Digitalisierungsbeschleuniger Corona: Warum Vergleichsplattformen und Ökosysteme gewinnen

Die Versicherungsbranche erlebt durch die Corona-Krise einen klaren Digitalisierungsschub. Gleichwohl ein Großteil der Medienberichte und Diskussionen reaktive Maßnahmen thematisiert, verweilen Versicherer noch in der unmittelbaren Bewältigung der Covid-19-Pandemie. Ein Gastbeitrag.

Die Versicherungsbranche erlebt durch die Corona-Krise einen klaren Digitalisierungsschub. Gleichwohl ein Großteil der Medienberichte und Diskussionen reaktive Maßnahmen thematisiert, verweilen Versicherer noch in der unmittelbaren Bewältigung der Covid-19-Pandemie.

In einer Art „War Room“ beschäftigen sie sich mit geeigneten Maßnahmen im Umgang mit der Pandemie – und dies zum Teil unnötig lange. Zweifelsfrei haben viele Unternehmen bereits hervorragende Arbeit geleistet. Mehr als drei Viertel der Beschäftigten arbeiten seit Wochen problemlos von zu Hause. Aber ist es nicht schon höchste Zeit, den nächsten Schritt zu gehen und sich zu fragen: Wie sieht „The Next New Normal“ aus? Und wie können sich Versicherer darauf vorbereiten?

Aus wissenschaftlicher und praktischer Sicht haben wir uns mit diesen Fragen beschäftigt. Um Erwartungen der Kunden mit denen der Versicherer zu vergleichen, wurden sowohl Führungskräfte aus der Assekuranz als auch zufällig ausgewählte Personen für ein erstes Stimmungsbild befragt.

In dieser Umfrage gaben über 90 Prozent an, dass die Corona-Krise die Digitalisierung nicht nur beschleunigt, sondern sogar die Unternehmenskultur nachhaltig verändern wird. Bei rund 50 Prozent wurden Digitalisierungsprojekte wegen der Corona-Krise vorgezogen. Neue Initiativen wurden allerdings nur bei rund einem Viertel der Befragten angestoßen. Der Großteil der Projekte war bereits zuvor geplant. Versicherer haben folglich gute Vorarbeit bei der Digitalisierung geleistet, mit der Umsetzung aber gewartet.

Nur warum? Liegt es an den langen Entscheidungswegen? Im klassischen War Room gilt als oberste Prämisse, die Krise schnell in den Griff zu bekommen. Abstimmungen erfolgen absolut zielorientiert und Entscheidungen werden pragmatischer getroffen als üblich, denn sie können nicht auf einen späteren Zeitpunkt verschoben werden. Dieser Pragmatismus und die Konzentration auf die Umsetzung sollten als Lehre in ein Next New Normal überführt werden.

Der Entwicklung geeigneter, fortlaufender Vertriebsaktivitäten kommt im War Room eine besondere Rolle zuteil. Versicherer beschäftigen sich vor allem mit digitalen Tools, wie elektronische Unterschriften oder Videoberatung. Der Fokus auf Maßnahmen für den klassischen Vertrieb erscheint wenig verwunderlich. Schließlich wirkt sich gemäß Umfrage dort ein Shutdown im ersten Moment mit Abstand am stärksten aus. Umso wichtiger ist aber auch der Blick in die Zukunft mit der Frage, wie ein Vertrieb künftig aufgestellt sein muss? Die Erwartungen der Kunden an ihn unterscheiden sich von denen der Versicherer.

62 Prozent der Kunden würden ihre Versicherungen in Zukunft online abschließen. Von der Bestellung im Lieblingsrestaurant bis hin zur Klärung von Kreditangelegenheiten – Kunden haben im Lockdown offenbar schnell schätzen gelernt, ihre Anliegen ohne physischen Kontakt zu erledigen. Die Corona-Krise beschleunigt den Rückgang der Anzahl reiner Offline-Kunden.

Demgegenüber setzen 54 Prozent der Versicherer weiterhin auf den Abschluss über Vermittler. Kunden wünschen sich zwar weiterhin den persönlichen Kontakt, dieser muss aber nicht physisch erfolgen. Im Next New Normal werden auch klassische Versicherungsunternehmen oder Vertriebsagenturen einen Online-Abschluss anbieten müssen. Das steigende Durchschnittsalter der Vertriebsmitarbeiter sowie eine fehlende digitale Methodenschulung in der klassischen Vermittlerausbildung stellen jedoch Hürden dar.

Der Weg zu Versicherungen führt vermehrt über Plattformen. Über zwei Drittel der Kunden geben an, Vergleichsportale zur Auswahl ihrer Versicherungen nutzen zu wollen. Das bestätigt auch Dr. Oliver Bohr, CEO Insurance bei Check24: „Auf unserer Vergleichsplattform verzeichnen wir seit Ostern deutlich mehr Versicherungskunden, die entweder neue Versicherungsverträge abschließen oder ihre bereits bestehenden Versicherungsverträge in unserem digitalen Versicherungscenter optimieren.“

Ein ähnliches Bild wird aus Italien vermeldet: Verglichen mit der Zeit vor der Corona-Krise, stieg die Verweildauer auf Vergleichsplattformen um 20 Prozent. Online-Abschlüsse nahmen um zehn Prozent zu. Kunden von Vergleichsplattformen und Aggregatoren schätzen diese aufgrund der erhöhten Transparenz in der Vielzahl an angebotenen Versicherungen. Mehr als 70 Prozent der befragten Versicherer geben an, sich in der Zuliefererrolle für Plattformen zu sehen.

Versicherer müssen aber noch einen Schritt weitergehen. Neben den bereits etablierten Vergleichsplattformen gewinnen Ökosysteme klar an Bedeutung. Über 80 Prozent der Versicherer sind der Ansicht, dass die Corona-Krise digitale Ökosysteme begünstigt.

„Kunden suchen nach ganzheitlichen Lösungen, die ein Ökosystem schnell zur Verfügung stellen kann. Insurance- oder Banking-Funktionalitäten in bereits bestehenden Applikationen einzubinden und Produkte im Kontext etwa der Lebenssituation oder des regionalen Kontexts zu stellen, ist nicht nur Zukunft, sondern schon Realität im vielfältigen Angebot eines Ökosystems“, sagt Ramin Niroumand, Gründer und CEO von Finleap, Europas führendem Fintech-Ökosystem.

In einer weiteren Umfrage gaben sogar über 40 Prozent der Kunden an, dass Versicherungsunternehmen sie aktuell „in Ruhe lassen“ sollen. Diese eindeutige Aussage zeigt, dass die Assekuranz nicht erst morgen, sondern bereits jetzt andere Möglichkeiten finden muss, Kunden anzusprechen – ein klares Indiz für die zentrale Rolle von Ökosystemen im Next New Normal. Mehr als 60 Prozent der Versicherer gaben an, dass ihr Unternehmen bereits auf Ökosysteme zielt, unter anderem zu den Themen Mobilität, Wohnen, öffentliche Hand und Gesundheit.

Aus den Umfrageergebnissen und den bisherigen Entwicklungen folgert Frank Walthes, Vorstandsvorsitzender der Versicherungskammer: „In der Krisenbewältigung gilt es als Management beherzt und optimistisch zu agieren. Viele Digitalisierungsprojekte lagen bereits parat und konnten so in kürzester Zeit umgesetzt werden. Wir sehen, dass die Covid-19-Pandemie die Entwicklung vom reinen Off- zum hybriden Online-Kunden beschleunigt. Wir agieren auch in Zukunft mehrhändig und setzen nicht nur auf digitale Kanäle, sondern stärken auch unseren personell-digitalen Vertrieb.“

Nur wie kann so eine Mehrhändigkeit gerade während einer Krisensituation umgesetzt werden? Grundsätzlich eignen sich hierfür zwei Alternativen: strukturelle versus kontextuelle Mehrhändigkeit (Ambidextrie). Bei ersterer findet eine strikte personelle Trennung statt. Personen die im War Room agieren, sind nicht zeitgleich an der Ausgestaltung des Next New Normal beteiligt.

Wohingegen bei der kontextuellen Ambidextrie beide Herausforderungen aus einer Hand gelöst werden. Welche der Alternativen mehr Vorteile mit sich bringt, hängt von der zugrundeliegenden Problemstellung ab. Strukturelle Ambidextrie findet eher auf organisationaler Ebene statt (Welche Einheit ist wofür zuständig?). Kontextuelle Ambidextrie konzentriert sich auf Führung und Kultur (Worauf muss in welcher Situation das Gewicht gelegt werden?).

Unabhängig von der gewählten Umsetzungsmethode, führt die Blitzumfrage die Notwendigkeit der organisationalen Mehrhändigkeit einmal mehr vor Augen. Unternehmen, die bereits vor der Corona-Krise diese Strategie verfolgten, werden in ihrem Vorgehen bestätigt.

Autoren: Prof Dr. Alexander Braun, Vizedirektor des Instituts für Versicherungswirtschaft der Universität St. Gallen, Martin Fleischer, Vorstandsmitglied des digitalen Versicherers BavariaDirekt und Aneta Ufert, früher stellvertretende Pressesprecherin des bayerischen Wirtschaftsministeriums und aktuell Koordinatorin für New Business Models im Konzern Versicherungskammer

Ein Kommentar

  • Ein interessanter Artikel. Ich freue mich für die Umwelt, nicht aber die Verbraucher. Warum? Vergleichsplattformen haben in erster Linie das Interesse zu verkaufen. Da sie nicht ausführlich informieren, so wie ich es für unerlässlich halte, kauft der Kunde meist preisorientiert. Beispiel: die Infektionsklausel, die bei ganz wenigen Anbietern bereits bei einem behördlichen Tätigkeitsverbot leistet kostet nicht mehr als wenn es keine solche Klausel einem Vertrag gibt. Wo aber ist die unterschiedliche Formulierung abgebildet unter Hinweis an den Kunden eingearbeitet? Ein spezialisierter Makler wird, sofern er die Bestimmungen noch selbst liest, darauf hinweisen. Man kauft einen Vertrag für eine existenzielle Absicherung und keinen guten Glauben.

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