Getsafe-CEO Wiens: „Die Versicherungsbranche hat nie das Bedürfnis gehabt, sich zu verändern oder traditionelle Methoden infrage zu stellen“

Christian Wiens, CEO Getsafe, Quelle: Getsafe.

Christian Wiens ist ein Mann klarer Worte: „Krisen wie Corona zeigen überhaupt erst, wer ein starkes Geschäftsmodell hat und wie groß der digitale Vorsprung gegenüber den traditionellen Versicherern wirklich ist“, konstatiert der CEO und Mitgründer von Getsafe im Sommerinterview mit VWheute.

VWheute: Die Pandemie hält uns nun seit mehr als einem Jahr in Atem. Wie hat sich Getsafe in dieser Zeit geschlagen? Und wie sieht die Bilanz für 2020 aus?

Christian Wiens: Wir sind sehr gut durch die Krise gekommen und haben tatsächlich keinen Unterschied gemerkt. Das klingt vielleicht seltsam, aber wir sind ein Start-up – wir haben immer ambitionierte Projekte, die wir in sehr kurzer Zeit umsetzen wollen. Um uns ausgiebig mit uns selbst und Corona zu befassen, hatten wir schlicht keine Zeit. Der Vertrieb, das Recruiting, die Produktentwicklung, alles lief weiter wie gewohnt, die Umstellung auf die Arbeit aus dem Homeoffice ist uns reibungslos gelungen. Trotzdem vermissen alle Kollegen die ‘echten’ Begegnungen und Kontakte im Büro. Aus der Unternehmensperspektive sehen wir die Krise eher gelassen. Der Corona-Bann hat Getsafe also nicht erreicht.

VWheute: Marktbeobachter werten in Corona einen digitalen Brandbeschleuniger: Wie bewerten Sie diese Aussage und welche Auswirkungen wird dies für die Insurtechs haben?

Christian Wiens: Wer verpasst hat, dass Corona in der Industrie als digitaler Brandbeschleuniger fungiert hat, wird in der Zukunft wahrscheinlich Probleme bekommen. Insurtechs, vor allem Neo-Versicherer, sind beispielsweise dank mobile-first-Ansatz, technischer Infrastruktur und bzw. oder Direktvertrieb krisensicher. Gerade jetzt haben sie eines der vielversprechendsten Geschäftsmodelle überhaupt, in einer der größten Industrien der Welt. Krisen wie Corona zeigen überhaupt erst, wer ein starkes Geschäftsmodell hat und wie groß der digitale Vorsprung gegenüber den traditionellen Versicherern wirklich ist. Damit stehen die Insurtechs erstmal ganz gut da.

VWheute: Sie haben der Branche kürzlich vorgeworfen, sie habe nie das Bedürfnis gehabt, sich zu verändern, weil es dort nie eine Krise gab. Man habe immer weitergemacht, ohne sich wirklich zu hinterfragen. Was werfen Sie der Branche konkret vor?

Christian Wiens: Die Versicherungsbranche hat nie das Bedürfnis gehabt, sich zu verändern oder traditionelle Methoden infrage zu stellen, weil sie nie in Bedrängnis kam. Während die Banken in der Finanzkrise gezwungen waren, sich neu aufzustellen, war das bei den Versicherungskonzernen nicht der Fall. Versicherung ist ein langfristiges Geschäft; das System ist träge. Der durchschnittliche Versicherungskunde der traditionellen Versicherer ist zwischen 40 und 50 Jahre alt und zahlt seine Prämien noch 30 oder 40 Jahre weiter.

Aber heißt das, dass die Versicherungsbranche nie verbesserungswürdig war? Natürlich nicht. Nicht alle, aber viele, haben zu lange geschlafen. Corona hat der Industrie nun den Spiegel vorgehalten und viele wundern sich über den vermeintlich plötzlichen Wandel. Aber der Wunsch nach Veränderung war bei Kundinnen und Kunden schon vorher vorhanden – die Insurtechs beweisen das.

Manche traditionelle Versicherer haben sich nicht damit auseinandergesetzt. Andere haben die Zeichen der Zeit erkannt, aber es fehlt ihnen an Geschwindigkeit. Es ist anspruchsvoll, einen großen Tanker umzusteuern, da haben es die kleinen, agilen Insurtechs schon einfacher. Unter anderem deshalb, weil diese keine IT-Altlasten und veraltete Denkstrukturen mit sich herumschleppen müssen.

VWheute: Vor wenigen Tagen hatte Getsafe angekündigt, ins Ausland expandieren zu wollen. Was sind die Gründe für diesen Schritt und welche weiteren Expansionspläne haben Sie in der Schublade?

Christian Wiens: Bei den jungen bzw. digital-affinen Leuten herrscht ein immenses, europaweites Marktpotenzial von über 300 Mrd. Euro. Die Expansion nach UK war der erste Schritt. Mit unserer Plattform haben wir die Möglichkeit, schnell und zu niedrigen Kosten zu expandieren. 2022 sollen weitere europäische Märkte folgen.

VWheute: Wie sehen Ihre weiteren Pläne in diesem Jahr sowie mittelfristig in den kommenden drei bis fünf Jahren aus?

Christian Wiens: Wir rechnen fest mit dem Erhalt der Bafin-Lizenz in absehbarer Zukunft. Darüber hinaus wollen wir uns auf mehr Produkte und mehr Märkte konzentrieren und unsere Position als Europas größter Neo-Versicherer festigen. Wir haben uns zwar als Versicherung für eine digital affine Zielgruppe etabliert, doch wir stehen mit 200.000 Kunden trotzdem erst am Anfang unserer Reise.

Mittlerweile werden viele Versicherungen übers Internet abgeschlossen – der Rest erfolgt jedoch weiterhin meist über Telefon, Post oder E-Mail. Wir haben noch viel vor und wollen mobiles Versichern in ganz Europa zum Standard machen. Dazu gehört auch, technologische Möglichkeiten für unter anderem Echtzeit-Lösungen weiterzuerforschen.

Die Fragen stellte VWheute-Redakteur Tobias Daniel.

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