Deutsche Versicherer-IT schlechter als in Skandinavien: Kann Projektarbeit Abhilfe schaffen?

Justyna Mekler, Managing Consultant bei Sollers Consulting. Quelle: Sollers

In der Vergangenheit haben Versicherer mit großen IT-Projekten häufig schlechte Erfahrungen gemacht. Die Herausforderungen der Transformationsprojekte sind durch die Pandemie nicht geringer geworden. Die faktische Lockdown-Situation wird zum Lackmustest für die Branche.

Man muss der deutschen Versicherungsbranche ein Kompliment machen. Die Branche hat als Ganzes bei der Digitalisierung erhebliche Fortschritte gemacht. Noch vor zwei Jahren lag der Net Promoter Score noch knapp über der Null-Grenze. Jetzt hat die Branche einen Schnitt von 18 erreicht. Der Net Promoter Score misst, inwiefern die Kunden den eigenen Versicherer weiterempfehlen und ist damit ein zentraler Gradmesser dafür, wie gut eine Kundenbeziehung wirklich ist. Deutsche Versicherer sind zwar noch weit von den Werten entfernt, die britische oder skandinavische Versicherer aufweisen, doch sie befinden sich auf einem guten Weg.

Grund für die verbesserte Kundenwahrnehmung ist die Digitalisierung. Die Bemühungen der Versicherer im Front-end Bereich machen sich bezahlt. Das sieht man daran, dass vor allem diejenigen Unternehmen, die bislang eher schlecht abgeschnitten haben, deutlich aufholen. Doch mit den Verbesserungen im Frontend ist es nicht getan. Wenn die Unternehmen sich auf dem Erreichten jetzt ausruhen werden sie wieder in die gleiche Falle treten, in die sie vor zwanzig Jahren geraten sind.

In den 2000er-Jahren hat man es im deutschen Markt versäumt, moderne Standardsysteme einzusetzen. Damals wurden die Grundlagen der heute gängigen, modernen Systeme geschaffen, Frühstarter expandierten damals schon international. Doch die Entwicklung ging an Deutschland vorbei. Bis heute stellen die veralteten Eigenentwicklungen im Back-end die größte Schwachstelle im deutschen Versicherungsmarkt dar. Und man sollte sich durch einen verbesserten Net Promoter Score nicht darüber hinwegtäuschen, dass man mit den Eigenentwicklungen so weitermachen könnte.

Kosteneffiziente Strukturen schaffen

Der Hauptgrund für die abwartende Haltung im Markt ist in Kostenbedenken zu suchen und an der Scheu vor dem Projektrisiko. Unter Lockdown-Bedingungen ein Back-end ablösen, ist das möglich?  Zugegeben: Die Bedingungen, unter denen wir gegenwärtig arbeiten und leben müssen, ist eine Zumutung für uns alle. Aber trotzdem ist sehr viel mehr Veränderung möglich, als man im Markt glaubt. Seit dem ersten Lockdown im März haben wir sechs große Projekte gestartet und sieben erfolgreich beendet. Es befinden sich Schweizer Versicherer darunter, britische, polnische, französische und ein bedeutendes Projekt in Deutschland. Dies zeigt, dass auch bei weit gehender Einschränkung der Reisefreiheit grenzüberschreitende Projekte erfolgreich sind. Und die Dynamik hält an.

Was das Kostenthema anbetrifft, sei vor überdimensionierten Projekten im Wasserfall-Stil mit minutiöser Planung bis ins letzte Detail gewarnt. Die Pandemie hat uns gelehrt, wie wichtig Flexibilität und Anpassungsfähigkeit geworden sind. Viele Versicherer tun sich mit dem agilen Projektstil noch schwer, doch die Erkenntnis, dass agile Projekte erfolgreicher sind, spricht sich rum.

Die Schaden-Versicherer haben in den letzten Jahren sehr gut verdient. Aber die Raten in der Kfz-Sparte sind unter Druck und es zeichnet sich ein erneuter Abschwung im wichtigsten Geschäftsfeld der Versicherer ab. Deshalb ist es an der Zeit, die Organisation auf einen härteren Preiswettbewerb vorzubereiten und die Prozesse auf Effizienz zu trimmen. Man hat bislang zu sehr die IT als Dienstleister gesehen, der die Anforderungen der Fachabteilungen in einem System abzubilden hat. Moderne Kernsysteme hingegen packen die Probleme in den Geschäftsprozessen an und bieten Lösungen, die effizienter sind als das, was am Markt Gang und Gäbe ist. Spätestens mittelfristig werden sich deshalb Projektaufwand und Projektkosten amortisieren.

Überambitionierte Ziele vermeiden

Viele Versicherer starten ihre Projekte mit gemischten Gefühlen. Es hat in der Vergangenheit eine Reihe von großen und teuren IT-Projekten gegeben, die aus sehr unterschiedlichen Gründen gescheitert sind. Deswegen sollte man aber nicht davor zurückschrecken. Aus unserer Erfahrung sind auch große Transformationsprojekte beherrschbar, wenn man bei der Projektvorbereitung ein paar wesentliche Dinge beachtet:

  • Klare und realistische Ziele: Immer wieder kommt es vor, dass die Pläne viel zu ambitioniert sind. Das Scheitern wird dadurch bereits vorprogrammiert.
  • Einbindung positiv eingestellter Mitarbeiter: Stärken Sie die veränderungsbereiten Mitarbeiter und beziehen Sie potenzielle Skeptiker mit ein. Unehrlichkeit und mangelndes Vertrauen stellen für Projekte eine Riesengefahr dar.
  • Kundensicht: Ohne konsequente Kunden- oder Nutzerperspektive können Sie keine positiven Ergebnisse erzielen.

Wenn man mit dem Projekt startet, sollte man eine systematische Projektplanung verfolgen. Das bedeutet, dass die Projektplanung erprobten Methoden folgen sollte und auf Erfahrungen basiert. In vielen Projekten wird der Umfang nicht gut gemanagt. In der Praxis haben wir mit dem Sceleton-Ansatz sehr guten Erfolg gehabt: Mit einer Minimallösung starten und in den folgenden Schritten die Lösung immer mehr verfeinern und anpassen.

Was hat sich durch die Pandemie verändert?

Bei der Umstellung auf Home–Office im März hatte eine Reihe von Versicherern nicht genügend Laptops. Die einen konnten das schnell lösen, bei anderen Versicherern dauerte es etwas länger. Bei manchen Häusern waren die Netzwerke überlastet, als ein Großteil der Mitarbeiter ins Homeoffice wechselte. Es hat eine Weile gedauert, bis die Kapazitäten entsprechend angepasst waren. Nicht alle Unternehmen verfügten über Tools für Videokonferenzen wie beispielsweise Skype oder Microsoft Teams.

Aber die größte Herausforderung hat mit den weichen Faktoren zu tun. Durch das Homeoffice sind Gespräche zwischen Tür und Angel nicht mehr möglich. Sie sind aber häufig einer der wichtigsten Kommunikationskanäle in Unternehmen. Die täglichen Team-Stand-ups haben deshalb seit März stark an Bedeutung gewonnen, auch wenn dabei jetzt nicht mehr gestanden wird. 

Versicherer sollten nun ihre Lage genau analysieren und die richtigen Schlüsse daraus ziehen. Projektarbeit ist auch unter den veränderten Bedingungen möglich. Die Wettbewerbslage wird pandemiebedingt immer schwieriger. Darum sollten die Planungen nicht allzu lang hinausgeschoben werden. Wir gehen davon aus, dass die Geschwindigkeit in der IT- Erneuerung an Fahrt gewinnt.

Autorin: Justyna Mekler, Managing Consultant bei Sollers Consulting

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