„Man muss sich auf Use-Cases fokussieren und nicht einfach die KI auf die Daten loslassen“
Was Kunden wollen, lässt sich mithilfe von Künstlicher Intelligenz herausfinden. Marco Dürscheid, Leiter der Abteilung Akquisesysteme bei der DEVK und Christoph Schießl, Management Consultant bei DYNACON, sprechen im Interview über den sinnvollen Einsatz von datengetriebenen Modellen.
VWheute: Versicherer denken vermehrt über den Einsatz von KI nach. DYNACON kann als Berater zur Seite stehen. Mit welchen Problemen kommen Versicherer auf Sie zu?
Christoph Schießl: Im Kontext datengetriebenes Kundenmanagement geht es häufig darum, die klassische Marketing-Kundenansprache personalisierter und effizienter zu gestalten. Bei Versicherern stehen viele Daten zur Verfügung und mit neuen Technologien wie KI lässt sich die Kundenansprache in der Tat individueller, persönlicher, bedarfsgerechter
und relevanter gestalten.
Marco Dürscheid: Wir wollen bei der DEVK herausfinden, wie wir aus Daten die Kundenbedürfnisse in gewissen Situationen besser ableiten können.
VWheute: Und wie gehen Versicherer dabei vor?
Christoph Schießl: Häufig hören wir Blankoaussagen wie: Wir haben hier eine ganze Menge Daten und den Rest macht dann KI. Aber man muss schon genau evaluieren, an welchen Stellen machen KI-Modelle Sinn, welche Daten liegen vor oder welche muss ich wie erfassen, damit ich einen spezifischen Use Case unterstützen kann. Dazu betrachtet man einen gewissen Prozess, eine Interaktion oder Customer Journey, die optimiert werden soll, entwickelt Hypothesen, analysiert die vorhandene Datenbasis. Dann geht es in die Modellentwicklung und später in die Umsetzung. Wichtig ist, von den Prozessen und Journeys aus zu denken, die es mithilfe von KI zu verbessern gilt und nicht an die Sache so heranzugehen, dass man dem IT-Consultant die Daten einfach überlässt und hofft, dass er daraus etwas machen kann.
Marco Dürscheid: Das möchte ich gerne unterstreichen. Wichtig ist die Fokussierung auf einen konkreten Use Case und diesen konsequent durch die individuelle Kundenbrille zu betrachten. Wir entwickeln beispielsweise ein KI-Modell, das im Schadenfall aus vorhandenen Daten Kundenbedürfnisse ableitet, die wir dann für individuell relevante Schadennachkontakte verwenden wollen.
VWheute: Wie arbeitet DYNACON mit der DEVK zusammen?
Marco Dürscheid: Startpunkt für die Initiative war eine Kundenzufriedensheitsbefragung, in der uns unsere Kunden gespiegelt haben, dass sie sehr zufrieden mit der Schadenabwicklung durch die DEVK waren. Wir wurden regelmäßig als schnell, gut erreichbar und verlässlich wahrgenommen. Auch mit der Regulierung waren unsere Kunden in der Regel einverstanden. Wo sie sich aber nicht abgeholt fühlten, war der Service nach einem abgewickelten Schaden. Unsere Kunden erhielten das Abrechnungsschreiben und der Schaden-Prozess war zu Ende. Aber auch im Nachgang zum abgewickelten Schadenfall wünschen sich unsere Kunden individuelle Serviceangebote.
Und genau diesen Prozess gehen wir gemeinsam mit DYNACON an: Mittels KI herauszufinden, welcher Kunde welche Empfehlung, welchen Service, welches Produkt oder einfach nur einen netten Anruf braucht. Natürlich wollen wir bei jedem Schadennachkontakt das individuelle Kundenbedürfnis bestmöglich treffen und damit die Kundenzufriedenheit nachhaltig steigern.
VWheute: Braucht man wirklich die Hilfe von KI, um sich nach einem Schadenfall bei einem Kunden zu melden?
Marco Dürscheid: Natürlich könnten wir regelbasiert jeden Kunden nachkontaktieren. Das wären aber jedes Jahr mehrere Hunderttausend Schadennachkontakte, die unser Service allein aus zeitlichen Gründen nicht bewerkstelligen kann. Das heißt, wir müssen sehen, dass der Schadennachkontakt-Prozess wirklich effizient ist. Einerseits effizient für den Kunden – wir rufen ihn nur an, wenn er tatsächlich ein Bedürfnis hat. Andererseits aber auch effizient für unsere Vertriebs- und Serviceeinheiten, die ihre begrenzte Arbeitszeit möglichst wertschöpfend einsetzen wollen. Dabei helfen uns KI-Modelle, die mit jedem Kontakt lernen, welche Kundengruppen besondere Bedürfnisse haben und welche Schadenfälle besonders geeignet sind, um Produkte oder Services anzubieten.
VWheute: Wie lange hat die Vorarbeit gedauert und wann können Sie messbare Ergebnisse liefern?
Marco Dürscheid: Man muss fairerweise berücksichtigen, dass wir die technische Infrastruktur in Form unserer CRM-Plattform bereits hatten. Die Ausdefinition des Use Cases, das Bauen und Implementieren des Modells bis hin zur Produktreife hat etwa ein halbes Jahr gedauert. Seit August dieses Jahres sind wir mit dem Schadennachkontakt-Prozess in Produktion und erwarten aufgrund der Vielzahl der möglichen Schadennachkontakte kurzfristig messbare Erfolge. Mit jedem Schadennachkontakt messen wir die Reaktion des Kunden auf die individuelle Ansprache und geben diese Rückmeldung in das KI-Modell zurück.
So sorgt jeder einzelne Schadennachkontakt für einen Lerneffekt des Modells und erhöht die Treffsicherheit der Ansprache für alle künftigen Kontakte. Ganz konkret erwarten wir beispielsweise eine steigende Effizienz in Bezug auf konkrete, individuelle Produktangebote. Die Abschlussquote sollte deutlich höher sein als bei einer nicht individuellen Angebotsaktion nach dem „Gießkannenprinzip“.
VWheute: Gab es Datenschutz-Probleme bei der Implementierung?
Marco Dürscheid: Grundsätzlich müssen wir uns natürlich bei jedem Use Case an die engen datenschutzrechtlichen Grenzen eines Versicherungsunternehmens halten. Klar ist demnach, dass nicht alle theoretisch verfügbaren Daten auch ohne Weiteres für jeden Zweck verwendet werden dürfen. Natürlich wünscht man sich ab und an, dass man weitere Daten zur noch gezielteren Kundenansprache verwenden dürfte.
So z.B. Bewegungsdaten von Kunden auf Landing-Pages, die uns potenziell auch Hinweise zum aktuellen Kunden-Kontext geben würden. Dafür braucht man nach unserer Auffassung aber mindestens eine ausdrückliche Einwilligung des jeweiligen Kunden. Wir verfolgen dieses Ziel perspektivisch durchaus, aber nehmen eine Modell-Integration von Daten jeweils nur mit einer rechtlich sauberen und transparenten Grundlage vor.
VWheute: Man wirft Versicherern vor, noch zu sehr in Silos und in Sparten zu denken. Verpasst man Potenziale dabei?
Christoph Schießl: Es sind nicht nur die Sparten, es kommt darauf an, wie der Versicherer und insbesondere die Vertriebsorganisation aufgebaut sind. Wie ist die Beziehung zueinander? Gibt es Makler? Wer hat die Bestandsverantwortung? Hierbei gibt es sicherlich Potenziale, wo man mit KI mögliche Brüche in der Beziehung besser miteinander verbinden kann. Es gibt ferner auch Fälle, bei denen gewisse Daten im System noch gar nicht erfasst sind und im Vertrieb auf einem Sticker am Bildschirm hängen oder in Akten vergraben sind. Wenn diese Daten in den Systemen wären, dann könnten wir mit KI noch mehr bewegen und die zahlreichen Sachbearbeiter im Vertrieb besser unterstützen.
Die Fragen stellte VWheute-Redakteur David Gorr.