Analyse: Neue Regulierungspläne zur Preissetzung könnte Geschäftspraxis einiger Versicherer auf den Kopf stellen

Die Zentrale der Europäischen Versicherungsaufsicht Eiopa. (Bildquelle: Eiopa)

Die europäische Aufsichtsbehörde Eiopa will mehr Verbraucherschutz im Pricing von Kompositversicherern sicherstellen. Vor allem geht es darum, dass vulnerable Gruppen nicht durch den Einsatz von Preisdifferenzierungstechniken (DPP) benachteiligt werden. Nun hat die Eiopa ein neues, an die lokalen Aufsichtsbehörden adressiertes Supervisory Statement zur DPP veröffentlicht.

Die Eiopa will mehr Verbraucherschutz im Pricing von Kompositversicherern sicherstellen. Dabei geht es der Eiopa insbesondere darum, dass vulnerable Gruppen (z.B. ältere Kunden, Kunden mit niedrigem Bildungsstand oder geringerem Einkommen) (1) nicht durch den Einsatz von Preisdifferenzierungstechniken (DPP) benachteiligt werden. Die Eiopa definiert den Einsatz von DPP als Fälle, in denen Kunden mit einem vergleichbaren versicherungstechnischen Risiko (inkl. Kosten) unterschiedliche Prämien bezahlen (prinzipienbasierte Definition). Eine detailliertere Definition wurde seitens der Eiopa in der Konsultationsphase abgelehnt. (2)

Vor diesem Hintergrund hat die Eiopa ein neues, an die lokalen Aufsichtsbehörden adressiertes Supervisory Statement zur DPP veröffentlicht. Dieses beschreibt die Auslegung der IDD zu diesem Thema durch die Eiopa.

Die zu erwartende Umsetzung der beschriebenen Aufsichtspraxis durch die lokalen Aufsichtsbehörden wäre für die Versicherungsunternehmen zunächst verbindlich. Die Umsetzung könnte zeitnah für den deutschen Markt, etwa durch die Veröffentlichung eines entsprechenden Rundschreibens durch die Bafin, erfolgen. Ein lokales Gesetzgebungsverfahren oder Ähnliches wäre nicht notwendig. Die Eiopa hat zudem angekündigt, den Markt diesbezüglich weiterhin beobachten zu wollen. (3)

Stornomodelle in der Beitragsanpassung

Folgt man der Veröffentlichung der Eiopa, sind wiederholte Beitragsanpassungen unter Ausnutzen der individuellen Zahlungsbereitschaft des Kunden nicht mehr compliant zur IDD (Tz 3.8). Diese Art von Beitragsanpassungen auf Basis von Stornomodellen sehen wir in der Praxis z.B. bei einigen Versicherungsunternehmen in der Kraftfahrtversicherung für privat genutzte Pkws. Hierbei ist zu beachten, dass die Einschränkung auf wiederholte Beitragsanpassungen erst in der finalen Fassung dazu kam. Es gibt also Spielraum für einen gewissen Umfang der Beitragsanpassung auch weiterhin Stornomodelle zu nutzen.

Was eine Abschwächung der Beitragsanpassungsfreiheiten der Kompositversicherer bedeuten würde, können wir nach der Einführung einer ähnlichen Regulierung in England beobachten. Hier sind die Prämien für das Neugeschäft mit der Einführung der dortigen Regulierung angestiegen – zum Nachteil der Versicherungsnehmer in Summe. Hiervon profitieren die in der Beitragsanpassung preis-unsensibleren Gruppen, während ein Nachteil für preissensible Gruppen entsteht.

Anpassungen in der Governance und in den Prozessen

Neben dem Ausschluss wiederholter Beitragserhöhungen unter Ausnutzen von Stornomodellen (3.8 bzw. oberer Paragraf) äußert die Eiopa ebenfalls Anforderungen an die Product Oversight and Governance (POG). Aufgabe für die Versicherungsunternehmen ist es, vor dem Hintergrund der individuellen Produkte und des Geschäftsmodells durch eine gute und wirksame Governance sicherzustellen, dass der Einsatz von DPP nicht zu Nachteilen für die Verbraucher führt.

Analog der Delegierten Verordnung (EU) 2017/2358 in der durch die Delegierte Verordnung (EU) 2021/1257 überarbeiteten Fassung sind die Anforderungen bezüglich POG im Supervisory Statement entlang der Schritte Produktgenehmigung, Zielmarkt, Produktprüfung/Produktüberwachung/ Produktbewertung, Dokumentation und Vertriebskanäle formuliert und betreffen alle am POG beteiligten Bereiche – vergleiche Abbildung 1

Quelle: KPMG

Aus unserer Sicht stellen dabei unter anderem folgende Punkte besondere, teilweise in der Praxis neue Herausforderungen für Kompositversicherer dar:

Als Teil des Produktentwicklungs- und -überprüfungsprozesses sind angemessene Prozesse und Kontrollen aufzusetzen die sicherstellen, dass der Einsatz von DPP und Risiken für den Kunden ermittelt, verhindert und gemindert werden – über alle Phasen des Produktlebenszyklus.(4) Herausfordernd ist aus unserer Sicht, dass hier explizit der Prozess für die Beitragsanpassung im Fokus steht. Dieser Prozess ist gemäß unserer Erfahrung häufig wenig standardisiert und zwischen den Sparten oft stark unterschiedlich. Zusätzlich ergibt sich hieraus in der Praxis ein deutlicher Anstieg des nötigen Dokumentationsaufwands.

Es sind Schwellenwerte zu definieren, inwieweit sich Preise von Kunden mit vergleichbarem Risiko unterscheiden dürfen. Dies verursacht zusätzlichen Interpretationsbedarf in der Praxis. Zusätzlich ist ein laufendes Monitoring aufzubauen, in dem der Technische Preis (Kosten für das Versicherungstechnische Risiko inkl. Kosten) mit der tatsächlichen Prämie verglichen wird. (5)  Dies ist herausfordernd, da in der Regel die Technischen Preise nicht für alle Tarif(-generationen) vorhanden sind.

Die Eiopa hat in ihrem Supervisory Statement explizit darauf hingewiesen, dass einschlägige Unterlagen zum Umgang mit DPP auf Anfrage den lokalen Aufsichtsbehörden zur Verfügung zu stellen sind (6) 6 – eine Herausforderung für die Versicherungsunternehmen, bei denen entsprechende Unterlagen in der Praxis (noch) nicht vorliegen.

Zusammenfassung

Auch die Versicherungsunternehmen wollen die Verbraucher schützen. Sie wollen aber keine Wettbewerbsnachteile riskieren durch ein besonderes Vorpreschen in diesem Feld der Regulierung, bei denen nicht alle Wettbewerber im gleichen Tempo und in der gleichen Intensität mithalten.

Wir empfehlen den Kompositversicherern daher, sich jetzt in angemessenem Umfang mit dem Supervisory Statement der Eiopa auseinanderzusetzen. Hierbei muss die individuelle Betroffenheit des eigenen Geschäftsfelds eine große Rolle spielen und es sollten erste maßvolle Schritte zur Vorbereitung einer Compliance zum Supervisory Statement konzeptioniert werden. Beispiele wären die zentrale Durchführung von Workshops und Interviews mit relevanten Stakeholdern, um eine allgemeine Betroffenheitsanalyse zu beginnen.

Die umfangreiche operative Umsetzung von teuren Anpassungen bedarf aus unserer Sicht jedoch einen hohen Grad an Sicherheit bezüglich der Details der Auslegung des Supervisory Statements durch die lokale Aufsichtsbehörde.

Autoren: Frank Schönfelder, Director Insurance Consulting, KPMG AG WPG; Miriam Schreiner, Managerin Actuarial Services, KPMG AG WPG; Christoph Stommel, Rechtsanwalt Legal FS Insurance, KPMG Law

1 Supervisory statement on differential pricing practices in non-life insurance lines of business, Consumer Protection Department EIOPA– EIOPA-BoS-23/076, 22 February 2023, Stand 14.03.2023: Textziffer 3.13

2 Public consultation on the Supervisory statement on differential pricing practices in non-life insurance lines of business, EIOPA-BoS-23-078, 22. February 2023, Stand 14.03.2023, Nr. 77

3 Public consultation on the Supervisory statement on differential pricing practices in non-life insurance lines of business, EIOPA-BoS-23-078, 22. February 2023, Stand 14.03.2023, Nr. 173

4 Supervisory statement on differential pricing practices in non-life insurance lines of business, Consumer Protection Department EIOPA-BoS-23/076, 22 February 2023, Stand 14.03.2023: Textziffer 3.13

5 Supervisory statement on differential pricing practices in non-life insurance lines of business, Consumer Protection Department EIOPA-BoS-23/076, 22 February 2023, Stand 14.03.2023: Textziffer 3.13 und 3.23

6 Supervisory statement on differential pricing practices in non-life insurance lines of business, Consumer Protection Department EIOPA-BoS-23/076, 22 February 2023, Stand 14.03.2023: Textziffer 3.25