Inter-Vorstand Sven Koryciorz: „Die Regulatorik gleicht leider einem Perpetuum mobile“

Sven Koryciorz (links) und Michael Solf (rechts). Quelle: Inter

Seit Anfang September 2020 ist Sven Koryciorz als Vorstand beim Mannheimer Versicherer Inter in Amt und Würden. Nach 100 Tagen zieht er im Doppelinterview mit Vorstandssprecher Michael Solf eine erste Bilanz und skizziert die Eckpunkte der neuen Unternehmensstrategie.

VWheute: Herr Koryciorz, Ihr Aufgabenfeld umfasst amtlich Mathematik, Rechnungswesen, Zentrales In- und Exkasso, Rückversicherung, Unternehmensplanung, Zentrales Controlling, Risikomanagement sowie Zentrale Dienste. Konnten Sie seit Amtseintritt schon in jede dieser Abteilungen hineinschauen?

Sven Koryciorz: Seit meinem Start bei der Inter habe ich, bedingt durch die Folgen der Corona-Pandemie, weniger in verwaiste Abteilungen als vielmehr mittels Videotelefonie in unzählige heimische Wohn-, Ess- und Arbeitszimmer meiner neuen Kolleginnen und Kollegen hineingeschaut. Je nachdem, wo und wie sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für das Arbeiten von zu Hause aus eingerichtet haben.

Spaß beiseite: Die Aufgaben sind ohne Zweifel vielfältig, aber die Inter ist bestens strukturiert und hat alle zentralen Funktionen vorbildlich dokumentiert. Das erleichtert den Einstieg ungemein.

VWheute: Wie gehen Sie vor, um sich einen Überblick zu verschaffen?

Sven Koryciorz: Der effizienteste Weg, um schnell viel zu erfahren und zu verstehen, ist das Gespräch. Eine kompetente Mannschaft hat mich mit offenen Armen und großer, für die Kurpfalz typische, Herzlichkeit empfangen, sodass die Einarbeitung in die Themen sehr gut voranschreitet. Ich lerne jeden Tag neues hinzu. Dabei ist es mir wichtig, nicht nur in ‚meine‘ Bereiche zu schauen, sondern das Unternehmen als Ganzes zu begreifen.

Vor kurzem habe ich beispielsweise einen tiefen Einblick in unsere Produktpalette der Krankenversicherung erhalten – und bin begeistert. Nun kann ich nachvollziehen, warum wir etwa bei Morgen & Morgen zahlreiche Spitzenratings erhalten haben. Freude hat mir außerdem bereitet, einen Blick in unser Servicecenter werfen zu können. Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter leisten hier in der Beratung unserer Kunden eine klasse Arbeit. Wir haben durchgehend eine Erreichbarkeitsquote von über 99 Prozent, und das vor dem Hintergrund einer Home-Office-Quote von 75 Prozent seit mehreren Monaten.

VWheute: Ziehen Sie bitte einmal eine 100-Tage-Bilanz. Was lief gut, was war zäher als gedacht?

Sven Koryciorz: Die Inter hat bereits vor über einem Jahr ein strategisches Erneuerungsprogramm gestartet. Dieses Programm stellt – wenig überraschend – den Kunden noch stärker in den Mittelpunkt des Denkens und Handelns. Wir wollen uns noch stärker als bisher als servicestarker Lösungsanbieter unserer Zielgruppen positionieren. Dabei fokussieren wir uns beispielsweise auf unsere tiefen Wurzeln in der Krankenversicherung sowie unsere langjährige Expertise im Segment der Humanmediziner. Im Unternehmen weht aktuell ein breiter Wind der Veränderung, das ist natürlich für jeden, der etwas bewegen möchte, eine willkommene Konstellation.

Wir sind definitiv an den richtigen Themen dran, an den Kernprozessen etwa, welche im Kundenerlebnis nachweislich die größte Bedeutung haben, oder die Verbesserung der Schnittstellen Betrieb – Vertrieb. Dabei gilt es freilich, den Fokus zu bewahren und sich angesichts der Vielzahl guter Ideen nicht zu verzetteln.

Zäh ist hingegen – aufgrund der erwähnten Rahmenbedingungen der aktuellen Situation – an den wichtigsten Erfolgsfaktor unseres Unternehmens eng heranzurücken: unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Diese Herausforderung wird jeder kennen, der sich in diesen Tagen Neuem zugewendet hat. Ich vermisse es, mit Menschen an einem Tisch zu sitzen und sie persönlich kennenzulernen, die Dynamik von Team-Zusammenkünften zu spüren und auch einmal gemeinsame Erfolge gebührend zu feiern.

VWheute: Was unterscheidet die Inter von Ihren vorherigen Stationen Karlsruher und Württembergische?

Sven Koryciorz: Die Karlsruher Gruppe hatte ihren Fokus auf der Lebensversicherung, das Herz der Württembergischen schlägt in der Kompositversicherung und die Inter wiederum hat ihre Wurzeln in der Krankenversicherung. Diese Unterschiede in der DNA des jeweiligen Unternehmens sind natürlich deutlich zu spüren, vor allem hinsichtlich des jeweiligen Selbstverständnisses und der Grundausrichtung im Vertrieb.

Für die Inter ist aber noch etwas anderes prägend, das mir besonders gefällt: die kurzen Wege. In unserem mittelständischen Unternehmen kennen die handelnden Personen einander und sind sich nahe. Diesen Vorteil wollen wir zukünftig noch gezielter für schnelle Entscheidungen nutzen, insbesondere wenn sich beispielsweise Makler in der Gewerbeversicherung mit Spezialanfragen an uns wenden.

VWheute: Ihr Aufgabengebiet ist sehr zahlendominiert. Wie empfinden Sie die Regulierungsvorschriften und was sagen Sie dazu, dass bereits neue Projekte anstehen – Review der PRIIPS Richtlinie, IDD, Solvency II, um nur drei zu nennen.

Sven Koryciorz: Auch wenn wir es uns als Branche anders wünschen würden: Die Regulatorik gleicht leider einem Perpetuum mobile, das sich selbst unentwegt am Laufen hält und ständig neues hervorbringt. Kleinere und mittlere Unternehmen stellt dies natürlich vor besondere Herausforderungen, denn das Proportionalitätsprinzip greift nicht überall.

Bei regulatorischen Initiativen würde man sich zudem wünschen, zuvor deren (Kunden-)Nutzen sauber zu eruieren. Stattdessen finden sich in Gesetzesvorhaben auf den Euro genaue Angaben zu den vermeintlichen Umsetzungskosten, die mit der betrieblichen Realität der Unternehmen nichts zu tun haben. Aus meiner Sicht wäre daher eine ernsthafte Diskussion um die Einführung einer Regulierungsbremse wünschenswert.

VWheute: Herr Solf, führen immer neue Regulierungsvorschriften zu einem sichereren Wettbewerb oder einfach nur zu höheren Kosten?

Michael Solf: Das ist eine gute Frage, die ich mit „sowohl als auch“ beantworten würde. Der Verbraucher soll generell immer besser geschützt, seine Rechte gestärkt werden. In den meisten Fällen halte ich das für sinnvoll und angemessen, zumal ich als Privatperson ja auch Verbraucher bin. Außerdem sorgt eine gute Regulatorik für Wettbewerbsgleichheit zwischen allen Marktteilnehmern und mehr Markttransparenz.

Aus der Sicht eines Verantwortlichen in der Assekuranz denke ich dabei aber natürlich automatisch auch an die von Ihnen erwähnten höheren Kosten, die das Umsetzen neuer Vorschriften mit sich bringt. Aus diesem Blickwinkel würde ich mir mitunter etwas mehr Augenmaß und Praxisbezug wünschen. Zumal die Umsetzungsarbeiten für die Inter als mittelständischem Versicherer vergleichsweise stärker zu Buche schlagen als für einen „ganz Großen‘.

VWheute: Herr Koryciorz sprach es an: Die Inter will noch kundenfokussierter werden. Herr Solf, bitte skizzieren Sie uns den Weg, dieses Ziel zu realisieren.

Michael Solf: Diese Wegskizze beginne ich mit der Aussage „mental vor instrumental“, will heißen: Der erste Schritt des Weges muss sein, seine Denkweise, das Mindset, zu schärfen und den Nutzen des Kunden immer an den Beginn der jeweiligen Lösungsfindungen zu stellen. Hier haben wir noch Potenziale, die wir heben können und wollen, um uns als Versicherer mit unseren Produkten, aber im Besonderen auch mit begeisternden Serviceleistungen am Markt zu differenzieren. Das Thema ‚Kunden begeistern‘ noch mehr in der Unternehmenskultur zu verankern, ist deshalb auch ein zentrales Element des schon erwähnten Strategieprogramms der Inter.

Ein Vehikel, das wir im Sinne der kontinuierlichen Verbesserung eingeführt haben, sind die sogenannten Kundenreisen. Dabei befragen wir gezielt Kunden zu ihren Erfahrungen mit uns – egal ob bei einer Angebots-Anfrage, in der Beratung, bei der Schadenmeldung oder auch in puncto Beschwerdemanagement.  Für eine Steigerung der sogenannten Customer Experience analysieren wir das gesammelte Feedback in Arbeitsgruppen und definieren im Anschluss Verbesserungen, die dann umgesetzt werden.

Beispielhaft möchte ich noch neue, digitale Zugangskanäle nennen, die es dem Kunden insbesondere im Schadenfall so einfach wie möglich machen sollen, uns zu erreichen. Dafür entwickeln wir unter anderem unsere Kunden-App kontinuierlich weiter. Und damit unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unsere Kunden bestmöglich bedienen können, arbeiten wir sehr intensiv an der Weiterentwicklung unseres Customer Relationship Management. Hier werden wir im kommenden Jahr eine zentrale Plattform einführen, die es zum einen möglich macht, Kunden noch besser und schneller als bislang zu bedienen, und zum anderen unterstützt, wo Kunden möglicherweise noch Bedarfe haben und wie wir als Inter helfen können.

VWheute: Im Pressegespräch im Sommer dieses Jahres führten Sie aus, dass die Inter mit den neuen Herausforderungen in Folge von Corona gut zurande käme. Ist dies nach wie vor der Fall?

Michael Solf: Corona hat uns gezeigt, was wir in kürzester Zeit umsetzen können, wenn es wirklich sein muss. Dabei denke ich im Besonderen daran, wie schnell wir es geschafft haben, dass unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vom Home-Office aus arbeiten können und das ohne nennenswerte Abstriche bei unseren Servicelevels.

Aber natürlich zeigt sich auch, was wir bereits im Sommer konstatieren mussten: Für unser Neugeschäft liegt eine große Herausforderung darin, dass wir schlicht weniger Präsenztermine machen können. Gerade deshalb gebührt unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Vertrieb höchster Respekt und ein großer Dank, dass sie die Herausforderungen angenommen haben und alles dafür tun, dass wir auch unter den veränderten Arbeitsbedingungen für unsere bestehenden und potenziell neuen Kunden da sind.

Natürlich verzeichnen wir, wie auch unsere Wettbewerber, infolge der Pandemie in manchen Sparten höhere Aufwendungen für Versicherungsfälle. Wir gehen aber nach wie vor von einem Jahresergebnis auf Vorjahresniveau aus.

Lassen Sie mich bitte noch eines sagen: Die Pandemie hat unser Leben insgesamt auf den Kopf gestellt, wir müssen viele Erlebnisse verarbeiten, die neu für uns sind. Gerade vor diesem Hintergrund bin ich nach wie vor hochzufrieden, wie wir in der Inter gemeinsam diese Phase meistern. Wir wollen auch in diesen anspruchsvollen Zeiten ein zuverlässiger Partner sein. Und um dies sicherzustellen, ist die Gesundheit unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ein zentraler Baustein, sodass wir uns beispielsweise unlängst entschlossen haben, die Home-Office-Regelung bis zum 31. März 2021 zu verlängern.

VWheute: Noch einmal zu Ihnen, Herr Koryciorz. Welche Ziele haben Sie sich für Ihr erstes volles Vorstandsjahr 2021 gesetzt, persönlich und als Unternehmen?

Sven Koryciorz: Die Inter Versicherungsgruppe verfügt über eine überschaubare Größe, ist aber durchaus diversifiziert aufgestellt. Daraus ergibt sich an manchen Stellen eine gewisse Komplexität. Ich möchte mithelfen, diese noch besser beherrschbar zu machen. Über allem steht natürlich unser Markterfolg. In diesem Sinne war 2021 dann ein gutes Jahr, wenn wir in unseren ertragreichen Geschäftsfeldern gewachsen sind. Dabei wollen wir nicht allein neue Endkunden hinzugewinnen, sondern vor allem auch neue Vertriebspartner von den Stärken der Inter überzeugen und für unser sympathisches, leistungsstarkes Haus begeistern.

Die Fragen stellte VWheute-Redakteur Maximilian Volz.

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