Gefühlte und tatsächliche Inflation klaffen in Deutschland extrem auseinander
Die deutlichen Preissteigerungen belasten die Arbeitnehmer wie Versicherer derzeit gleichermaßen. Allerdings scheint die „gefühlte Inflation“ in der DACH-Region deutlich höher zu sein als die tatsächliche Teuerungsrate. Vor allem in Deutschland fällt die Diskrepanz besonders deutlich aus, fasst eine Studie von Allianz Trade zusammen.
Die Schweizer leben weiterhin auf einer Insel der Geldstabilität. Sie verzeichneten im Mai 2023 eine Inflationsrate von lediglich 2,2 Prozent. Im Gegensatz dazu sind die Inflationsraten in Deutschland und Österreich mit 6,1 Prozent und 8,8 Prozent fast drei beziehungsweise viermal so hoch. Besonders in der Bundesrepublik lag die bei den Menschen wahrgenommene Inflation bei 18 Prozent, wie aus einer aktuellen Studie von Allianz Trade hervorgeht.
Nach Angaben des Kreditversicherers habe diese Diskrepanz vor allem mehrere Gründe: Verbraucher achten beispielsweise stärker auf Preisänderungen bei häufig anfallenden Einkäufen wie Lebensmittel und Getränke, Kraftstoff oder sonstigen Besorgungen im Supermarkt. Wenn dort diese Preise überdurchschnittlich steigen, neigen die Menschen dazu, eine wesentlich höhere Teuerung zu empfinden. Aber auch psychologische Aspekte, demografische und regionale Unterschiede, und individuelles Konsumverhalten können dazu führen, dass Verbraucher den Preisanstieg anders beurteilen als die offizielle Inflationsmessung. So entstehen ein verzerrtes Bild und eine starke Diskrepanz zwischen der wahrgenommenen und tatsächlichen Inflation.
Demnach würden vor allem in Deutschland alle Faktoren, welche die Inflationsrate beeinflussen, zum Tragen: Die hohe Abhängigkeit von Energieimporten aus Russland ließ die Energiepreisrechnung stark ansteigen. Die deutsche Regierung hatte dem mit Strom- und Gaspreisbremse entgegengewirkt. In der Eurozone hat ein schwacher Euro gegenüber dem Dollar die Inflation erhöht, da Rohstoffe wie Öl oder Gas, die in Dollar gehandelt werden, teurer geworden sind. In den letzten Wochen und Monaten hat Deutschland aufgrund der Zinserhöhungen der EZB von dem stärkeren Euro profitiert. Die Erzeuger- und Großhandelspreise sind daher seit Herbst 2022 gesunken, was die Inflation mit einer gewissen Verzögerung dämpfen wird.
„Die gefühlte und die tatsächliche Inflation klaffen insbesondere in Deutschland weit auseinander. Die gefühlte Inflation in der Eurozone ist fast dreimal so hoch: Sie lag zuletzt bei fast 17 Prozent und damit ungefähr satte neun Prozentpunkte höher als die tatsächliche Teuerungsrate in diesem Quartal. In Deutschland lag die Abweichung der gefühlten Inflation von mehr als 18 Prozent sogar bei elf Prozentpunkten. Das ist nicht unerheblich, denn die gefühlte Inflation beeinflusst das Handeln der Verbraucher stark, zum Beispiel beim Kaufverhalten. Diese Diskrepanz spielt also gerade für die Wirtschaft und die Unternehmen sowie für die Zinspolitik eine wichtige Rolle.“
Jasmin Gröschl, Senior Volkswirtin bei Allianz Trade
In Österreich liegen die Unterschiede laut Allianz Trade vor allem in einem unterschiedlichen Warenkorb: So habe die Alpenrepublik einen starken Tourismussektor, in dem Investitionen in höhere Qualität in letzter Zeit zu einem starken Preisanstieg geführt haben. Da der Tourismussektor im Warenkorb der harmonisierten Verbraucherpreise in Österreich fast dreimal so viel Gewicht hat wie in Deutschland, bestimmt er somit die höheren Inflationsraten. Der Unterschied besteht aber auch bei den staatlichen Unterstützungsmaßnahmen fort. In Deutschland hatten Tank-Rabatt, Neun-Euro-Ticket bzw. nun 49-Euro-Ticket inflationsdämpfende Wirkung. In Österreich stiegen hingegen nach Ende der wesentlich stärkeren und längeren Mehrwertsteuersenkung die Preise im Anschluss besonders stark.
„Schlüsselfaktoren bei der Inflation sind die geografische Nähe zu Russland, die Abhängigkeit von Energie- und Lebensmittelimporten, staatliche Eingriffe zur Senkung einzelner Preise und die Stärke der jeweiligen Währung.“
Jasmin Gröschl, Senior Volkswirtin bei Allianz Trade
Die Schweiz profitiere indes vom seit langem starken Schweizer Franken, der die Inflation über die Importpreise und die unterschiedliche Konsumstruktur aufgrund des höheren Einkommensniveaus in der Schweiz dämpft. Zudem versorgt sich die Schweiz weitgehend selbst mit Strom aus Wasserkraft und Kernenergie und importiert nur wenige Lebensmittel. Außerdem würden die Schwankungen der Lebensmittelpreise auf dem Weltmarkt durch variable Zölle reguliert, die die inländischen Erzeuger und Verbraucher gleichermaßen schützen. Infolgedessen sind viele Waren in der Schweiz zwar teurer, aber die Preise sind weniger volatil.
Autor: VW-Redaktion