Sopra Steria: Mehr Versicherer werden in die Ökosysteme der Kunden eindringen

Kai-Uwe Reiter. Quelle: Sopra Steria SE

2021 wird für Versicherer ein Geschäftsjahr, das gar nicht so einfach vorherzusagen ist. Das Corona-Jahr 2020 hat die Branche, so wie die gesamte Wirtschaft und Gesellschaft, kräftig durchgeschüttelt. Diese Eruption wird in das kommende Jahr hineinwirken. Teils werden Veränderungen im Markt schneller sichtbar, teils löst die Pandemie neue Veränderungen aus. Ein Gastbeitrag von Kai-Uwe Reiter.

Soweit eine pauschale Bilanz überhaupt möglich ist, sind die Versicherer als Gesamtbranche bislang gut durch diese Krise gekommen. Anbieter von Betriebsschließungsversicherungen und Krankenversicherer werden das wahrscheinlich anders sehen. Die prekäre Lage vieler Unternehmen löst Streitigkeiten mit ihren Versicherern aus. Die werden häufig durch Vergleiche und freiwillige Zahlung ohne Leistungsverpflichtung beigelegt, bei denen der Versicherer meist finanziell nicht gut wegkommt. Das erhöht den Druck, diese sich auftuende Lücke 2021 wieder zu schließen. Die Krankenversicherer wiederum werden stärker als bisher an den Kosten für die Bereitstellung von Impfstoffen beteiligt werden. Durch mögliche Beitragsanpassungen wird die Attraktivität der PKV weiter zurückgehen. Zudem ist 2021 ein Wahljahr. Je nachdem, wer die Regierung im Spätherbst stellen wird, rückt eine Bürgerversicherung wieder in den Bereich des Möglichen und verunsichert Interessenten der PKV.

Andere Versicherer werden mit mehr Rückenwind in das neue Jahr gehen. Dazu zählen all die Unternehmen, die vertrieblich bereits auf starken Online-Beinen stehen. Selbst reine Online-Anbieter, wie die Deutsche Familienversicherung, mussten pandemiebedingt ihre Ziele nach Angaben ihres CEO korrigieren, wenngleich nicht in dem Umfang wie Versicherer, die sehr stark mit klassischen Maklern und eigenen Vermittlern zusammenarbeiten. Auch andere online-basierte Versicherungsgesellschaften wie Mailo, Neodigital und Lemonade konnten ihren Wettbewerbsvorteil, das Kundenerlebnis und die Schnelligkeit, deutlicher herausstellen.  Das kann sich 2021 durchaus in Form von mehr Marktrelevanz auszahlen.

Automatisierung und Standardisierung ja, digitaler Umbruch eher noch nicht

Dahin möchten andere Versicherer auch kommen. Es gab bereits erste Investitionen in den Vertrieb und zur Verbesserung der Customer Journey bei den hybriden Kunden. Dieser Trend wird sich 2021 ganz klar verstärken. Ziel vieler Unternehmen ist es, ein vertriebskanalübergreifendes Kundenerlebnis zu schaffen. Beispiel Chatbots: Angesichts ernüchternder Erfolge aus Pilotprojekten, verstehen die Verantwortlichen nun, dass sie Silos in der Kundenkommunikation aufbrechen müssen.

Den großen digitalen Umbruch darf jedoch keiner aus der Branche für 2021 erwarten. Automatisierung und Industrialisierung stehen im Fokus. Es wird Fortschritte bei automatisierten Antragsstrecken geben, ebenso bei der digitalen Stornobearbeitung, weil die dafür erforderliche Architektur für spartenübergreifende Verarbeitung zur Verfügung steht. Automatisiertes Underwriting hat ebenfalls die Chance, sich 2021 zu verbreiten. Darauf deuten Projekte wie das von Kasko2Go und MotionsCloud hin. Vorreiter beim Thema Datenanalyse werden zunehmend ihre aufgebaute Kompetenz bei Spezialkampagnen für bestimmte Zielgruppen einsetzen können.

Mehr Multiplexprodukte abseits der Versicherung

Strategisch zeichnet sich für 2021 ab, dass mehr Versicherer in die Ökosysteme der Kunden eindringen werden. Kooperationen werden Schule machen, zum Beispiel mit Händlern wie Ikea und der SwissRe-Tochter Iptiq sowie mit der Industrie wie Trumpf und Munich Re. Eigene neue Plattformen aufzubauen, ist nicht zwangsläufig der richtige Weg, sondern die Nutzung und der Ausbau bereits vorhandener Plattformen. Um relevant zu bleiben, werden Versicherer verstärkt in Multiplexprodukte investieren, beispielsweise in eine Mischung aus Technologie, Versicherung und Finanzierung oder in klassische Assistance- und Situativprodukte, die spontan online zu- und abwählbar sein werden. Der Erfolg hängt allerdings stark davon ab, wie weit Unternehmen bei der Digitalisierung ihrer Prozesse vorankommen, die aus der Sicht des Kunden gedacht sind.

Zwei gesellschaftliche Trendthemen, Klimaschutz und nachhaltiges Wirtschaften, werden 2021 den Versicherungsmarkt am Rande beschäftigen. Es wird sicherlich einige Unternehmen geben, die mit „grünen Policen“ werben werden und sich so einen Wettbewerbsvorteil verschaffen wollen. Große Neugeschäftsvolumina erwarten wir nicht. Der Unternehmenszweck, der „Purpose“, wird als Differenzierungsmerkmal künftig sogar eher an Bedeutung verlieren, zeigt die Studie Wettbewerbsvorteile im Entscheidercheck von Sopra Steria. Viele Versicherer werden deshalb abwarten.  

Veränderungen unter der Rubrik „Sonstiges“

Darüber hinaus wird die Versicherungsbranche 2021 an bekannten Baustellen weiterarbeiten – vor allem an der operativen Effizienz. Weitere Fusionen innerhalb von Konzernen sind wahrscheinlich, ähnlich wie bei der Provinzial  und der Konzernumbau der Generali  in diesem Jahr. Zudem werden die Versicherer Bedingungswerke verständlicher gestalten und ihre Produktsortimente vereinfachen, beispielsweise ihre Lebensversicherungs-Garantieprodukte nach und nach „ausfaden“. Das wird den Markt der Run-off-Spezialisten befeuern, die diese Verträge zu geringeren Kosten verwalten.

Zusätzlich werden sich White-Label-Plattformen etablieren, die anderen Versicherern und branchenfremden Unternehmen schlüsselfertige Prozesse und Produkte aus der Cloud an die Hand geben. 2021 wird somit insgesamt ein Jahr der evolutionären Weiterentwicklung mit einem Schwerpunkt bei den Online-Prozessen und im digitalen Vertrieb.

Autor: Kai-Uwe Reiter ist Leiter Insurance Consulting bei Sopra Steria

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