Wie der Direktvertrieb zum Wachstumsmotor werden kann

Der Online-Abschluss einer Versicherung ist in Deutschland weit verbreitet: Bildquelle: Memin Sito auf Pixabay

In Zeiten von Corona wirken die Einschränkungen der sozialen Kontakte und die Digitalisierung der Kommunikation als zusätzlicher Katalysator für den Direktvertrieb. Obwohl persönliche Interaktionen mit Kunden und Interessierten beschränkt wurden, sind die Versicherungsbeiträge in 2020 um 1,62 Prozent gestiegen. Einige Direktversicherer konnten dabei ein Plus von über 10 Prozent erzielen. Doch wie gelingt es Versicherern, den Direktvertrieb zum Wachstumsmotor zu machen und welche Kernfragestellungen sind zu beantworten? Von Gregor Morin, Kevin Michael Gerth und Michael Gouasé.

In den letzten Jahren findet die Kundenreise zu Versicherungsprodukten zunehmend auch in der digitalen Welt statt. So recherchieren laut GDV mittlerweile 80 Prozent der Kunden online, und jeder zweite Kunde hat bereits ein Versicherungsprodukt online abgeschlossen. Dementsprechend sind die gebuchten Beiträge der größten Direktversicherer (S/U) in Deutschland von 2010 bis 2020 um ca. 8,5 Prozent pro Jahr gestiegen. Mittlerweile beträgt der Anteil des Direktvertriebs am Neugeschäft bei den Schaden- und Unfallversicherungen knapp 13,7 Prozent. Das stärkste Wachstum konnten die Krankenversicherer verzeichnen. Hier stieg der Anteil des Direktvertriebs getrieben durch Krankenzusatzprodukte von 3,9 Prozent im Jahr 2010 auf 8,3 Prozent in 2020.

Der Trend hin zu einem direkten, digitalen Verkauf von Finanzprodukten hat durch die Coronakrise noch einmal einen Schub erlebt, und die Marktanteile werden in Zukunft noch weiterwachsen. Diese Entwicklung haben auch mittelständische Versicherer erkannt und ihren Direktvertrieb neu aufgestellt bzw. erste Projekte gestartet. Wer an diesem Wachstum teilhaben möchte, muss in einem ersten Schritt grundsätzlich folgende Kernfragestellungen adressieren:

  1. Wie sieht der strategische Lösungsraum aus, um im Direktvertrieb zu wachsen?
  2. Welche Direktvertriebsmodelle lassen sich im Markt erkennen und wie sind deren Geschäfts- und Betriebsmodelle ausgestaltet?
  3. Wie erfolgt das Zusammenspiel zwischen Direktvertrieb
    und den persönlichen Vertriebskanälen (wie Agenturen und
    Makler)?

Ansätze zur Stärkung des Direktvertriebs

Die strategischen Optionen zur Stärkung des Direktvertriebs umfassen weit mehr als den reinen Ausbau der Onlinepräsenz bzw. die Neugestaltung von Antragsstrecken. Der Lösungsraum schließt sowohl eigene als auch durch Dritte verantwortete Kanäle ein, die sich auch im Hinblick auf ihren Digitalisierungsgrad stark unterscheiden. Die Optionen schließen sich dabei nicht aus, sondern können passend zum Geschäftsmodell des Versicherers ausgewählt und auch miteinander kombiniert werden. Die meisten Versicherer fokussieren sich dabei in erster Linie auf den Ausbau des Onlinegeschäfts über die Website des Versicherungsunternehmens und die Zusammenarbeit mit Aggregatoren. Dabei lassen sich im Markt verschiedene Modelle beobachten.

Diese Modelle unterscheiden sich in den Dimensionen Markenstrategien, Produkte und Services, Preismodelle sowie Kundenzugänge. Beim Trennmodell wird ein abgegrenzter Direktkanal aufgebaut, der mit eigener Platzierung neben der Kernmarke besteht und eigene Produkte zu eigenen Preisen über separate Kanäle vertreibt. Diese eigene Direktmarke hat im Gegensatz zum Neoversicherermodell teilweise eine Markennähe zur Kernmarke. Die Preise und der Serviceumfang sind dabei in der Regel geringer als bei der Kernmarke. Das Integrationsmodell hingegen verzahnt den Direktvertrieb mit den stationären Vertriebskanälen unter einer Marke und ermöglicht eine kanalübergreifende Kundenreise mit meist einheitlichem Produkt- und Serviceangebot. Gemeinsam haben beide Modelle, dass fast alle im Markt zu beobachtenden Wettbewerber einheitliche Operations nutzen. So werden beispielsweise Schäden oftmals von der Schadeneinheit des Konzerns bearbeitet. Während beim Neoversicherermodell eine eigenständige digitale Versicherungsmarke aufgebaut wird, greift das Plattformmodell weiter und bietet den Kunden neben Versicherungsprodukten auch Finanzprodukte und Dienstleistungen anderer Anbieter an.

Eine wesentliche Herausforderung für viele Versicherer ist das Zusammenspiel von digitalen und stationären Vertriebskanälen im Bereich B2C und B2B2C. Oftmals fehlt es an einer klaren Zielsetzung und Ausrichtung des Direktgeschäfts, auf deren Grundlage sich die Vertriebswege abgrenzen lassen und gemeinsame Spielregeln in den überschneidenden Bereichen festgelegt werden können. Sind die Grenzen gezogen, lassen sich die Schnittstellen ausgestalten und der Direktvertrieb in seiner Rolle als „Enabler“ für den Agentur- und Maklervertrieb etablieren. Der Direktvertrieb stellt beispielsweise Nutzerdaten aus den digitalen Vertriebskanälen zur Qualifizierung von Leads bereit und unterstützt durch zusätzliche Kundeninformationen die Conversion der Leads im Agenturvertrieb oder Callcenter. Nach einem Onlineabschluss werden die Kunden einem Agenturbestand zugeordnet. Die Agentur erhält die Bestandspflegeprovision und kann den Kunden mit gezielten Vertriebsimpulsen weiter ausbauen.

Erste Schritte zum Ausbau des Direktvertriebs

Die Stärkung des Direktvertriebs ist in vielen Häusern bereits ein elementarer Teil der Managementagenda. Häufig fehlt jedoch eine ganzheitliche Vision oder auch der Überblick über mögliche strategische Stoßrichtungen, mit denen man das Wachstum im Direktvertrieb steigern und die digitale Reichweite verbessern kann. Hinzu kommt, dass die bestehende Dominanz des Agentur- und Maklervertriebs oft dazu führt, dass der Direktvertrieb eher zurückhaltend und nur punktuell ausgebaut wird. Um das zu ändern, braucht es eine einheitliche Position zu Notwendigkeit und Dringlichkeit, den Direktvertrieb auszubauen, sowie das gemeinsame Verständnis für die Wechselwirkungen zwischen digitalen und stationären Vertriebswegen. Auf Basis einer Analyse des Marktumfelds sollte der eigene Standort bestimmt werden, um von dort aus strategische Optionen abzuleiten. Dazu gehört die Positionierung gegenüber dem Endkunden durch die Weiterentwicklung der eigenen digitalen Vertriebskanäle wie Webseiten, Apps oder Kundenportal sowie die Positionierung bei digitalen Partnern wie Aggregatoren, Onlinemaklern und versicherungsfremden Partnern (z. B. Embedded Insurance).

Fazit und Ausblick

Die Projekterfahrungen von zeb zeigen: Der Ausbau des Direktvertriebs ist der konsequente nächste Schritt in der Vertriebsstrategie vieler mittelständischer Versicherungsunternehmen. Neben der Relevanz einer digitalen Sichtbarkeit nimmt der Marktanteil des Digitalgeschäfts stark zu, und in seiner Funktion als „Enabler“ im Omnikanalmodell wird es auch für das Wachstum in den stationären Kanälen mehrheitlich verantwortlich sein. Eine klare Definition der strategischen Positionierung ist dabei der Startpunkt auf dem Weg zum Auf- und Ausbau des Direktvertriebs. Aufsetzend auf der Strategie können die weiteren Handlungsfelder in den Dimensionen Prozesse, Produkte und Ressourcen strategisch und operativ erarbeitet werden. Unsere Erfahrungen unterstreichen, dass eine ganzheitliche Betrachtung vom Geschäfts- bis hin zum Betriebsmodell zwingend erforderlich ist, um auf allen Ebenen marktgerecht aufgestellt zu sein.

Autoren: Gregor Morin, Kevin Michael Gerth, Michael Gouasé; alle bei zeb

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