Altersvorsorge: „Produkte mit abgesenkter Garantie auch für sicherheitsorientierte Verbraucher bedarfsgerecht“

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Eine neue Studie des ifa hat gezeigt, dass in der jetzigen Niedrigzinsphase, Altersvorsorgeprodukte mit einer abgesenkten Garantie auch für risikoscheue Anleger bedarfsgerecht sein können. Das scheint zunächst unserem intuitiven Verständnis zu widersprechen. Alexander Kling vom Institut für Finanz- und Aktuarwissenschaften (ifa) in Ulm beantwortet im Gespräch mit Henriette Meissner, Mitherausgeberin des Kompass 2/2021 zum Thema „Abgesenkte Garantien, Sicherheit, Rendite. (betriebliche) Altersvorsorge und Niedrigzins“ hierzu drei Fragen.

Henriette Meissner: Sie haben sich angesichts der zementierten Niedrigzinsphase den Nutzen von Garantien angeschaut. Warum müssen Kunden wie Berater jetzt genauer hinschauen? Welchen Tipp haben Sie für die Altersvorsorge-Berater?

Alexander Kling: Die Höhe der Zinsen hat sowohl Auswirkungen auf die Frage, welche Garantien überhaupt darstellbar sind als auch auf die Frage, wie viel Renditepotenzial eine Garantie kostet.

Als Zinsen hoch waren, waren Garantien weit über 100 Prozent der eingezahlten Beiträge möglich. Eine Garantie von 90 Prozent oder 100 Prozent der Beiträge lag damals deutlich unterhalb der maximal möglichen Garantie und war somit relativ preiswert, hat also wenig Renditepotenzial gekostet. Trotz Garantie war damals ein hohes Renditepotenzial möglich.

In Zeiten niedriger Zinsen sind Garantien in dieser Höhe hingegen sehr teuer, d.h., sie führen zu einer sehr starken Renditereduktion. Hohe Garantien sind aktuell also eine deutlich stärkere Renditebremse als jemals zuvor. Da jede unnötige Garantie auch eine unnötige Renditebremse ist, war es somit auch noch nie so wichtig wie heute, sich zu fragen, welche Garantie für welchen Kunden bedarfsgerecht ist.

Für Altersvorsorge-Berater bedeutet dies, dass die pauschale Denke „Mit einem Garantieprodukt kann ich nichts falsch machen“ nicht mehr richtig ist. Natürlich ist es nach wie vor geboten, genau über die Frage nachzudenken, welcher Kunde wie viel Sicherheit in der Kapitalanlage benötigt. Allerdings haben hohe Garantien eben auch einen Preis, der im aktuellen Umfeld bei der Produktauswahl nicht vernachlässigt werden darf.

Henriette Meissner: Im Kompass für die Beratungspraxis 2/2021, der sich intensiv mit dem Thema abgesenkte Garantien, Sicherheit und Rendite befasst, weisen Sie in Ihrem Beitrag darauf hin, dass es auf die „richtigen“ Garantien ankommt. Welche Garantien sind die richtigen? Oder anders gefragt, ist eine Beitragsgarantie von 100 Prozent immer die Beste?

Alexander Kling: Ich beginne mal mit dem einfacheren Teil der Frage: Eine Beitragsgarantie von 100 Prozent ist nicht immer die Beste. Die Frage, welche Garantien die richtigen sind, ist sicher deutlich schwerer und vor allem nicht pauschal zu beantworten. Hier sollte man sowohl darüber nachdenken, welche Art der Garantie für welchen Zweck geeignet ist, als auch über die geeignete Höhe einer Garantie. Beispielsweise ist für die Altersvorsorge die Garantie eines lebenslangen Einkommens wichtig, nicht aber eine möglichst hohe Jahr-für-Jahr-Garantie des investierten Kapitals. Die Frage der richtigen Garantiehöhe ist sicher äußerst kundenindividuell zu beantworten. Was aber klar ist: Die maximal mögliche Garantie ist vermutlich für keinen Kunden wirklich bedarfsgerecht.

Henriette Meissner: Wieso kommen Sie zu der Schlussfolgerung, dass eine Garantie, die unter der Bruttobeitragsgarantie liegt, auch für sicherheitsorientierte Anleger jetzt bedarfsgerecht sein kann?

Alexander Kling: Ein Teil des Arguments ist einfach, nämlich die Tatsache, dass eine Reduktion der Garantie stets das Renditepotenzial erhöht.  Bei niedrigen Zinsen ist dieser Effekt besonders stark ausgeprägt. Gleichzeitig wird üblicherweise angenommen, dass geringe Garantien stets mit einem höheren Risiko verbunden sind als hohe Garantien. Eine nominale Betrachtung der Euro-Werte der Leistungen bestätigt das auch. Diese Betrachtung lässt aber außer Acht, dass in Wirklichkeit die Chancen und Risiken in Bezug auf die Kaufkraft der Leistung – also reale, d.h. inflationsbereinigte Chancen und Risiken – relevant sind.

Hier ist nun folgender grundlegender Zusammenhang von besonderer Bedeutung: Die Gesamtrendite von Aktien weist über einen langen Zeitraum eine positive Korrelation mit der Inflation auf, d.h. vereinfacht gesagt, dass sie sich tendenziell ähnlich entwickeln.

Dies führt uns nun zum zweiten Teil des Arguments, welches der Knackpunkt in der angesprochenen Studie ist: Bei der Wirkung von Garantien (in Euro) auf das Risiko in Bezug auf die Kaufkraft der Leistung gibt es nämlich zwei gegenläufige Effekte: Geringe Garantien (und damit verbunden höhere Aktienquoten) erhöhen erstens das Risiko, das aus Schwankungen der Aktienmärkte resultiert. Zweitens reduzieren geringe Garantien aber im Gegenzug das Risiko, das aus der Inflation resultiert. Eine nominale Betrachtung berücksichtigt nur den ersten, ignoriert aber den zweiten Effekt.

Die risikoreduzierende Wirkung von Garantien fällt real (also inflationsbereinigt) deshalb geringer aus als bei einer nominalen Betrachtung und kann in manchen Fällen sogar ausbleiben. Der „Preis“ einer Garantie (also die Reduktion der Chance) ist somit real ähnlich hoch wie nominal. Der „Nutzen“ der Garantie (also die resultierende Risikoreduktion) ist hingegen real deutlich geringer als nominal. Im aktuellen Zinsumfeld erhöht eine Absenkung von Garantien die Chancen stark. Das relevante Risiko steigt hingegen kaum (wenn überhaupt). Deshalb sind Produkte mit abgesenkter Garantie auch für sicherheitsorientierte Verbraucher bedarfsgerecht.

Autor: VW-Redaktion

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