AON-Expertin Günther im Interview: „Gefahr durch Terroranschläge von Rechtsextremisten wird eher zunehmen“

Quelle: Bild von Wokandapix auf Pixabay

Die Gefahr durch Rechtsradikalismus nimmt zu. Das war die zentrale Botschaft des aktuellen AON Risk Map Report, was für reges Leserinteresse und nervöses Stirnrunzeln in der Redaktion sorgte. Die Expertin für Terror/Sach beim Beratungs- und Dienstleistungsunternehmen AON, Julia Günther, sprach von einer zunehmenden rechten Bedrohung. Zeit, mit ihr über das Thema zu sprechen, das auch die  Versicherungswelt betrifft, aber weit größer ist.

VWheute: Sie sagen im aktuellen Risk Map Report, dass rechter Terror eine „neue Dynamik“ entwickelt hat, woran machen Sie das fest, beschäftigen Sie sich auch mit den Gründen?

Julia Günther: Stichwort Dynamik: Die Terroranschläge von Rechtsextremisten haben sich seit 2016 weltweit verdoppelt. Im Jahr 2019 sind insbesondere die Anschläge in Christchurch (Neuseeland), in El Paso (Mexiko) aber auch die Anschläge in Halle und Hanau noch präsent. Im Jahr 2016 gab es circa 15 Anschläge von Rechtsextremen – 2019 über 40 Anschläge mit mehr als 180 Verletzen (Opfern).

Die Gründe sind vielfältig. Die meisten Gewalttaten von Rechtsextremisten in den letzten Jahren waren körperliche Übergriffe oder Handlungen böswilliger Beschädigung gegen religiöse, rassistische oder ethnische Minderheiten, Einwanderergemeinschaften und LGBTQ+-Gruppen. Ein weiterer sich entwickelnder Trend ist die Verschmelzung von umweltpolitischen Argumenten mit den rechtsextremen Beweggründen. Die Angreifer von Christchurch und El Paso zitieren sowohl die Überbevölkerung als auch die Erschöpfung der natürlichen Ressourcen als Motivation für ihre Angriffe auf Gruppen von Immigranten. Das Anzapfen von Ängsten über den Klimawandel sowie über andere Themen wie Migration deutet auf Versuche der extremen Rechten hin, ein breiteres Publikum anzusprechen, und Gewalttaten zu rechtfertigen.

VWheute: Wie können sich Unternehmen gegen Gewaltandrohungen und Einschüchterungsversuche schützen?

Julia Günther: Solange die Drohungen und Einschüchterungsversuche keine wirtschaftlichen Schäden beim Kunden auslösen, gibt es keine Absicherungsmöglichkeit durch Versicherungen. Wenn die Drohungen zu einer Betriebsunterbrechung führen, weil Standorte sicherheitshalber evakuiert/geschlossen werden, dann kann der wirtschaftliche Schaden durch eine spezielle Deckung „Schäden durch die Androhung von Terrorakten“ abgesichert werden.

VWheute: Wie sollten speziell Versicherer auf die zunehmende Gefahr reagieren, sind sie ein potenzielles Ziel schließlich geben sie sich ja offen und multinational.

Julia Günther: Es gibt keine Anzeichen, dass Versicherer häufiger Ziel von Rechtsextremen sind als andere internationale Unternehmen. Im Fokus stehen eher Technologieunternehmen, die rechtsextremes Gedankengut von den Plattformen im Internet entfernen. Oder aber Unternehmen aus dem Bankensektor. Sie waren in der jüngsten rechtsextremen Nachrichtenübermittlung, aber auch im Zusammenhang mit antisemitischen und konspirativen Erzählungen prominent vertreten. Und auch der Medien- und Kommunikationssektor war ein besonderer Schwerpunkt für explizite Gewaltdrohungen und Einschüchterungsversuche.

Julia Günther, AON- Terror–Expertin

 VWheute: Wird die Gefahr von rechts in den nächsten Jahren ab- oder zunehmen? Welche anderen Bedrohungen sehen Sie?

Julia Günther: Wir gehen eher davon aus, dass die Gefahr durch Terroranschläge von Rechtsextremisten auch in den nächsten Jahren zunehmen wird. Firmen mit einem öffentlichen Profil und diejenigen mit Verbindungen zu Minderheiten – von Orten an denen Gottesdienste stattfinden bis hin zu Veranstaltungsorten und öffentliche Räume, in denen LGBTQ+-Veranstaltungen stattfinden – sind einem größeren Risiko ausgesetzt, ins Visier genommen zu werden.

VWheute: Ist die Welt heute gefährlicher als vor zwanzig oder vierzig Jahren?

Julia Günther: Diese Frage lässt sich nicht wirklich objektiv beantworten. Die Empfindungen sind hier sehr subjektiv. Die Gefahren haben sich geändert und werden sich auch immer wieder ändern. Umso wichtiger ist es, Absicherungen dynamisch zu gestalten und regelmäßig zu überprüfen.

VWheute: Welche Lehren zieht Aon aus dem Risikoreport?

Julia Günther: Die Unternehmen müssen prüfen, wie die Versicherungsprogramme auf einen Angriff reagieren – konkret, was dies für ihr Eigentum bedeutet, aber auch für die Mitarbeiter. Je nach Veranstaltung und Ort sollte über die bestehenden Optionen für die Ausbildung des Personals (unter Verwendung von Open Source, Best-Practice-Tools), Verwaltung des Zugangs, Überwachung, Detektion und Reaktionsmanagement nachgedacht werden. Je öffentlicher der Zugang ist, desto schwieriger wird sich dies darstellen.

Die Fragen stellte Maximilian Volz

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