Axa XL-Experte Matthey: „Eine übermäßige Abhängigkeit von Lieferanten aus einer einzigen geografischen Region kann zum Problem werden“

Pascal Matthey. Quelle: Axa XL

Die Corona-Pandemie hat die Lieferketten vielerorts unterbrochen. „Eine übermäßige Abhängigkeit von Lieferanten aus einer einzigen geografischen Region kann somit zum Problem werden. Die Pandemie hat diesbezüglich tatsächlich bereits einige Unternehmen veranlasst, Lieferanten mit geografisch näher gelegenen Produktionsstätten in Betracht zu ziehen“, konstatiert Pascal Matthey, Leiter Risk Consulting Transport bei Axa XL.

VWheute: Die Pandemie gibt der gesamten Industrie Anstoß, die ein oder andere Strategie bei ihren Lieferketten zu überprüfen. Ist Lagerhaltung und Ausweichen auf ortsnahe Zulieferer wirklich die Lösung? Das Just-In-Time-Prinzip wurde nicht grundlos erfunden.

Pascal Matthey: Aus Gründen der Kosteneffizienz haben viele Unternehmen in der Vergangenheit überwiegend auf internationale Zulieferer gesetzt, die gegenüber lokalen Produzenten teils einen erheblichen preislichen Vorteil boten. Nicht zuletzt die verschiedenen Lockdowns und erheblich gesteigerte Sicherheitsmaßnahmen mit den resultierenden zeitlichen Verzögerungen haben jedoch erheblichen Einfluss auf viele Lieferketten genommen.

Jedes Element der Lieferkette kann von den Beschränkungen im Personen- und Warenverkehr betroffen sein, die eine weitere Ausbreitung von COVID-19 verhindern sollen. Viele Produktionsstätten sind temporär geschlossen oder haben ihre Produktion drastisch heruntergefahren. Lieferungen können sich trotz vertragsgemäßer Produktion verzögern oder sogar ausfallen, wenn Lagerhäuser oder Logistikzentren betroffen sind.

Eine übermäßige Abhängigkeit von Lieferanten aus einer einzigen geografischen Region kann somit zum Problem werden. Die Pandemie hat diesbezüglich tatsächlich bereits einige Unternehmen veranlasst, Lieferanten mit geografisch näher gelegenen Produktionsstätten in Betracht zu ziehen.

Die Lieferketten wurden im Laufe der Zeit auch immer komplexer und länger. Aufgrund des Just-in-Time-Prinzips wollte man weniger Zeit für längere Strecken gewähren. Dieses heikle Unterfangen ist sehr störungsanfällig und die durch COVID-19 ausgelösten Probleme haben dies klar verdeutlicht.

Letztlich ist es eine risikostrategische Entscheidung, ob höhere Produktionskosten z.B. durch Nutzung lokaler oder regionaler Zulieferer gegenüber fernöstlichen Lieferanten in Kauf genommen werden, um die Komplexität und Anfälligkeit der eigenen Lieferkette zu minimieren. Dazu kommt, dass die Transportkosten aktuell massiv gestiegen sind und diese sich voraussichtlich auch länger auf einem höheren Niveau als bis jetzt halten werden.  Die Umsetzung einer solchen Strategie ist gewiss nicht von heute auf morgen zu bewerkstelligen; die Pandemie agiert jedoch als Weckruf, diese Überlegungen jetzt anzustellen.

VWheute: Hilft Axa XL den Kunden beim Risikomanagement, schließlich profitieren Sie von einer Schadenprävention oder -verminderung? Wie sieht das konkret aus?

Pascal Matthey: Da, wie bereits angesprochen, Lieferketten in den letzten Jahren immer länger und komplexer geworden sind, ist Transparenz einer der wichtigsten Faktoren im Risikomanagement. Viele Unternehmen müssen nicht nur Primär-, sondern auch Sekundär- und Tertiärlieferanten steuern, was ihre Lieferketten anfällig für Störungen machen kann. Um potenzielle Risiken durch Engpässe und Schwachstellen in ihrer Lieferkette zu ermitteln und Wege zu finden, diese zu minimieren, arbeiten wir eng mit unseren Kunden zusammen. Wir bieten dabei eine ganze Reihe von Analysen und Empfehlungen an, die dem Kunden helfen, seine Transportrisiken besser zu verstehen und einzuschätzen.

Als Beispiel im Zusammenhang mit COVID-19 möchte ich die Bewertung von Lagerrisiken hervorheben. Rund um den Globus bewirken angeordnete Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie, dass Umschlagplätze nicht oder nur eingeschränkt für die Verladung zur Verfügung stehen. Dies hat einerseits den Effekt, dass wichtige Glieder der geplanten Lieferkette nicht zur Verfügung stehen und die Waren über andere Routen an ihren Bestimmungsort gebracht werden müssen. Dies ist zumeist mit zeitlichen Verzögerungen und aufgrund der Verknappung der Möglichkeiten mit höheren Kosten verbunden. Andererseits können sie dazu führen, dass sich eine ungeplante Akkumulation der Waren des Unternehmens an einem Umschlagplatz ergibt, die abseits von Verzögerungen weitere Risiken mit sich bringt.

Wenn sich hohe Werte eines Unternehmens kurzfristig an einem Ort anhäufen, dessen Sicherheitsvorkehrungen nicht für einen ausreichenden Schutz vorbereitet sind, kann es beispielsweise zu groß angelegten Diebstählen durch das organisierte Verbrechen kommen. Zudem steigt auch das Naturkatastrophenrisiko, wenn sich die Waren nicht wie bei einer ungestörten Lieferkette gemäß der Risikomanagement-Planung auf verschiedene geografische Standorte verteilen.       

Hier können wir unseren Kunden helfen, die Lagerrisiken entlang der gesamten Lieferkette zu bewerten und nicht nur die Ware in besser geschützten Lägern unterzubringen, sondern liefern auch gleich Informationen zur Reduzierung von Kumulrisiken.

All dies hilft uns, gemeinsam mit unseren Kunden Szenarien für Störungen ihrer Lieferketten zu entwerfen und Vorkehrungen zu treffen, die finanzielle Auswirkungen möglicher Schäden minimieren und ihre Widerstandsfähigkeit verbessern können.

VWheute: Welche Rolle spielt moderne Technik bei der Lösung des Lieferkettenproblems?

Pascal Matthey: Wie im Zusammenhang mit vielen anderen industriellen Risiken, kann der Einsatz moderner Technologie auch hier an vielen Stellen der Ereigniskette sehr zu einer verbesserten Kontrolle und Steuerung beitragen.

Wir sprachen bereits über ihren Einsatz in der Erfassung und Bewertung von Risiken. Hier möchte ich ergänzend erwähnen, dass z.B. auch in Zeiten, in denen aufgrund von Kontaktbeschränkungen keine Werksbesichtigungen möglich sind, moderne Verfahren wie unsere Services „Remote Risk Dialogue“ oder „Risk Scanning“ helfen können, Kunden kontinuierlich bei der Analyse der Risikosituation zu begleiten und zudem große Mengen an Informationen zu verarbeiten.

Beim Transport von Waren kann der Einsatz vernetzter Technologien mittels Sensoren dabei helfen, laufend Informationen über den Verbleib und Zustand der Waren zu erhalten und bei Verzögerungen schneller einzugreifen.

Zudem kann die Notwendigkeit menschlichen Eingreifens in Lieferketten reduziert werden, was besonders im Zusammenhang mit Kontaktbeschränkungen ein weiterer Vorteil ist.

Aus meiner Sicht werden künftig vermehrt auch Blockchain- oder zumindest vermehrt IT-gestützte Verfahren mit zuvor vereinbarten automatisierten Prozessschritten bei Eintreten bestimmter Faktoren eine große Rolle spielen können. Dies findet zum Teil bereits jetzt bei der Ausstellung von Frachtdokumenten statt oder bei der elektronischen Abwicklung von Verzollungen, nur um einige Beispiele zu nennen.

Wir setzen aber nicht alleine auf die Technik, weil diese zwar wertvolle Informationen liefern kann, jedoch nicht unbedingt den Schaden abwenden wird. Daher ist aus unserer Sicht eine ausgewogene Mischung von Technologie mit traditioneller Schadenverhütung sinnvoll.

VWheute: Ist die Anpassung von Bedingungen eine Option, an der Sie arbeiten?

Pascal Matthey: Da sich die Risiken unserer Kunden im Detail zumeist deutlich voneinander unterscheiden, sind spezifisch zugeschnittene Bedingungen für die jeweiligen Bedürfnisse des Kunden unser tägliches Geschäft.

Die Fragen stellte VWheute-Redakteur Maximilian Volz.

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