Boston Consulting Group exklusiv: „Alle Aktivitäten eines Versicherers müssen vor dem Hintergrund der Sinnhaftigkeit und Wirtschaftlichkeit kritisch überprüft werden“

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Versicherer schrauben kräftig an ihren Vertrieben. Einfacher, digitaler und vor allem günstiger soll es werden. Der Vermittler, der beim Kunden zu Hause eine Haftpflichtversicherung verkauft, wird künftig immer weniger erwünscht sein, glaubt Stefan Bleyhl. Im Interview dem Magazin Versicherungswirtschaft skizziert der Managing Director der Boston Consulting Group Wege zur Umstrukturierung.

Versicherungswirtschaft: Versicherungsunternehmen schrauben kräftig an ihren Vertriebsstrukturen. Keine einfache Aufgabe. Geht es ausschließlich darum, Prozesse zu straffen und mehr Effizienz zu erzeugen, oder ist da noch mehr?

Stefan Bleyhl: Dass Versicherer an ihren Vertriebsstrukturen arbeiten, ist kein aktuelles Phänomen, sondern steht bereits seit mehreren Jahren im Fokus, insbesondere großer, oftmals aufgrund ihrer Historie sehr heterogen aufgestellter Versicherer. Dennoch beobachten wir im Markt in den letzten Jahren verstärkt die Tendenz, die Vertriebsstrukturen zu straffen.

Die Gründe dafür sind vielfältig: Es kam in den letzten Jahren vor allem aufgrund der regulatorischen Anforderungen zu einem verstärkten Rückgang der Vermittlerkapazitäten (absolut gesehen von 228.000 zum 2. Januar 2017 auf ca. 198.000 Vermittler zum 2. Januar 2020, was einem jährlichen Rückgang von 4,6 Prozent entspricht); dies brachte wiederum einen Anpassungsbedarf hinsichtlich der Effizienz der Betreuungsstrukturen mit sich.

Stefan Bleyhl, Managing Director, Boston Consulting Group

Versicherungswirtschaft: In der Ausschließlichkeit wurden neue Vertriebsmodelle mit höherer Effektivität implementiert, die auf die sich verändernden Kundenbedürfnisse abzielen …

Stefan Bleyhl: … insbesondere die Verzahnung von zentralen und dezentralen Kommunikations- und Vertriebskanälen. Diese neuen digitalen Vertriebsmodelle ergänzen oder ersetzen bestehende Vertriebsstrukturen und -prozesse. Dies hat unweigerlich Auswirkungen auf die aktuelle Aufstellung und Kostenquoten, um im Wettbewerb bestehen zu können.

Versicherungswirtschaft: Welche langfristigen Pläne stecken hinter den Vorhaben?

Stefan Bleyhl: Langfristig gehen wir davon aus, dass der physische Vertrieb weiterhin Bestand haben wird – allerdings müssen die digitalen Grundlagen geschaffen werden, um für die Kunden ein Optimum aus physischer Präsenz vor Ort auf der einen Seite und digitalen Kontaktkanälen über verschiedene Kundenkontaktpunkte hinweg (Vermittler, Portal, Call-Center etc.) auf der anderen Seite zu gewährleisten. Ziel ist es, dem Kunden eine kanalübergreifende Betreuung zur Verfügung zu stellen, die in Abhängigkeit vom jeweiligen Kundenanlass Schnelligkeit, Zuverlässigkeit, Beratungsqualität und Kompetenz bietet – es geht also eben nicht nur um Straffung und Effizienz, sondern im Kern auch um Qualität und Geschwindigkeit.

Versicherungswirtschaft: Passt der klassische Vermittler noch zu den heutigen Kundenbedürfnissen?

Stefan Bleyhl: Zugespitzt kann man sagen: Der Versicherungsvermittler, der beim Kunden zuhause eine Haftpflichtversicherung verkauft, wird zukünftig immer weniger seitens des Kunden erwünscht bzw. seitens der Versicherer unter Effizienz- und Effektivitätsgesichtspunkten präferiert sein. Somit bedarf es einer stärkeren Umsteuerung im Vertrieb, um sowohl den Wünschen des Kunden auf der einen Seite als auch den Zielen der Versicherer auf der anderen Seite zu entsprechen.

Versicherungswirtschaft: Wie sähe Ihrer Meinung nach eine von Effizienz geprägte Unternehmenskultur aus?

Stefan Bleyhl: Eine rein auf Effizienz getrimmte Unternehmenskultur ist unserer Ansicht nach weder wünschenswert noch zielführend. Grundsätzlich müssen aber alle Aktivitäten eines Versicherers vor dem Hintergrund der Sinnhaftigkeit und Wirtschaftlichkeit kritisch überprüft werden – dies umfasst alle Unternehmensebenen und sollte idealerweise schon auf Vorstandsebene verankert werden.

Versicherungswirtschaft: Das bedeutet konkret …

Stefan Bleyhl: … dass traditionelle Vertriebsansätze überdacht werden müssen und ein stärkeres Streamlining der Vertriebsprozesse einsetzen muss. Dies beinhaltet auch die Konsolidierung bzw. Bündelung subkritischer Vertriebsstrukturen, um Skalenvorteile beispielsweise in der Vertriebsunterstützung zu realisieren, Komplexität zu verringern und die Effizienz im Vertrieb zu erhöhen.

Die Fragen stellte VW-Redakteur Michael Stanczyk.

Das vollständige Interview lesen Sie in der aktuellen Aprilausgabe des Magazins Versicherungswirtschaft.

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