Gothaer-Experte Knop über Sterbetafeln: „Kritik, man müsse über 100 Jahre alt werden, um sein Geld zurückzuerhalten, zu kurz gesprungen“

Rafael Knop, Leiter Leben Mathematik bei der Gothaer. Quelle: Unternehmen.

Immer wieder werden die Versicherer für ihre angeblich „überzogenen Lebenserwartungen“ kritisiert, die die Versicherten benachteiligen. Rafael Knop, Leiter Leben Mathematik bei der Gothaer, wischt das vom Tisch, die Kalkulation wäre gesetzlich vorgegeben und die Versicherten an den entstehenden Gewinnen beteiligt. Mit welchen Tafeln er warum arbeitet und ob und wie die älter werdende Bevölkerung Einfluss auf die Produktgestaltung hat, erklärt er im offenen Gespräch.

VWheute: Welche Auswirkungen haben die neuen Destatis-Sterbetafeln auf ihre Arbeit und mit welchen Sterbetafeln arbeiten Sie. Wie weichen sie ggf. voneinander ab?

Rafael Knop: Wie die meisten deutschen Lebensversicherungen arbeiten wir mit Tafeln, die auf Rechnungsgrundlagen der Deutschen Aktuarvereinigung (DAV, Berufsverband der Versicherungsmathematiker) basieren. Konkret für den Rentenbezug verwenden wir eine Tafel, die auf der Tafel DAV2004R basiert. Diese wurde im Jahr 2004 eingeführt und wird regelmäßig von der Deutschen Aktuarvereinigung überprüft. Sie enthält einen Trend, der Alterungen in der Bevölkerung berücksichtigt und seit 2004 relativ zuverlässig eintrifft.

Die Tafeln der beiden Herausgeber weichen naturgemäß voneinander ab – einerseits wird eine unterschiedliche Grundgesamtheit betrachtet, andererseits werden abweichende Berechnungsmethoden verwendet.

VWheute: Was bedeutet es in der Altersvorsorge, wenn die Menschen immer älter werden, sowohl für die Auszahlung aber auch längere Ansparphasen?

Rafael Knop: Das hängt sehr stark damit zusammen, wann Personen in Rente gehen. Verlängert sich nur die Lebenserwartung und verbleibt das Renteneintrittsalter bei 67, wird die einzelne Rentenhöhe sinken oder die Beiträge zur Rente müssen steigen. Verschieben sich Lebenserwartung und Renteneintrittsalter in dieselbe Richtung, könnte die längere Aufschubzeit dafür sorgen, dass die Rentenhöhe gleich bleibt. Sehr entscheidend dafür wird das Zinsumfeld sein, aber auch das persönliche Risikomaß eines jeden: Solange Beitragsgarantien gewünscht sind, wird das Renditepotenzial gesenkt – und damit die Möglichkeit einer höheren Rente.

VWheute: Kritiker bemängeln die Sterbetafeln der Versicherer, was sagen Sie dazu?

Rafael Knop: Ich halte die Kritik für zu kurz gesprungen, insbesondere die typischen Ausführungen, man müsse >100 Jahre alt werden, um „sein Geld“ zurückzuerhalten. Der Gesetzgeber hat klar vorgegeben, dass ausreichende Sicherheiten bei der Kalkulation zu verwenden sind. Eine Nutzung von Destatis-Tafeln würde also nicht nur inhaltlich unpassend sein, sondern auch gegen diese Vorgabe verstoßen. Die Sicherheiten in der Kalkulation werden an die Kunden weitergegeben im Rahmen der Überschussbeteiligung. Sterblichkeitsgewinne sind sogenannte Risikogewinne, an die die Versicherungsnehmer zu 90% beteiligt werden müssen. Sollten also wirklich zahllose Kunden „viel zu wenig“ bekommen, müssten andere Kunden „viel mehr“ erhalten.

Ebenso ist auch ein weiterer Effekt beachtenswert: durch die vorsichtige Kalkulation stellen wir sicher, dass die Renten nicht sinken. Der Einsatz anderer, schwankungsanfälliger Tafeln könnte vielleicht höhere Rentenleistungen ermöglichen, birgt aber das Risiko, dass die Rente reduziert wird. Dies kann im Ruhestand von den Rentnern schwer ausgeglichen werden und würde dieselben Kritiker auf den Plan rufen, die nun den vorsichtigen Ansatz bemängeln.

VWheute: Viele Anbieter bieten lebenslange Renten an, wie wird das kalkulatorisch aussehen, wenn die Menschen alle hundert werden?

Rafael Knop: Wie eingangs beschrieben sieht die aktuelle Rententafel der DAV bereits einen Trend vor. Versicherungsnehmer müssen sich zunächst nicht sorgen, denn für die Garantien steht ihr Anbieter ein. So gibt es bereits heute die sogenannte „Rentennachreservierung“, bei der Versicherer ältere Tarife stärken, die von einer geringeren Alterung ausgegangen sind. Natürlich geht dies zu Lasten möglicher Überschüsse, die über die zugesagte Leistung hinausgehen. Sollte die Alterung die bisherige Kalkulation übersteigen, werden auch weitere Tarife nachreserviert werden.

VWheute: Welchen Einfluss haben die neuen Sterbetafeln auf die Produktgestaltung, brauchen die oben beschriebenen Phänomene neue Lösungen?

Rafael Knop: Die Sterbetafeln wirken derzeit nicht groß auf die Produktgestaltung, vielmehr ist es das Zinsumfeld. Den klassischen, jahrelang gelehrten und akzeptierten Zinseszinseffekt gibt es derzeit nicht, und auch auf Sicht ist nicht damit zu rechnen. Damit ein Inflationsausgleich entsteht und sogar eine Überrendite erzielt werden kann, um im Alter echt „mehr“ zu haben, sind also neue Produktideen nötig. Dabei gilt leider der eherne Grundsatz: Garantien kosten Geld – viel Geld in der heutigen Zeit. Klassische Lebensversicherungen, die sich auf einen Garantiezins verlassen und aus der Investition in Staatsanleihen und Co. auf Renditen setzen, sind sicherlich schwierig umzusetzen. Moderne Produkte, mit höchstens endfälligen Garantien müssen so ausgestaltet werden, dass Kunden sie verstehen und für sich bereit sein können, die Risiken zu tragen.

Die Fragen stellte VWheute-Redakteur Maximilian Volz.

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