiveren, glücklicheren Leben beiträgt“, erläutert eine HDI-Sprecherin. Demgegenüber dreht die Allianz Versicherung den Spieß einfach um. Sie will noch 2020 ihre Finanzplattform Heymoney zum Leben erwecken und den großen Geldhäusern auf ihrem eigenen Gebiet Konkurrenz machen. Das Angebot soll für alle Verbraucher gelten, nicht nur für Allianzkunden. Bankkonten und Kreditkarten würden daher eine große Rolle spielen. Geplant ist eine „360-GradAnalyse“ für Finanzen. Auch die Allianz dürfte bei ihrer Multi-Banking-App von der PSD2-Richtlinie profitieren.
Welche Rolle zudem Maklerpools und Check24 bei Bankassurance spielen, lesen Sie in der aktuellen September-Ausgabe der Versicherungswirtschaft.
Autor: Uwe-Schmidt Kasparek