Marschrouten und Ausweichmanöver: Wie transparent sind die Standmitteilungen der deutschen Lebensversicherer?

Quelle: Bild von Gerd Altmann auf Pixabay

Die Reform des §155 VVG ist ein Riesenfortschritt für Verbraucher in der Lebensversicherung. Das zeigt die erste große Transparenzstudie zu den Standmitteilungen von Policen Direkt. Weiteres Ergebnis: Die neuen gesetzlichen Anforderungen sind dringend und wichtig, reichen aber noch nicht aus, um die Qualität und die Entwicklung der privaten Altersvorsorge beurteilen zu können.

Dass es dafür zusätzliche Angaben braucht, zeigt der genaue Blick auf den Rückkaufswert. Bis zum Inkrafttreten des neuen Gesetzes war es weitgehend den Versicherern überlassen, was sie ihren Versicherten mitteilen. Die Informationspflichten beschränkten sich auf den Stand der aktuellen garantierten Höhe der Überschussbeteiligung. Verpflichtend sind jetzt für alle die aktuelle Todesfall-Leistung, garantierte Ablaufleistung, garantierte Ablaufleistung bei Beitragsfreistellung und der Auszahlungsbetrag bei Rückkauf des Vertrages, für Neuabschlüsse dazu noch die eingezahlten Beiträge.

Dass aber damit noch nicht das Ende des Weges erreicht ist, zeigt die exemplarische Analyse der verschiedenen Darstellungen des Rückkaufswertes. Einerseits stellt dessen jetzt obligatorische Angabe eindeutig den größten Fortschritt dar. Andererseits liegt hier immer noch zu viel im Ermessen der Gesellschaften. Warum aber ist der Rückkaufswert so wichtig? Er zeigt dem Versicherten auf einen Blick, was seine private Altersversorgung aktuell wert ist und wieviel er bei Kündigung für seinen Vertrag ausbezahlt bekommt.

Im Vergleich mit den Werten aus den Vorjahren kann er fundierte Aussagen über den Vertrag fällen. Freiwillig hatten viele Gesellschaften den Rückkaufswert in der Standmitteilung, wenn überhaupt, oft nur für die Kapitallebensversicherung angegeben. Allein das zeigt, wie dringlich die Reform war. Denn schon lange werden hauptsächlich Rentenversicherungen verkauft, zu denen der Wert dann nur auf Nachfrage zu bekommen war.

Vier Gesellschaften geben Rückkaufswert nicht an

Die aktuelle Auswertung im Zuge der im Frühjahr erstmals veröffentlichten und laufend aktualisierten Transparenzanalyse zu klassischen Lebensversicherungen zeigt: 71 Lebensversicherer geben jetzt den aktuellen Rückkaufswert an. Bei vier Gesellschaften, die die Gesetzesänderung nicht umgesetzt haben, fehlt diese Pflichtangabe komplett. Zwei weitere melden nur bei Kapitallebensversicherungen und eine informiert ihre Kunden nicht über gebildete Anwartschaften, die den Rückkaufswert beeinflussen.

Der aktuelle Umsetzungsstand stellt indes schon einen Riesenfortschritt dar. Denn allein die hundertprozentige Einhaltung des neuen Paragrafen führt zu guten Informationen. Um tatsächlich die Qualität und die Entwicklung der Altersvorsorge beurteilen zu können, braucht es zusätzliche Informationen für alle Kunden. Ob sie diese angeben oder wie sie die Standmitteilungen gestalten, ist indes allein die Entscheidung der Gesellschaften.

Hierüber macht auch der neue §155 keine Angaben. Unternehmen, die die aktuelle Reform umsetzen, haben sehr viel für die Vollständigkeit des Wertes getan. Allerdings geben einige Versicherer den Rückkaufswert nur in Summe an, sodass die Entwicklung von Einzelwerten nicht nachvollzogen werden kann. Unter Umständen kann der Rückkaufswert in Summe von einem Jahr auf das nächste sinken, ohne dass der Versicherte den Grund erfährt. Das kann entweder an der Entwicklung der Beteiligung an den Bewertungsreserven liegen oder an einer Begrenzung aufgrund einer Anwartschaft.

Für den Rückkaufswert unumgänglich ist dessen Vollständigkeit und Nachvollziehbarkeit. Damit die Entwicklung des Vertrages ersichtlich wird, muss er differenziert und explizit in seiner Zusammensetzung aufgeführt sein. Die Aufzählung einzelner Bestandteile ist wichtig, denn nur so ist nachzuvollziehen, weshalb sich ein Wert so stark oder schwach verändert hat. Im Folgenden geht es also um die genaue Aufschlüsselung und um deutliche Hinweise auf Besonderheiten im Vertrag.

Einzelne Versicherer sehen neues Gesetz mehr als Empfehlung denn als Verpflichtung

Lediglich 18 Gesellschaften, die auch die Bedingungen des §155 VVG erfüllen, teilen ihren Versicherten sämtliche vorgeschriebenen und notwendigen Informationen zum Rückkaufswert mit– mit den Bewertungsreserven und Informationen zur möglichen Anwartschaft bei Rentenversicherungen. Davon informieren 4 Versicherer zusätzlich zu den laufenden Kosten und ebenfalls vier zum Rückkaufswert von Zusatzversicherungen.

Der Blick auf sämtliche Pflichtangaben zeigt: 66 von 82 untersuchten Lebensversicherern erfüllen die seit 1. Juli 2018 geltenden gesetzlichen Mindestanforderungen zum §155 VVG vollständig (Stand 09.09.2019). 34 Lebensversicherer erfüllen dazu sämtliche Anforderungen zu den Bewertungsreserven. Es gibt hier weiterhin Versicherer, die sich der Auffassung der Bafin widersetzen. Leider ist das Thema juristisch nicht eindeutig geklärt und der Gesetzgeber hat es verpasst, hier für Klarheit zu sorgen. Versicherer, die ansonsten umfangreich informieren, erhalten deswegen in der Bewertung Abzüge.

Im Punktesystem der Studie gibt es für eine Standmitteilung 85 Punkte, die alle gesetzlichen und notwendigen Informationen enthält. Mit der Alten Leipziger, Axa, Deutsche Ärzte, Hannoversche Leben, Helvetia, LV 1871, Provinzial Nordwest, Signal Iduna und Universa Leben erfüllen lediglich 9 Gesellschaften die gesetzlichen und darüber hinaus die notwendigen Anforderungen. Dass weitere Gesellschaften die Punktzahl erreichen, liegt daran, dass wir auch Punkte für Bonus-Angaben vergeben.

Das betrifft beispielsweise die im Vertrag enthaltenen laufenden Kosten, die nun immer mehr Versicherer in unterschiedlicher Ausprägung mitteilen. Auch Angaben zur aktuellen Höhe der Überschussbeteiligung werden gelegentlich veröffentlicht. Bei einzelnen Unternehmen kann man auch Angaben zu Ablaufleistungen zu verschiedenen Abrufterminen oder zu künftigen Teilauszahlungen finden. Nur bei 7 Versicherern findet man nicht nur die garantierte Ablaufleistung bei Beitragsfreistellung, sondern auch die prognostizierte. Und auch nur 2 Unternehmen teilen die Summe der bisher eingezahlten Prämien bei Policen mit, die vor dem 01.07.2018 abgeschlossen wurden. Insgesamt kommen so 34 Gesellschaften auf mindestens 85 Punkte.

Ein weiterer Untersuchungsbereich der Transparenzstudie geht nicht in die Punktewertung ein, weil im Gegensatz zu den anderen Bereichen Kriterien zur Verständlichkeit aufgrund subjektiver Ermessensspielräume nicht eindeutig abgrenzbar sind. Hier werden Umfang, Textqualität, Verständlichkeit und ein mögliches Glossar bewertet. Insgesamt bleibt als Fazit der Untersuchung, dass einzelne Versicherer, deren überarbeitete Standmitteilung noch nicht eingegangen sind, den Eindruck erwecken, dass sie die Einhaltung des neuen Gesetzes mehr als Empfehlung denn als Verpflichtung betrachten.

Welche Konsequenzen bei Nichtbeachtung des §155 VVG drohen, scheint aktuell zudem noch nicht klar. Bei aller Kritik bleibt festzuhalten, dass der aktuelle Umsetzungsstand einen großen Fortschritt darstellt. Eine einheitliche vorgeschriebene Darstellung für bestimmte wichtige Vertragsinformationen wie den Rückkaufswert könnte sicher noch weiterhelfen, genau wie konsequente Kontrollen durch die Bafin.

Autor: Henning Kühl, Chefaktuar Policen-Direkt-Gruppe

Den vollständigen Beitrag lesen Sie in der Oktober-Ausgabe der Versicherungswirtschaft.

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