S/4HANA-Migration: Strategien für eine erfolgreiche Einführung in Versicherungsunternehmen

Ein Drittel der Versicherer befindet sich derzeit bereits in der Umstellung auf S/4HANA, knapp 25 Prozent haben mit der Umstellung noch nicht begonnen, zwölf Prozent sind bereits umgestellt. Das zeigt eine aktuelle Convista-Markterhebung, die unter folgendem Link heruntergeladen werden kann: www.convista.com/s4hana-versicherung.

Eine der ersten Fragen, die sich Versicherer bei der Implementierung von SAP S/4HANA stellen und die aufgrund aktueller Verlautbarungen von SAP hohe Wellen schlägt, ist die Wahl des passenden Betriebsmodells. 

Cloud oder nicht Cloud? 

Eine aktuelle Convista-Erhebung zeigt: Versicherer setzen derzeit vermehrt auf das On-Premises-Modell. Dabei handelt es sich vor allem auch um Versicherer, die bereits vor 2023 umgestellt haben. Hierbei hosten sie ihre SAP-Systeme innerhalb ihrer eigenen IT-Landschaft und haben so die volle Kontrolle. Ein wichtiges Entscheidungskriterium ist maximale Flexibilität: Weitreichende Individualisierungen und Erweiterungen im Rahmen der von SAP bereitgestellten Funktionen sind möglich und üblich. Dies wird durch Customizing, kundenindividuelles Coding und Drittanbieter-Add-ons realisiert.

Was allerdings gegen diese Lösung spricht, ist SAPs jüngst verkündete Strategie, Innovationen in Form von sogenannten Premium-Prozessen künftig nur noch Cloud-Kunden bereitzustellen.[1] Das dürften beispielsweise KI-gestützte Prozesse oder auch Erweiterungen der SAP Business Technology Platform (BTP) betreffen. Versicherer, die S/4HANA on-premises betreiben, werden sich mit dem Strategiewechsel der SAP auseinandersetzen müssen, um bei der weiteren Digitalisierung ihrer Geschäftsprozesse nicht ins Hintertreffen zu geraten. 

Der Gegenentwurf zu On-Premises ist der Systembetrieb in der Public Cloud oder Private Cloud. Die Public Cloud ist aktuell für die Versicherungsbranche selten nutzbar. Versicherungsspezifische Module wie z. B. FS-CD oder FS-CM stehen in der Public Cloud nicht zur Verfügung. Best Practices im Bereich der Finanzbuchhaltung für Versicherungen sind ebenfalls in der Public Cloud nicht realisierbar (z. B. die Erweiterung des FI-Belegs um Zusatzkontierungen). Die Public Cloud ist demnach aus unserer Sicht oftmals keine Option für Versicherer. 

Bleibt noch die Private Cloud. Ähnlich wie beim On-Premises-Betrieb in eigenen Rechenzentren sind hier Individualisierungen möglich. Zudem können die versicherungsspezifischen Module eingesetzt werden. Jedoch wird die Infrastruktur von einem externen Anbieter auf dessen Servern verwaltet. SAP selbst bietet diesen Service an und wird Premium-Prozesse künftig nur seinen eigenen Cloud-Kunden zugänglich machen. 

Zusätzlich zu allen drei Varianten bietet SAP Public-Cloud-Lösungen an, die unabhängig vom Betriebsmodell verwendet werden können: z. B. SAP Ariba, SuccessFactors oder SAC.

Der richtige Ansatz: Greenfield vs. Brownfield 

Eine weitere wichtige zu treffende Entscheidung bei der Einführung von S/4HANA ist die Wahl des Migrationsansatzes. Diese drei Szenarien kommen infrage: 

1. Brownfield: Hier wird das S/4HANA-Upgrade auf dem bestehenden SAP-System vorgenommen. Daher bleibt es im Wesentlichen erhalten, wird aber auf die neue S/4HANA-Version aktualisiert. Dies ist vor allem für Unternehmen interessant, die bestehende Prozesse und Strukturen beibehalten möchten. Der Vorteil ist eine vergleichsweise schnelle Umstellung. Im Rahmen der Transformation sind dafür nur eingeschränkt Anpassungen möglich. Die Convista-Markterhebung zeigt, dies ist bei Versicherern der beliebteste Ansatz. 

2. Greenfield: Es handelt sich hierbei um eine vollständig neue Implementierung von S/4HANA. Dieser Ansatz ermöglicht eine saubere Umstellung und bietet die Möglichkeit, veraltete Prozesse zu überarbeiten. In diesem Ansatz bestehen keinerlei Beschränkungen bezüglich der neuen Gestaltung des S/4HANA-Systems. Das Vorgehen ist im Vergleich zum Brownfield-Ansatz umfangreicher und benötigt eine längere Projektlaufzeit.

3. Selective Data Transition (SDT): SDT kombiniert Elemente aus beiden Ansätzen. Bei diesem Ansatz können umfangreiche Änderungen an Prozessen und Strukturen vorgenommen werden, ohne dass eine vollständige Neukonfiguration des SAP-Systems erforderlich ist. Im Rahmen der Datenübernahme ist es zudem möglich, Zeitscheiben zu schneiden oder Datenkonvertierungen durchzuführen. Bezogen auf die Projektlaufzeit und den Projektumfang liegt dieser Ansatz oftmals zwischen dem Brownfield- und dem Greenfield-Ansatz.

Die Erfahrung aus vielen durchgeführten S/4HANA-Projekten bei Versicherern zeigt: Die Frage, welcher der drei Ansätze für ein Unternehmen der beste ist, lässt sich ohne detaillierte Betrachtung der spezifischen Systemlandschaft und Zielsetzung nicht beantworten. Wer sich die Zeit nimmt, den Istzustand zu analysieren und das Potenzial von S/4HANA entsprechend voll auszuschöpfen, entwickelt eine individuelle Migrationsstrategie, die das Optimum herausholt und dennoch pragmatisch und umsetzbar bleibt. 

Optimierungspotenzial in Vorstudie erkennen und ausreizen 

All dies wird in einer kundenspezifischen Vorstudie betrachtet. Insgesamt dient sie als Grundlage für die Planung der S/4HANA-Einführung und hilft dem Unternehmen, erforderliche Schritte, Ressourcen und Kosten besser zu verstehen. SAP stellt für einen möglichst reibungslosen Übergang Analyse-Tools zur Verfügung. Dazu zählt z. B. der S/4HANA Readiness Check. Eine Prüfung der sogenannten Z-Programme – das sind die individuell für das Unternehmen angepassten Lösungen – ist ein weiterer wichtiger Aspekt.

Es geht in der Vorstudie aber nicht nur um die reine Planung. Ihr zentrales Ziel ist, das Beste aus S/4HANA herauszuholen. S/4HANA ist hauptsächlich eine In-Memory-Datenbank, die ermöglicht, sehr schnell auf große Datenmengen zuzugreifen. Das bringt das Potenzial, bisherige Strukturen und Abläufe zu überdenken und die digitale Transformation und Automatisierung ein ganzes Stück weiterzubringen: Vereinfachte Prozesse, keine Redundanzen, Realtime-Analysen und vieles mehr wird nun möglich.  

Gleichzeitig werden in der Vorstudie kritische Punkte geklärt und Stolpersteine aus dem Weg geräumt. Und selbst für vermeintliche Hindernisse, die die Umsetzung des gesamten Projekts infrage stellen, finden sich regelmäßig innovative Lösungen oder auch bereits vorgedachte Ansätze dank über Jahrzehnte im Versicherungssektor aufgebautem SAP-Know-how. 
 

Daniel Ottenberg
Managing Partner, Convista


[1] Born, Achim: SAP: Innovationen bald Cloud-Only? DSAG schlägt Alarm

Stand: 03.08.2023, Link: https://www.heise.de/news/DSAG-SAPs-Cloud-Ankuendigungen-verunsichern-Anwender-9233979.html