Reuther: „Das deutsche Gesundheitswesen wird noch sehr froh sein, dass es die PKV als stabile und wachsende zweite Säule gibt“

Florian Reuther, PKV-Verbandsdirektor. Quelle: PKV-Verband

Die PKV sorgte auch 2019 immer wieder für Zündstoff – sei es beim Thema Beitragsstabilität oder bei der Öffnung der GKV für Beamte. Und dennoch: „Erfreulich ist, dass wieder mehr Menschen aus der Gesetzlichen in die Private Krankenversicherung wechseln als umgekehrt“, konstatiert Florian Reuther im Exklusiv-Interview. Die Versicherungswirtschaft sprach mit dem PKV-Verbandsdirektor über aktuelle und künftige Herausforderungen im Gesundheitswesen.

VWheute: Was lief 2019 gut, was lief weniger gut in der privaten Krankenversicherung?

Florian Reuther: Erfreulich ist, dass wieder mehr Menschen aus der Gesetzlichen in die Private Krankenversicherung wechseln als umgekehrt. Dieser Wechselsaldo war schon 2018 für uns positiv und hat sich 2019 weiter verstärkt. Offenbar haben wir nach den schwächeren Jahren zwischen 2012 und 2017 eine Trendumkehr geschafft.

Unverändert positiv ist die Entwicklung bei den privaten Zusatzversicherungen, die auch 2019 ein stabiles Wachstum vorzuweisen haben: plus zwei Prozent auf nunmehr über 26 Millionen Verträge. Besonders stark ist der Zuwachs bei der betrieb­lichen Krankenversicherung. Dort hat sich die Zahl der Unternehmen, die ihren Mitarbeitern diese Zusatzversicherung anbieten, in nur drei Jahren mehr als verdoppelt. Immer mehr Arbeitgeber nutzen dieses erfolgreiche Instrument, um Fachkräfte zu gewin­nen und sie langfristig an die Betriebe zu binden.

Weniger gut ist aus Sicht der PKV die wachsende Neigung der großen Koalition in der Bundesregierung, die Finanzierung von Infrastruktur pauschal auf die Krankenversicherung zu verlagern. Das betrifft zum Beispiel große Teile der Pflegereform wie die pauschale Förderung von 13.000 Pflegestellen und die Ausstattung von Pflegeeinrichtungen mit Digitaltechnik oder Kinderbetreuung.

Diese Verlagerung hat gleich mehrere schädliche Nebenwirkungen – und sie ist auch ordnungspolitisch verfehlt. Eine Finanzierung aus dem Bundesetat würde von allen Steuerzahlern entsprechend ihrer finanziellen Leistungsfähigkeit getragen. Das wäre auch sozial gerechter. Denn eine Verlagerung auf die Krankenversicherungsbeiträge der gesetzlich Versicherten, die nur von einem Teil der Bevölkerung und dann auch nur bis zur Bemessungsgrenze bezahlt werden, führt zu einer überproportionalen Belastung der kleinen und mittleren Einkommen, während Einkünfte oberhalb von etwa 4.500 Euro Monatsbrutto unbelastet bleiben.

Ärgerlich für die Privatversicherten war die auch 2019 andauernde Blockade der SPD gegen jegliche Verbesserung der PKV-Bedingungen. Wir setzen uns schon seit Jahren dafür ein, die Beitragsentwicklung zu glätten und sprunghafte Erhöhungen zu vermeiden, was durch kleinere Korrekturen möglich wäre. Unter dem Strich sind die Beiträge in der PKV pro Kopf im Schnitt der letzten zehn Jahre übrigens weniger stark gestiegen als in der GKV.

Doch während der Anstieg in der GKV Jahr für Jahr in kleinen Schritten nahezu unbemerkt bleibt, haben Privatversicherte oft nach mehreren Jahren mit gleichbleibenden Beiträgen dann plötzlich eine nachfolgende Erhöhung auf einen Schlag. Am Ende kommt zwar unter dem Strich fast dasselbe heraus, aber wir wissen aus Umfragen, dass den Versicherten kleine, jährliche Anpassungen lieber sind als große Erhöhungen nur alle paar Jahre. Unsere Vorschläge im Interesse der Versicherten werden auch von Verbraucherschützern unterstützt, doch sie scheitern bisher am Veto der SPD.

Dasselbe gilt für die Forderung, den gut funktionierenden PKV-Standardtarif als Sozialtarif wieder für alle Privatversicherten zu öffnen, damit wir bei finanziellen Problemlagen optimal helfen können. Für diese politische Blockadehaltung zu Lasten der Verbraucher habe ich kein Verständnis. Wir werden uns weiter für solche konkreten Verbesserungen im Sinne der Versicherten einsetzen.

VWheute: Mit welcher Stimmung gehen Sie in das Jahr 2020?

Florian Reuther: Mit der Bereitschaft, offensiv an der öffentlichen Debatte mitzuwirken, wie wir unsere Gesundheitsversorgung mit medizinischen Innovationen und den Mitteln der Digitalisierung weiter verbessern – und wie wir unsere sozialen Sicherungssysteme finanziell nachhaltig fit machen für den absehbaren Kostenschub der demografischen Alterung unserer Gesellschaft.

VWheute: Welche Themen stehen im Fokus?

Florian Reuther: Ein Mega-Thema wird auch 2020 die Entwicklung der Pflege in Deutschland sein – und dazu können wir als PKV wertvolle Beiträge liefern, die wir offensiv in die Politik einbringen wollen. Das beginnt mit unserem Konzept für einen „neuen Generationenvertrag für die Pflege“, der bei den unvermeidlichen finanziellen Belastungen durch den demografischen Wandel einen fairen Ausgleich der berechtigen Interessen der Älteren und der Jüngeren erreichen soll.

Wir wollen durch den schrittweisen Aufbau einer finanziellen Eigenvorsorge das Pflegesystem nachhaltig stärken. Mit unseren Vorschlägen kann es gelingen, den Beitragssatz der gesetzlichen Pflegeversicherung auf dem heutigen Niveau von etwa drei Prozentpunkten zu stabilisieren.

Ein weiteres Mega-Thema ist die Digitalisierung. Die Private Krankenversicherung versteht sich seit jeher als Antreiber und Türöffner für medizinische Innovationen. Diesem Anspruch wollen wir auch in der Digitalisierung gerecht werden. Deshalb haben wir den Venture-Capital-Fonds „heal capital“ gegründet. In diesem Fonds werden die beteiligten PKV-Unternehmen ein Zielvolumen von 100 Mio. Euro zur Verfügung stellen, um damit Startup-Unternehmen zu fördern, die digitale Innovationen für die Gesundheitsversorgung entwi­ckeln.

Mit diesem Gründer-Kapital wollen wir gezielt die Qualität der medizinischen Versorgung in Deutschland und die Digitalisierung des Gesundheitswesens vorantreiben. Dabei wird sich der Fonds z.B. auf Bereiche wie digitale Gesundheitsanwendungen, Tele­medizin, digitale Prävention und Digitalisierung der Pflege fokussieren.

VWheute: Was sind für Sie die drei wichtigsten Trends, die die privaten Krankenversicherung für immer verändern werden?

Florian Reuther: „Für immer“ ist ein großes Wort. Wichtige Trends sehe ich neben der schon erwähnten Digitalisierung zum einen in den zunehmenden gentechnologischen und individualisierbaren Therapien für immer mehr schwere Krankheiten. Und zum anderen in den demografischen Herausforderungen für unsere Gesellschaft.

Wenn die Babyboomer-Jahrgänge bald in Rente gehen und mit zunehmendem Alter sehr viel mehr Gesundheits- und Pflegeleistungen in Anspruch nehmen werden, zugleich aber die nachrückenden Jahrgänge der erwerbstätigen Beitragszahler immer kleiner werden, dann gerät die Umlagefinanzierung der Gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung unter massiven Druck.

Dann werden immer mehr Menschen erkennen, welchen hohen Wert der lebenslang garantierte und unkürzbare Leistungsumfang der PKV-Tarife hat. Dafür bildet die PKV seit jeher eine nachhaltige finanzielle Vorsorge. Diese PKV-Alterungsrückstellungen haben soeben den Wert von 270 Mrd. Euro überstiegen. Deshalb wage ich die Prognose: Das deutsche Gesundheitswesen wird im demografischen Wandel noch sehr froh sein, dass es die PKV als stabile und wachsende zweite Säule gibt.

Die Fragen stellte VW-Redakteur Michael Stanczyk.

Das vollständige Interview und weitere Prognosen für 2020 lesen Sie in der aktuellen Ausgabe der Versicherungswirtschaft.

2 Kommentare

  • Zitat Reuther: „Erfreulich ist, dass wieder mehr Menschen aus der Gesetzlichen in die Private Krankenversicherung wechseln als umgekehrt“.
    Der umgekehrte Wechsel ist so gut wie nicht möglich Herr Reuther. Vielleicht liegt es daran! Das nächste Mal bereiten Sie sich bitte etwas besser auf ein Interview vor. Derartige Aussagen sind irreführend

  • Sehr geehrter Herr Reuther,

    Hier einige Anmerkungen zu Ihren Aussagen im Interview:

    1.
    „Weniger gut ist aus Sicht der PKV die wachsende Neigung der großen Koalition in der Bundesregierung, die Finanzierung von Infrastruktur pauschal auf die Krankenversicherung zu verlagern. Das betrifft zum Beispiel große Teile der Pflegereform wie die pauschale Förderung von 13.000 Pflegestellen und die Ausstattung von Pflegeeinrichtungen mit Digitaltechnik oder Kinderbetreuung.

    Diese Verlagerung hat gleich mehrere schädliche Nebenwirkungen – und sie ist auch ordnungspolitisch verfehlt. Eine Finanzierung aus dem Bundesetat würde von allen Steuerzahlern entsprechend ihrer finanziellen Leistungsfähigkeit getragen. Das wäre auch sozial gerechter. Denn eine Verlagerung auf die Krankenversicherungsbeiträge der gesetzlich Versicherten, die nur von einem Teil der Bevölkerung und dann auch nur bis zur Bemessungsgrenze bezahlt werden, führt zu einer überproportionalen Belastung der kleinen und mittleren Einkommen, während Einkünfte oberhalb von etwa 4.500 Euro Monatsbrutto unbelastet bleiben.“

    (Und dann diese Aussage:)

    „Ein weiteres Mega-Thema ist die Digitalisierung. Die Private Krankenversicherung versteht sich seit jeher als Antreiber und Türöffner für medizinische Innovationen. Diesem Anspruch wollen wir auch in der Digitalisierung gerecht werden. Deshalb haben wir den Venture-Capital-Fonds „heal capital“ gegründet. In diesem Fonds werden die beteiligten PKV-Unternehmen ein Zielvolumen von 100 Mio. Euro zur Verfügung stellen, um damit Startup-Unternehmen zu fördern, die digitale Innovationen für die Gesundheitsversorgung entwi­ckeln.

    Mit diesem Gründer-Kapital wollen wir gezielt die Qualität der medizinischen Versorgung in Deutschland und die Digitalisierung des Gesundheitswesens vorantreiben. Dabei wird sich der Fonds z.B. auf Bereiche wie digitale Gesundheitsanwendungen, Tele­medizin, digitale Prävention und Digitalisierung der Pflege fokussieren.“

    Zu 1.:
    Aus meiner Sicht handelt es sich in beiden Fällen (Schaffung zusätzlicher Pflegestellen und Förderung von Start-up Unternehmen im Bereich der Digitalisierung) um mit Versicherungsbeiträgen finanzierte Vorhaben.
    Sie haben übrigens völlig „vergessen“ zu erwähnen, dass der PKV-Verband in ersterem Fall seine anfänglichen „Bedenken“ (siehe Stellungnahme PKV zum Pflegestärkungsgesetz) erst nach Einräumung eines „Sonderanpassungsrechts“ bei der „Beitragsanpassung seitens des Gesetzgebers für seine Mitgliedsunternehmen – also auf Kosten der Versicherten – nicht weiter geltend machte…

    2.
    Ärgerlich für die Privatversicherten war die auch 2019 andauernde Blockade der SPD gegen jegliche Verbesserung der PKV-Bedingungen. Wir setzen uns schon seit Jahren dafür ein, die Beitragsentwicklung zu glätten und sprunghafte Erhöhungen zu vermeiden, was durch kleinere Korrekturen möglich wäre. Unter dem Strich sind die Beiträge in der PKV pro Kopf im Schnitt der letzten zehn Jahre übrigens weniger stark gestiegen als in der GKV.
    Doch während der Anstieg in der GKV Jahr für Jahr in kleinen Schritten nahezu unbemerkt bleibt, haben Privatversicherte oft nach mehreren Jahren mit gleichbleibenden Beiträgen dann plötzlich eine nachfolgende Erhöhung auf einen Schlag. Am Ende kommt zwar unter dem Strich fast dasselbe heraus, aber wir wissen aus Umfragen, dass den Versicherten kleine, jährliche Anpassungen lieber sind als große Erhöhungen nur alle paar Jahre. Unsere Vorschläge im Interesse der Versicherten werden auch von Verbraucherschützern unterstützt, doch sie scheitern bisher am Veto der SPD.

    Zu 2.:
    „Und Schuld daran ist nur die SPD …“. Also Herr Rether, zu dieser fundamentalen Erkenntnis ist vor Jahrzehnten bereits ein holländischer Entertainer gekommen – allerdings mit Bezug auf das Sommerwetter…!
    Als langjährig privat Versicherter – und einer der mittlerweile zahlreichen Kläger gegen die diversen „Beitragsanpassungen“ eines Ihrer größten Mitgliedsunternehmens – muss ich Ihnen sagen, dass mir die „Verteilung“ der Beitragserhöhungen angesichts durchschnittlicher Beitragserhöhungen in der PKV von jährlich 10,7 (in Worten: zehnkommasieben) Prozent für den Zeitraum von 2014 bis 2020 relativ egal ist. Bei diesem „Umfang“ würden selbst monatsweise „Anpassungen“ nicht großartig helfen.
    Ich kann mir jedoch gut vorstellen, dass es im Interesse Ihrer Lobby-Organisation und der zugehörigen Mitgliedsunternehmen ist, wenn bei den Versicherten „kleinere, regelmäßige Anpassungen“ nicht zu Reaktionen wie Unmutsäußerungen oder gar Klagen führen.

    Ich bin – der Lobbyarbeit Ihres Verbandes und dem Gesetzgeber sei Dank – mittlerweile dem „System PKV“ völlig ausgeliefert und sehe der Zukunft – vor dem Hintergrund meines Ende 2021 bevorstehenden Rentnerdaseins – mit allergrößter Sorge bis hin zur Existenzangst – entgegen.
    Insofern kann ich – und das dürften selbst SIE verstehen – Ihre „Titelaussage“ absolut nicht teilen.

    P.S.: Warum erwähnen Sie eigentlich in Ihren Aussagen des Öfteren die GKV, habe ich da etwas verpasst?

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