Torsten Oletzky: „Erfolgreiche Innovationen und Investitionen setzen voraus, dass wir auch lernen, mit Rückschlägen gelassen umzugehen“

Torsten Oletzky, TH Köln / InsurLab Germany. Quelle: TH Köln / Thilo Schmülgen

Wie ist es um die Jungunternehmer in der Versicherungsbranche bestellt und was machen andere Länder besser? Im Exklusiv-Interview mit der Versicherungswirtschaft spricht Torsten Oletzky, Professor am Institut für Versicherungswesen der Technischen Hochschule Köln und Vorstand im Insurlab Germany, über die Gründungskultur am Standort Deutschland und Potenziale sowie Probleme junger Marktteilnehmer.

VWheute: Wie bewerten Sie die Lage der Insurtechs? Einige der Jungunternehmen, Joonko und Getsurance, sind gescheitert. Jetzt hat die Bafin die Finanzierungsregeln verschärft.

Torsten Oletzky: Es ist absolut normal, dass nicht jedes neu gegründete Unternehmen durchkommt und ein großer Erfolg wird. Es gehört Mut dazu, etwas Neues anzufangen und ein Unternehmen zu gründen und diesen Mut sollten wir anerkennen, auch wenn es im Einzelfall einmal nicht geklappt haben sollte. Ich freue mich über alle Start-ups, die Leben in die etwas verstaubte Versicherungsbude bringen und die sich vielfach sehr schön entwickeln – ob sie Wefox, Getsafe oder Friendsurance heißen. Die Frage der Finanzierungsregeln der Bafin betrifft nur ein Teilsegment der Insurtechs, die digitalen Vollversicherer. Hier gilt es Regeln zu finden, die die Versicherungsnehmer ausreichend schützen und gleichzeitig Innovation nicht abwürgen.

VWheute: Als Professor an der Technischen Hochschule Köln und Vorstand des Insurtech Hub Köln: Wie ist die Situation deutscher Insurtechs im Gegensatz zu England, USA, Frankreich? Ist es für Jungunternehmen hierzulande schwieriger?

Torsten Oletzky: Das würde ich so pauschal nicht sagen. Eine Reihe von Standortfaktoren sehe ich sehr positiv. Ein großer, homogener Markt mit über 82 Millionen potenziellen Endkunden, gut ausgebildete Hochschulabsolventen als potenzielle Mitarbeiter, eine Versicherungswirtschaft, die zunehmend die Notwendigkeit für Kooperationen mit Start-ups für sich erkennt – all das wirkt positiv. Nachholbedarf haben wir bei der Finanzierung.

Erfolgreiche Innovationen und Investitionen setzen voraus, dass wir auch lernen, mit Rückschlägen gelassen umzugehen. Die angelsächsischen Märkte sind uns da einen großen Schritt voraus und deswegen funktionieren Start-up-Finanzierungen dort mitunter etwas einfacher. In der Versicherungs- und Finanzaufsicht gefällt mir der Sandbox-Ansatz der britischen Finanzmarktaufsichtsbehörde FCA – vielleicht sollte sich die Bafin diesen noch einmal genauer anschauen.

VWheute: Einige Insurtechunternehmen treten den Schritt über die Landesgrenzen an: Getsafe, Wefox, Hepster – fast alle bewegen sich ins deutschsprachige Ausland. Woran liegt der Expansionsdrang und warum meist ins deutschsprachige Ausland? Angst vor der angelsächsischen Konkurrenz?

Torsten Oletzky: Der Schritt ins Ausland macht dann Sinn, wenn man sein Geschäftsmodell erfolgreich im Heimatmarkt etabliert hat. Wer diesen Schritt zu früh geht, läuft Gefahr, sich zu verzetteln. Den Fokus auf die DACH-Region halte ich in diesem Kontext für einen schlüssigen und vorsichtigen ersten Schritt. Angst vor der angelsächsischen Konkurrenz müssen die deutschen Insurtechs nicht haben. Aber man sieht am Beispiel von Lemonade, dass auch umgekehrt der Sprung über sprachliche und kulturelle Grenzen selbst im Fall der erfolgreichsten angelsächsischen Insurtechs viel Kraft kostet und einen langen Atem fordert.

VWheute: Ist die deutsche Versicherungs- und Insurtechwelt im weltweiten Vergleich eher 1860 oder Bayern München? Wer ist bei den nationalen Insurtechs und Versicherern technisch vorne?

Torsten Oletzky: Auch wenn ich als Fan des 1. FC Köln im Fußball ein Traditionalist bin, sehe ich die Insurtechs eher als RB Leipzig – ob man diesen Club nun mag oder nicht. Die Insurtechs sind Neugründungen, die mit einem komplett neuen Ansatz die Welt der Etablierten aufmischen möchten. Gegen 1860 könnten sie wohl schon bestehen, gegen die Bayern heute noch nicht.

„Wir sollten nicht vergessen: Versicherung ist ein langfristiges Geschäftsmodell und es braucht mehr Zeit als in anderen Branchen, bis sich Innovationen nicht nur im Neugeschäft, sondern auch im Bestand durchsetzen.“

Torsten Oletzky, Professor am Institut für Versicherungswesen der Technischen Hochschule Köln und Vorstand im Insurlab Germany

VWheute: Herr Oletzky, ständig liegen mir Insurtechs und Investoren in den Ohren, dass die Finanzierung von Insurtechs hierzulande so schwierig und Amerikaner so viel risikobereiter seien. Wie bewerten Sie die Situation?

Torsten Oletzky: Amerika hat eine andere, risikofreundlichere Investitionskultur und das kommt den dortigen Start-ups zugute. Den neidischen Blick über den Teich kann ich insofern verstehen, aber er bringt uns nicht weiter. Start-ups mit guten Geschäftsmodellen finden auch in Europa ihre Finanzierung. Ich empfehle Gründern daher, alle Energie darauf zu verwenden, ein schlüssiges Geschäftsmodell zu erarbeiten, aus Rückschlägen zu lernen und das Geschäftsmodell kontinuierlich weiter zu entwickeln. Ich kenne kein erfolgreiches Start-up, das exakt mit dem Geschäftsmodell gestartet ist, mit dem es später den Durchbruch geschafft hat. Selbstkritik und ein enger Dialog mit den Geldgebern und Unterstützern sind aus meiner Sicht erfolgskritisch.

VWheute: Sie waren in „Ihrem früheren Leben“ Vorstandsvorsitzender der Ergo und sind Tech-Experte. Wann sehen wir Sie wieder im Geschäft, welche Rolle würde Sie reizen?

Torsten Oletzky: Alles hat seine Zeit. Ich hatte 16 sehr schöne Jahre bei der Ergo und habe mich dann entschieden, noch einmal etwas Neues zu machen. Ich wollte meine Erfahrung an die nächste Management-Generation weitergeben und selbst noch einmal Neues lernen. Heute macht mir meine Arbeit mit den Studierenden an der Hochschule und mit den Gründern im Insurlab Germany und in meiner Rolle als Business Angel sehr viel Spaß.

Die Fragen stellte VWheute-Redakteur Maximilian Volz.

Das vollständige Interview mit Torsten Oletzky lesen Sie in der aktuellen März-Ausgabe der Versicherungswirtschaft.

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