Versicherer sind keine Wunscharbeitgeber für neue Talente

Zu wenig Geburten, Versicherer suchen Talente. Bildquelle: Gerd Altmann auf Pixabay.

Glaubt man Axa-Vorstandschef Thomas Buberl, ist der „War of Talents“ bereits längst im Gange. Dabei ist die Versicherungsbranche zwar trotz mancher Imageprobleme im Wettbewerb um neue Talente nicht schlecht aufgestellt. Allerdings mangelt es den Unternehmen vor allem an inhaltlichen, emotionalen und beziehungsorientierten Stärken als Arbeitgeber, heißt es in einer aktuellen Analyse der Kölner Organomics GmbH.

Demnach könne sich hierzulande fast jeder dritte (32 Prozent) aller Schüler, Studenten und jüngeren Berufstätigen gut vorstellen, zukünftig für einen Versicherer zu arbeiten. Lediglich 14 Prozent schließen dies kategorisch aus. Dabei seien vor allem drei Faktoren für die Wahl des Arbeitgebers ausschlaggebend – nämlich Gehalt und weitere finanzielle Benefits (77 Prozent), Work-Life-Balance (73 Prozent) und Arbeitsplatzsicherheit (72 Prozent). Das allgemeine Unternehmensimage (38 Prozent) oder die Internationalität (26 Prozent) der Unternehmen spielen dabei allerdings nur eine untergeordnete Rolle.

Ein weiteres Ergebnis der Analyse: Junge Bewerber stellen die Karriereentwicklung beispielsweise auf eine Stufe mit der Work-Life-Balance oder der Arbeitsplatzsicherheit. Auf emotionaler und beziehungsorientierter Ebene stehen für die Bewerber vor allem das ehrliche (77 Prozent) und wertschätzende (75 Prozent) Handeln von Unternehmen im Vordergrund. Ebenfalls bedeutsam, im Vergleich aber weniger stark, sind nachhaltiges (44 Prozent) und agiles Verhalten (43 Prozent).

Allerdings erfüllen die Versicherer die Voraussetzungen für einen „idealen Arbeitgeber“ nur bedingt. So punktet die Branche zwar mit der Möglichkeit zum flexiblen und mobilen Arbeiten wie im Homeoffice (56 Prozent), dem Gehalt (55 Prozent) und der Arbeitsplatzsicherheit (55 Prozent). Zudem könne sich mittlerweile jeder dritte potenzielle Bewerber (35 Prozent) vorstellen, die Hälfte seiner Arbeitszeit im Homeoffice zu verbringen.

„Es gilt, neue Talente stärker auch auf der inhaltlichen und emotionalen Ebene zu erreichen – mit Qualitäten, die den Bewerbern besonders wichtig sind, der Versicherungsbranche bisher aber oft noch nicht zugeschrieben werden. Dabei geht es nicht um Gefühlsduselei, sondern darum, den potenziellen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ein entsprechendes, wertegeleitetes und stabiles Beziehungsangebot zu machen.“

Thomas Bittner, Geschäftsführer der Organomics GmbH

Zugleich wird aber auch das klassische Arbeiten im Büro weiterhin geschätzt; insbesondere von jüngeren Menschen, die noch stärker nach persönlichem Austausch und Orientierung suchen. So will mehr als jeder Zweite die Entscheidungen über Arbeitsort und Arbeitszeiten selbst treffen können. 15 Prozent wollen am liebsten gar nicht (mehr) im klassischen Büro arbeiten.

Eine möglichst „hierarchiefreie“ Organisation ist für 42 Prozent der Bewerber bei der Arbeitgeberwahl besonders bedeutsam. Besonders wichtig ist vielen für ihre Arbeitstätigkeit auch, dass diese inspirierend (53 Prozent) ist und damit ein bedeutsamer Beitrag zur Unternehmensvision geleistet werden kann (47 Prozent). Agile Arbeitsmethoden und der Einsatz digitaler Arbeitstools sind ebenfalls jedem zweiten Bewerber besonders wichtig.

Bei den ebenfalls wichtigen emotionalen und beziehungsrelevanten Stärken können die Versicherer immer noch nicht ausreichend punkten. Weder Ehrlichkeit (37 Prozent; Vergleichswert 2019: 33 Prozent) noch Wertschätzung (40 Prozent; 2019: 34 Prozent) sind die Versicherer als Arbeitgeber besonders attraktiv.

Wenig überraschend: In der branchenbezogenen Bekanntheits-Skala als Arbeitgeber führt die Allianz (73 Prozent), gefolgt von der Ergo und der Huk-Coburg (jeweils 60 Prozent) sowie der Axa (55 Prozent). Dabei erreichen große Versicherer als Arbeitgeber sogar ähnlich hohe Bekanntheitswerte wie namhafte Unternehmen des Automobilsektors als Deutschlands größter Einzelbranche, heißt es weiter.

„Die Versicherungsbranche muss sich noch stärker darauf einstellen, mit unterschiedlichen – und teils auch gegenläufigen – Erwartungen und Wünschen der Bewerber konfrontiert zu werden. Dies erfordert konkrete organisationale Weiterentwicklungen, Flexibilisierungen und Neuintegrationen innerhalb der Führungs- und Unternehmenskultur. Dazu gehört auch die stärkere Sensibilisierung der Führungskräfte für eine moderne und vor allem wirksame Gestaltung der Führungsbeziehungen. Andernfalls liefe die Assekuranz aktuellen Entwicklungen und sich verändernden Erwartungen hinterher“, kommentiert Thomas Bittner, Geschäftsführer der Organomic GmbH, die Studienergebnisse.

Dabei verschärft sich der Wettbewerb um talentierte Mitarbeiter weiter. Mehr als sieben von zehn deutschen Unternehmen (76 Prozent) erwarten für 2022 Schwierigkeiten, neue Mitarbeitende für sich zu gewinnen, zeigt die Studie „Reimagining Work & Rewards“ von Willis Towers Watson (WTW). Besonders ausgeprägt sind die Schwierigkeiten im digitalen Bereich: 93 Prozent der befragten deutschen Unternehmen erklärten, dass die Anwerbung oder das Halten von digital-fitten Mitarbeitenden schwierig sei. Probleme bestehen vor allem in den Bereichen Artificial Intelligence (AI), User Experience und Cybersecurity, erklärt Florian Frank, Leiter Work & Rewards bei WTW.

Für die Branche gilt es jedenfalls, über den Tellerrand der traditionellen festangestellten Tätigkeiten zu schauen. Sourcing über Talent-Plattformen, die Zusammenarbeit mit Freelancern oder Kooperationen helfen ebenso, der Fachkräfteknappheit zu begegnen, weiß Frank.

Die Schuld der Branche ist der Personalmangel nicht. „Durch die geburtenschwachen Jahrgänge gibt es viel weniger Bewerber:innen auf dem Markt als noch vor einigen Jahren“, analysiert die Axa. Die Anzahl qualifizierter Mitarbeitender sinkt, die Gehälter und die Besetzungsdauer steigen, bringt die VKB das Dilemma der deutschen Versicherer auf den Punkt.

Autor: VW-Redaktion

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