Bundessozialgericht-Urteil greift in „Grundfesten“ der Nettolohn-Optimierungsmodelle ein

Bundessozialgericht. Quelle: Bundessozialgericht / Dirk Felmeden

Nettolohn-Optimierung wird in vielen Firmen genutzt – oft im Zusammenhang damit, dass z.B. zum Ausgleich von Einbußen in der gesetzlichen Rentenversicherung eine betriebliche Altersversorgung „abgeschlossen“ wird. Dreh- und Angelpunkt dieser Optimierungsmodelle ist u.a. die Sozialversicherungsfreiheit für bestimmte Leistungen des Arbeitgebers.

Am 23. Februar 2021 hatte nun das Bundessozialgericht folgende Fragen zu entscheiden: Können Abgaben zur Sozialversicherung reduziert werden, wenn anstelle des vollen Lohns Tankgutscheine gewährt werden und Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Werbeflächen an ihren privaten Kraftfahrzeugen an ihre Arbeitgeber vermieten? (BSG, Urteil vom 23.02.2021 – Az.: B 12 R 21/18 R).

Worum geht es?

Im Sozialversicherungsrecht werden auf das Arbeitsentgelt der versicherungspflichtig Beschäftigten Beiträge zur Sozialversicherung in Höhe von knapp 40 Prozent erhoben. Werden (auch) Sachleistungen gewährt, richtet sich die Beitragspflicht nach der Verordnung über die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung von Zuwendungen des Arbeitgebers als Arbeitsentgelt (SvEV). Darin wird unter anderem für Sachbezüge die entsprechende Geltung der steuerrechtlichen Bagatellgrenze von 44 Euro im Monat angeordnet.

Im Rahmen einer so genannten Nettolohn-Optimierung vereinbarte der Arbeitgeber (Kläger), der nicht tarifgebunden ist, mit seinen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern im Jahr 2010 individuelle Bruttoentgeltverzichte zwischen 249 und 640 Euro im Monat bei gleichbleibender Arbeitszeit. Die bisherige Bruttovergütung wurde zur Berechnung künftiger Gehaltsansprüche weitergeführt. Gleichzeitig wurden „neue Gehaltsanteile“ unter anderem in Form von monatlichen Tankgutscheinen in Höhe von 40 Euro und Mietzahlungen für die Bereitstellung von Werbeflächen in Höhe von 21 Euro im Monat vereinbart.

Nach einer Betriebsprüfung forderte der beklagte Rentenversicherungsträger von der Klägerin Sozialversicherungsbeiträge nach. Hiergegen hat die Klägerin geltend gemacht, die Tankgutscheine hätten die steuerliche Bagatellgrenze unterschritten. Die Einnahmen aus der Vermietung von Werbeflächen beruhten auf eigenständigen Miet- und nicht auf den Arbeitsverhältnissen.

Insoweit hatte der Arbeitgeber vor dem Sozial- und Landessozialgericht Erfolg gehabt. Hiergegen wendet sich der beklagte Rentenversicherungsträger mit seiner Revision.

Die Entscheidung des Bundessozialgerichts

Das Bundessozialgericht gab den Sozialversicherungsträgern recht. Tankgutscheine über einen bestimmten Euro-Betrag und Einnahmen aus der Vermietung von Werbeflächen auf privaten PKWs, die als neue Gehaltsanteile an Stelle des Bruttoarbeitslohns erzielt werden, sind sozialversicherungspflichtiges Arbeitsentgelt und unterliegen der Beitragspflicht.

Vereinbart ein Arbeitgeber mit der Belegschaft einen teilweisen Lohnverzicht und gewährt im Gegenzug an Stelle des Arbeitslohns Gutscheine und zahlt Miete für Werbeflächen auf den PKWs der Belegschaft, handelt es sich dabei sozialversicherungsrechtlich um Arbeitsentgelt. Dieses umfasst grundsätzlich alle im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis stehenden geldwerten Vorteile. Ein solcher Zusammenhang ist anzunehmen, wenn der ursprüngliche Bruttoarbeitslohn rechnungsmäßig fortgeführt wird und die Tankgutscheine und Werbeeinnahmen als „neue Gehaltsanteile“ angesehen werden. Demzufolge kommt es nicht darauf an, dass die Werbeeinnahmen auf eigenständigen Mietverträgen mit der Belegschaft beruhten.

Die Beitragspflicht der Tankgutscheine entfiel auch nicht ausnahmsweise. Bei ihnen handelte es sich nicht um einen Sachbezug, weil sie auf einen bestimmten Euro-Betrag lauteten und als Geldsurrogat teilweise an die Stelle des wegen Verzichts ausgefallenen Bruttoverdienstes getreten waren. Die steuerrechtliche Bagatellgrenze von 44 Euro im Monat kommt daher nicht zur Anwendung. 

Fazit: Das Urteil greift in die „Grundfesten“ der Nettolohn-Optimierungsmodelle und gegebenenfalls den damit verbundenen Zusagen auf betriebliche Altersversorgung ein. Arbeitgeber, die solche Modelle nutzen, müssen sich nun auf entsprechende Prüfungen und Beitragsnachforderungen der Sozialversicherungsträger einstellen. Der Arbeitgeber ist dabei Gesamtschuldner der Sozialversicherungsbeiträge (§ 28e SGB IV) und kann einen unterbliebenen Abzug nur bei den drei nächsten Lohn- oder Gehaltszahlungen nachholen (§ 28g SGB IV). Ist der Arbeitnehmer schon ausgeschieden, muss der Arbeitgeber die Nachforderung tragen. Eine Zusage auf betriebliche Altersversorgung bleibt regelmäßig unberührt.

Autor: VW-Redaktion

2 Kommentare

  • Die Urteilsbegründung überzeugt durch ihre klare Aufarbeitung und Feststellung des Vergütungssachverhalts „Arbeitslohn“ und die daran anzuknüpfenden Konsequenzen für die Beitragspflicht in der Sozialversicherung. Dass diese Form der Gesetzesumgehung , die vermeintlich schlaue, aber auch dreiste Juristen ( Rechtsanwälte und Syndiki)
    allzu lange Zeit als angebliche „Gesetzeslücke“ zu nutzen wussten, erst jetzt durch Urteil des Bundessozialgerichts aufgedeckt und mit spürbaren Folgen für die so unsolidarisch handelnden Arbeitgeber ist der eigentliche Skandal.

  • Lange überfällig sowie nicht verwunderlich! Diverse Versicherungen bzw. Vertriebe sind auf den Zug aufgesprungen und versuchten Betriebsrenten über die „Optimierung“ von Entgelt zu verkaufen, wobei es meist um Barlohnreduktion mit -umwandlung ging. Dabei wurden oft mehr als zweifelhafte Modelle angewandt.
    Das Urteil liest sich klar und strukturiert, so dass kein Zweifel besteht, dass künftig der Vorteil nur erzielt werden kann, wenn es als Zusatzleistung zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn erbracht wird. Gut so!

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