Versicherungsrecht: „Die Bubble, in der sich die unglücklichen Sprachschützer*Innen verheddert haben, wird irgendwann platzen“

Verrückte Rechtssprache. Quelle: Pixaline auf Pixabay

Wenn man/frau die Ureinwohner Nord-Amerikas früher beim Namen nennen wollte, sagte man/frau einfach „die Indianer“. Das geht nicht mehr, weil der Kindheitstraum Indianerhäuptling zu werden, als unzulässige identitäre Aneignung bewertet wird. Und die oberste Sprachautorität des Landes, der Autofabrikant AUDI, hat dekretiert, dass in internen Anschreiben nur noch die „Lieben Audianer_innen“ zu adressieren sind. Man hat lange diskutiert, ob man/frau nicht Audianer*innen oder Audianer*Innen sagen könne, aber das schien nicht inklusiv genug, weil sich „Diverse“ in dem sog. Gendersternchen nicht hinreichend repräsentiert finden würden. Der Unterstrich _ soll das Problem lösen. Ein Beitrag von Prof. Dr. Theo Langheid.

Man sollte meinen, AUDI hätte besseres zu tun, zum Beispiel den Austausch illegaler Diesel-Abschaltvorrichtungen. Man könnte über solchen Kindereien einfach zu Tagesordnung übergehen, aber dann gäbe es diesen Blog nicht und es könnte nicht auf weitere Fortschritte bei der korrekten Sprachentwicklung hingewiesen werden: waren bislang die spätestens seit dem Brexit ungeliebten Briten führend in gendergerechter Sprache (Herstory statt Historychestfeeding statt breastfeedingPeople who menstruate statt WomenBirthing Parent statt Mother [und Father? Richtig: Nonbirthing Parent] &c. &c. &c.), schwappt derlei zunehmend über den Kanal auf das Festland.

Die Franzosen haben vorsichtig angefangen: Louis XIV. hieß im Musée Carnavalet fortan Louis 14. Das zielte angeblich auf die der römischen Ziffern unkundigen Amerikaner. Aber Hollywood konterte und verwies auf Rocky II, III, IV. Bei uns hingegen hat inzwischen jede öffentlich-rechtliche Nachrichtensprecherin bis zum Umfallen das unfallfreie Aussprechen von Wortmonstern wie Forscher*Innen geübt, ein Höhepunkt war zweifellos die „Kulturzeit“-Dame, die von den „Goldene Bär*Innen-Gewinner*Innen“ sprach.

Kein Wunder, dass solche Raserei die Rechtssprache nicht auslässt. Zunächst muss der heldenhafte (nicht held*innenhaft, weil nur Männer am Werk waren) Beschluss des BVerfG gelobt werden, das eine Verfassungsbeschwerde gegen ein ablehnendes Urteil des BGH über gendergerechte Sprache in Sparkassenformularen nicht zu Entscheidung angenommen hat. Derlei Resistance löste bei der Präsidentin des Deutschen Juristinnenbundes (djb, ohne *) Maria Wersig blankes Entsetzen aus, weil sie in dem Kassenformular einen „männlich konnotierten Sprachgebrauch“ erkennt, der „eine jahrhundertelange Unterdrückung der Frau“ dokumentiert.

Kleiner geht’s offenbar nicht. Oder doch: die Stadt Hannover hat jetzt neuerdings ein Gutachten der Genderrechtlerin Prof. Dr. Ulrike Lembke von der Humboldt-Uni und Richterin am Landesverfassungsgericht Berlin vorgelegt, wonach sämtliche höchstrichterlichen Richter*Innen die Verfassung brechen und ersichtlich rechtswidrig urteilen, wenn sie die von der Verfassung gebotene Gleichstellung der Geschlechter missachten. Die Verfassung verbiete gendergerechte Sprache nicht nur nicht, nein, sie gebiete deren Gebrauch, weil alles andere eine „grobe Verletzung rechtsstaatlicher Grundsätze“ darstelle. Wenn aus „Gutachten“ Pamphlete werden; kann so jemand überhaupt noch neutral genug sein, um unbefangen über die Einhaltung einer Landesverfassung zu urteilen?

Und so heißt das RVG (in einfacher, aber unkorrekter Sprache das „Rechtsanwaltsvergütungsgesetz“) jetzt Gesetz über die Vergütung der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte und das „Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz“ (die Bindestriche sind amtlich) heißt in der Langversion ernsthaft Gesetz über die Vergütung von Sachverständigen, Dolmetscherinnen, Dolmetschern, Übersetzerinnen, Übersetzern sowie die Entschädigung von ehrenamtlichen Richterinnen, ehrenamtlichen Richtern, Zeuginnen, Zeugen und Dritten.

Solche Bemühungen um eine gendergerechte Sprache werden vom „Handbuch der Rechtsförmlichkeit“ des Bundesjustizministeriums (findet sich ausgerechnet unter dem Stichwort „Bürokratieabbau“, letzte Auflage 2008, immerhin 892 Randnummern, ohne Anhänge) nicht unterstützt. In Randnummern 100 ff. des „Handbuchs der Rechtsförmlichkeit“ wird das generische Maskulinum ausdrücklich „genehmigt“, also „der Eigentümer“, „der Verkäufer“, „der Mieter“ &c. Danach existiert auch das generische Femininum wie „die Waise“, „die Geisel“ oder „die Person“. Korrekt ist danach, dass die Geisel auch männlich und der Trottel auch weiblich sein kann.

Problematisch wird es da, wo die Gleichstellung nur teilweise gelingt, der Lapsus aber früher durch das generische Maskulinum aufgefangen wurde. Wenn § 165 Abs. 1 Nr. 1 SGB III „Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern“ Insolvenzgeld bei einem Insolvenzverfahren „über das Vermögen des Arbeitgebers“ gewährt, exkludiert das die Arbeitgeberin? Gehen die „Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer“ dann leer aus? Und wenn § 1 UWG nur den „Schutz der Mitbewerber, der Verbraucherinnen und Verbraucher sowie der sonstigen Markteilnehmer“ vorschreibt, bleiben dann Mitbewerberinnen und/oder Marktteilnehmerinnen außen vor? Natürlich nicht, meint der gesunde Menschenverstand (wenn man darauf noch abstellen darf), aber warum wird dann teilweise ausdrücklich auf „Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer“ oder „Verbraucherinnen und Verbraucher“ abgestellt? Der Telos wird es richten, aber warum dann der ganze Zauber?

Und was macht die Assekuranz? Adam Riese? Ernsthaft? Das VVG muss komplett überarbeitet werden. Schon die ersten Worte in § 1 VVG sind partizipationsunwürdig: „Der Versicherer“! Den gibt es gar nicht. Alles Aktiengesellschaften, also nur Versichererinnen. Halt! Der VVaG ist männlich. Der Verein. Auch, wenn er Frauen als Mitglieder akzeptiert. Und dann ist in § 1 VVG nur von einem Risiko „des Versicherungsnehmers“ die Rede! Und nur „der Versicherungsnehmer“ ist verpflichtet, die Prämie zu leisten. Also die Versicherungsnehmerin nicht? Freie Fahrt für alle Versicherungsnehmerinnen. Aber deren Risiko scheint ja gar nicht versicherbar zu sein. Keine Prämie, aber auch kein Versicherungsschutz? So schlimm wird es nicht kommen. Die Bubble, in der sich die unglücklichen Sprachschützer*Innen verheddert haben, wird irgendwann platzen und dann können alle wieder ruhig schlafen. Oder sich Wichtigerem zuwenden.

Autor: Prof. Dr. Theo Langheid

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