Achim Hillgraf im Interview: „Interessen von Versicherern und Kunden entwickeln sich in teilweise unterschiedliche Richtungen“

FM-Global-Manager Achim Hillgraf, Quelle: FM Global

Industrie 4.0, Klimawandel oder Pandemie: Die Lage in der Industrieversicherung ist „weiterhin angespannt“, konstatiert Achim Hillgraf. Im Exklusiv-Interview mit der Versicherungswirtschaft gibt der Managing Director bei FM Global eine aktuelle Einschätzung über die Risikolage und den digitalen Nachholbedarf im Industriegeschäft ab.

VWheute: Wie bewerten Sie die aktuelle Lage in der Industrieversicherung?

Achim Hillgraf: Wir erleben derzeit, dass die Situation in der Industrieversicherung weiterhin angespannt ist. Die Gründe hierfür sind vielfältig und wurden zum Teil durch die Covid-19-Pandemie noch verstärkt. Zusätzlich zu den „normalen“ Feuer- und Explosionsschäden haben die Naturkatastrophen der letzten Jahre – Hurrikane, Waldbrände oder Überschwemmungen wie zuletzt in Deutschland – den überwiegenden
Teil der Marktanbieter getroffen und womöglich zu einer mangelnden Rentabilität im Underwriting geführt. Entsprechend versucht die Branche weiterhin, das Underwriting zu straffen und somit eine nachhaltigere Balance zwischen Exponierung und Prämieneinkommen zu generieren.

VWheute: Firmenkunden müssen mit höheren Preisen, reduzierten Kapazitäten und immer mehr Ausschlüssen rechnen. Wohin bewegt sich der Markt?

Achim Hillgraf: Versicherer werden sich stärker darauf konzentrieren müssen, zu einer belastbaren Rentabilität zurückzukehren und diese langfristig beizubehalten. Dies wird allerdings Zeit brauchen und nicht ohne höhere Prämiensätze möglich sein. Das Prämienniveau der Vergangenheit, gepaart mit einem breiten Versicherungsschutz, ist in dieser Form nicht mehr realisierbar, zumal die Exponierungen für Versicherungsnehmer immer weiter steigen. Zusätzlich heben die Rückversicherer ihre Preise an, da sie ihre eigene Rentabilität gefährdet sehen. Derartige Preiserhöhungen werden im Anschluss fast zwangsläufig von den Versicherern an ihre Kunden weitergegeben. Die Aufsichtsbehörden insbesondere in Europa, sorgen zusätzlich zunehmend dafür, dass die Branche nachhaltige und rentable Geschäftsmodelle nachweisen muss. Entsprechend müssen die Versicherer ihre Angebote und Leistungen an diese neue Ausgangslage anpassen.

VWheute: Gibt es aus Ihrer Sicht Anzeichen für eine Trendwende?

Achim Hillgraf: Die Wirtschaft erholt sich weltweit von den Folgen der Covid-19-Pandemie und vollzieht zeitgleich einen Wandel, um sich auf neue Herausforderungen der Zukunft vorzubereiten, sei es der Klimawandel oder Industrie 4.0. Vor diesem Hintergrund wird die Bedeutung von Versicherungsschutz, der erst im Nachhinein greift, in vielen Fällen nicht mehr ausreichen, um der sich stetig ändernden Risikolage erfolgreich zu begegnen. Unternehmen sollten deshalb ihren Schutz ganzheitlicher betrachten, nicht nur um den unmittelbaren Sachschaden und die Beeinträchtigung des fortlaufenden Betriebs so gering wie möglich zu halten, sondern auch weil Schadenszenarien – wie etwa Reputationsverlust oder sinkendes Investorenvertrauen – drohen, die derzeit als nicht versicherbar gelten. Die Versicherer sind aufgerufen, den Unternehmen mit ihrer Erfahrung und ihrer Sachkenntnis zu helfen, sowohl bestehende als auch neue Risiken zu antizipieren und zu minimieren, um die Widerstandsfähigkeit der Unternehmen zu stärken.

VWheute: Wo liegen aus Ihrer Sicht die aktuellen Hauptprobleme
in der Industrieversicherung?

Achim Hillgraf: Die Interessen von Versicherern und Kunden entwickeln sich in teilweise unterschiedliche Richtungen. Während die Anbieter sich zunehmend genauer überlegen, welche Leistungen sie aus wirtschaftlicher Sicht langfristig anbieten können, wollen die Kunden gerne eine Police abschließen, die möglichst viele Bedrohungspotenziale ausreichend abdeckt. Umfangreicher Versicherungsschutz bedingt belastbare und präzise Daten, um das Risiko möglichst genau abschätzen zu können und im Anschluss einen möglichst fairen und nachhaltigen Preis zu ermitteln. Diese risikorelevanten Daten zu sammeln und die darauf basierende
Risikoanalyse durchzuführen, ist ein sehr zeit- und arbeitsaufwendiger
Prozess. Gleichzeitig kommen durch den Klimawandel, Industrie 4.0 und den Nachhaltigkeitstrend immer mehr neue Risiken auf die Unternehmen zu. Versicherer müssen sich vor dem Hintergrund dieser Gemengelage als wertschöpfender Partner der Industrie positionieren und bestmöglich versuchen, einerseits die Kapazitätsbedürfnisse ihrer Kunden nachhaltig abzubilden und andererseits neue Bedrohungspotenziale in ihr Produkt- und Serviceangebot mit aufzunehmen.

VWheute: Ist eine Pflichtversicherung für Elementarschäden aus Ihrer Sicht sinnvoll?

Achim Hillgraf: Durch den Klimawandel wird das Wetter unvermeidlich extremer werden und wir müssen damit rechnen, dass wir in Zukunft einerseits noch viel häufiger Naturkatastrophen erleben werden und dass diese andererseits immer heftiger ausfallen können. Dementsprechend können wir Unternehmen nur dringend empfehlen, sich gegen Elementarschäden zu versichern. Eine solche Versicherung kann in den allermeisten Fällen optional in den Versicherungsschutz für Industrie- und Gewerbeunternehmen eingeschlossen werden und ist Gegenstand einer gefährdungsabhängigen Zusatzprämie. Genauso wichtig ist es allerdings, die individuelle Gefährdungslage zu verstehen, sie zu quantifizieren und zu guter Letzt Maßnahmen zu ergreifen, diese bestmöglich zu reduzieren. Hierbei können und müssen Versicherer mit Rat und Tat an der Seite der Unternehmen stehen.

Die Fragen stellte VWheute-Chefredakteur Michael Stanczyk.

Das vollständige Interview lesen Sie in der neuen September-Ausgabe der Versicherungswirtschaft.

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