Global Risk Report warnt vor „Rückschritt in der Menschheitsentwicklung“

Als derzeit größte Gefahr sehen die rund 1.200 befragten Entscheidungsträger vor allem die sich schneller drehende Preisspirale. Bildquelle: Paul Kagame/Flickr/https://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/2.0/

Das Jahr 2023 ist noch recht frisch, aber die Probleme des alten Jahres halten die globale Wirtschaft und die Politik weiter fest im Griff. Glaubt man dem jüngsten Global Risk Report des Weltwirtschaftsforums, könnte die „neue ökonomische Ära“ eine Ära „der wachsenden Kluft zwischen reichen und armen Ländern werden und den ersten Rückschritt in der Menschheitsentwicklung seit Jahrzehnten“ werden. Wesentliche Treiber seien vor allem die Inflation und der Klimawandel.

Als derzeit größte Gefahr sehen die rund 1.200 befragten Entscheidungsträger vor allem die sich schneller drehende Preisspirale: So hätten die Corona-Pandemie und der Krieg in der Ukraine die Energie-, Inflations-, Nahrungsmittel- und Sicherheitskrisen wieder in den Vordergrund gerückt. Daraus ergeben sich Folgerisiken, die in den kommenden beiden Jahren dominieren werden: das Risiko einer Rezession, eine wachsende Verschuldung, eine anhaltende Krise der Lebenshaltungskosten, eine weitere Polarisierung von Gesellschaften durch Des- und Fehlinformation, ein Stillstand bei dringenden Klimaschutzmaßnahmen und ein geoökonomischer Nullsummen-Krieg.

„Die kurzfristige Risikolandschaft wird von Energie, Nahrungsmitteln, Schulden und Katastrophen beherrscht. Diejenigen, die ohnehin schon am stärksten gefährdet sind, leiden – und angesichts der zahlreichen Krisen nimmt die Zahl derer, die als gefährdet gelten, rapide zu, sowohl in den reichen als auch in den armen Ländern. Führende Politiker der Welt müssen das Klima und die menschliche Entwicklung in den Mittelpunkt ihres Interesses stellen, auch wenn sie aktuelle Krisen bekämpfen. Kooperation ist der einzige Weg nach vorne“, kommentiert Saadia Zahidi, Managing Director beim World Economic Forum.

Dabei könnten sich sowohl die nationalen Regierungen als auch die Zentralbanken in den nächsten beiden Jahren mit einem hartnäckigen Inflationsdruck konfrontiert sehen. Zudem könnte in absehbarer Zeit eine ökonomische Kriegsführung zur neuen „Norm“ werden. Die Wirtschaftspolitik könnte daher verstärkt das Ziel verfolgen, die „Selbstversorgung und Unabhängigkeit von Machtrivalen“ zu stärken und zugleich den Aufstieg anderer Staaten zu hemmen, heißt es in dem Report weiter.

Das Ende der Niedrigzinsära wird für Regierungen, Unternehmen und Privatpersonen erhebliche Auswirkungen haben. „Die weiteren Folgen werden die schwächsten Teile der Gesellschaft und bereits fragile Staaten am schwersten treffen und zu wachsender Armut, Hunger, gewaltsamen Protesten, politischer Instabilität und sogar zum Zusammenbruch von Staaten beitragen“, lautet eine weitere Prognose des Risiko-Berichtes. „Die nächste Dekade wird von ökologischen und sozialen Krisen gekennzeichnet sein“, lautet daher die aktuelle Risikoprognose. 

„Das Jahr 2023 wird in den Bereichen Nahrungsmittel, Energie, Rohstoffe und Cybersicherheit von erhöhten Risiken gekennzeichnet sein, die weitere Störungen der globalen Lieferketten verursachen und Investitionsentscheidungen beeinflussen werden. In einer Zeit, in der Länder und Organisationen ihre Resilienzbemühungen verstärken sollten, wird wirtschaftlicher Gegenwind ihre entsprechenden Möglichkeiten einschränken. Angesichts der schwierigsten geoökonomischen Bedingungen seit einer Generation sollten sich Unternehmen nicht nur auf die Bewältigung kurzfristiger Probleme konzentrieren, sondern auch auf die Entwicklung von Strategien, die sie gut für längerfristige Risiken und strukturelle Veränderungen aufstellen“, skizziert daher auch Carolina Klint, Risk Management Leader, Continental Europe, bei Marsh die Aussichten für die kommenden Monate.

Klimawandel wird zu einem langfristigen Risiko

Darüber hinaus stehen laut Report vor allem die Klima- und Umweltrisiken in den nächsten zehn Jahren im Mittelpunkt der globalen Risikowahrnehmung. Gleichzeitig seien dies aber auch diejenigen Risiken, „auf die wir am wenigsten vorbereitet zu sein scheinen. Das Fehlen tiefgreifender, konzertierter Fortschritte bei den Klimaschutzzielen hat die Divergenz zwischen dem, was wissenschaftlich notwendig ist, um Netto-Null zu erreichen, und dem, was politisch machbar ist, verdeutlicht.“

Sollten die Staaten daher beim Klimaschutz und bei der Anpassung an den Klimawandel nicht effektiver zusammenzuarbeiten, werde dies in den nächsten zehn Jahren zu einer weiteren globalen Erwärmung und zum ökologischen Zusammenbruch führen, so die Warnung. Ein Scheitern bei der Eindämmung des Klimawandels und der Anpassung an seine Folgen, Naturkatastrophen, der Verlust der biologischen Vielfalt und die Umweltzerstörung stellen daher laut Risiko-Report allein fünf der zehn größten Risiken dar, wobei der Verlust der biologischen Vielfalt für das kommende Jahrzehnt als eines der sich am schnellsten verschärfenden globalen Risiken betrachtet werde.

„Das Zusammenspiel zwischen den Auswirkungen des Klimawandels, dem Verlust der biologischen Vielfalt, der Ernährungssicherheit und dem Verbrauch natürlicher Ressourcen schafft einen gefährlichen Cocktail. Ohne signifikante politische Veränderungen oder Investitionen wird diese Mischung den Zusammenbruch von Ökosystemen beschleunigen, die Nahrungsmittelversorgung bedrohen, die Auswirkungen von Naturkatastrophen verstärken und weitere Fortschritte bei der Eindämmung des Klimawandels behindern. Wenn wir unsere Maßnahmen beschleunigen, besteht bis zum Ende des Jahrzehnts immer noch die Möglichkeit, einen 1,5-Grad-Zielpfad zu erreichen und dem Notstand unserer Natur zu begegnen. In Anbetracht der jüngsten Fortschritte bei der Einführung von Technologien für erneuerbare Energien und Elektrofahrzeuge dürfen wir zuversichtlich sein“, fasst John Scott, Head of Sustainability Risk, Zurich Insurance Group, die Ergebnisse zusammen.

Teure Folgen für die Versicherer

Dass die Folgen des Klimawandels bereits deutliche Schäden in der Versicherungsbranche hinterlassen, zeigt auch die jüngste Analyse der Munich Re. „Die Naturkatastrophenbilanz ist dominiert von Ereignissen, die nach dem Stand der Forschung stärker und häufiger werden“, analysiert Munich Re-Vorstand Thomas Blunck die neuesten Zahlen. Dabei war 2022 eigentlich kein Rekordjahr: Die weltweiten Schäden nach Unwettern, Waldbränden, Gewitterschäden und Überschwemmungen summierten sich auf 270 Mrd. Dollar. 2021 waren es gut 50 Mrd. Dollar mehr. Die Summe der versicherten Belastungen ist mit 120 Mrd. Dollar gleich geblieben. In den USA und Australien traten 2022 die teuersten Schäden auf, in Deutschland lagen sie im Durchschnitt.

„Der Klimawandel fordert zunehmend Tribut. Die Naturkatastrophenbilanz 2022 ist dominiert von Ereignissen, die nach dem Stand der Forschung stärker oder häufiger werden. Manche auch beides zugleich. Zudem ist erschreckend, was sich immer wieder zeigt: Naturkatastrophen treffen Menschen in ärmeren Ländern besonders stark. Prävention und finanzielle Absicherung, etwa durch Versicherungen, müssen daher höhere Priorität bekommen.“

Thomas Blunck, Vorstand der Munich Re

Mehr als ein Drittel der Gesamtschäden und rund die Hälfte der weltweiten versicherten Schäden gehen demnach auf das Konto von Hurrikan „Ian“. Zweitteuerste und gleichzeitig größte humanitäre Katastrophe des Jahres waren heftige Überschwemmungen als Folge sehr schwerer Monsun-Regenfälle in Pakistan. Im August waren die Niederschläge dort fünf bis sieben Mal so stark wie sonst üblich. Eine beschleunigte Gletscherschmelze als Folge der hohen Temperaturen verstärkte das Hochwasser erheblich. Mindestens 1.700 Menschen starben. Die direkten Schäden werden auf mindestens 15 Mrd. US-Dollar geschätzt. Versichert war fast nichts, zahllose Menschen verloren ihr Hab und Gut. Forscher schätzen demnach laut Rückversicherer, dass die Intensität dieses Ereignisses durch den Klimawandel bereits um die Hälfte im Vergleich zu einer Welt ohne Erderwärmung zugenommen hat und künftig weiter steigen wird.

„Wir beobachten, dass die Treibhausgasemissionen im Jahr 2022 weiter angestiegen sind. Schreiben wir die Gegenwart fort, kommen wir bis 2050 auf etwa zwei Grad plus verglichen mit dem vorindustriellen Zeitalter. Das heißt: Wenn wir so weitermachen wie bisher, wird unsere Generation die zwei Grad noch erleben.“

Ernst Rauch, Chef-Klimatologe der Munich Re im Interview mit dem Münchener Merkur

Die zweitteuerste Naturkatastrophe war demnach die Flutkatastrophe in Australien mit einem Gesamtschaden von etwa 6,6 Mrd. US-Dollar, von denen knapp vier Mrd. US-Dollar versichert sind. Im Oktober führten erneute Starkniederschläge zu einem weiteren katastrophalen Hochwasser im Südosten des Landes. Insgesamt verursachten Überschwemmungen in Australien im vergangenen Jahr Schäden von 8,1 Mrd. US-Dollar, davon waren 4,7 Mrd. US-Dollar versichert.

Themen wie der Klimaschutz, Inflation, Ernährungssicherheit und der Krieg in der Ukraine stehen in der kommenden Woche auch im Fokus des Weltwirtschaftsforums (WEF). Derzeit werden mehr als 2.700 Gäste aus 130 Ländern, unter ihnen 52 Staats- und Regierungschefs, in Davos erwartet. Auf der Gästeliste ist auch Allianz-Vorstandschef Oliver Bäte zu finden.

Autor: VW-Redaktion

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