Konjunkturpaket der Bundesregierung stößt bei Kreditversicherern auf geteilte Reaktion

Bundeskanzleramt in Berlin. Quelle: Bild von PixelAnarchy auf Pixabay

„Wir wollen mit Wumms aus der Krise kommen“, kündigte Vizekanzler und Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) am Mittwochabend bei der Präsentation des milliardenschweren Konjunkturpakets der Bundesregierung an. Ob dies die coronabedingten Schäden dauerhaft mindern kann, werden die kommenden Wochen und Monate zeigen. Die Kreditversicherer reagieren auf Anfrage von VWheute verhalten optimistisch.

Nach rund zweitägigen Verhandlungen haben sich die Spitzen von Union und SPD auf einen umfangreichen Maßnahmenkatalog geeinigt, um die Wirtschaft nach dem Lockdown wieder in Schwung zu bringen. Insgesamt umfasst dieser Katalog 57 Maßnahmen mit einem Gesamtvolumen von rund 130 Mrd. Euro, aufgeteilt auf 2020 und 2021. Zum Vergleich: Der gesamte Bundeshaushalt belief sich zuletzt auf 350 Md. Euro.

Die wichtigsten Eckpunkte des Konjunkturpakets

Der Mehrwertsteuersatz soll vom 1. Juli bis zum 31. Dezember wird der Mehrwertsteuersatz von 19 auf 16 Prozent und der ermäßigte Satz von sieben Prozent auf fünf Prozent gesenkt. Damit soll vor allem der Binnenkonsum angekurbelt werden. Kostenpunkt: Etwa 20 Mrd. Euro.

Familien sollen einen einmaligen Kinderbonus von 300 Euro pro Kind für jedes kindergeldberechtigte Kind erhalten. Der Bonus muss versteuert werden, er wird aber nicht auf die Grundsicherung angerechnet. Zudem will der Bund für Erweiterungen, Umbauten oder Neubauten von Kitas und Krippen rund eine Milliarde Euro ausgeben.

Für die Automobilindustrie gibt es eine „Umweltprämie“, allerdings nur für E-Fahrzeuge. Diese soll befristet bis Ende 2021 für Elektroautos mit einem Nettolistenpreis von bis zu 40.000 Euro von 3.000 auf 6.000 Euro steigen. Zudem will der Bund zusätzlich 2,5 Mrd. Euro in den Ausbau des Ladenetzes für E-Autos sowie in die Förderung von Forschung und Entwicklung etwa bei der Batteriezellfertigung investieren. Für Zukunftsinvestitionen der Hersteller und der Zulieferindustrie soll für die Jahre 2020 und 2021 ein „Bonus-Programm“ in Höhe von zwei Milliarden Euro aufgelegt werden.

Stromkunden sollen bei der EEG-Umlage entlastet werden. Dafür soll die EEG-Umlage zur Förderung von Ökostrom-Anlagen ab 2021 durch Zuschüsse aus dem Bundeshaushalt abgesenkt werden. Demnach soll diese im Jahr 2021 bei 6,5 Cent pro Kilowattstunde liegen und 2022 bei sechs Cent liegen.

Die Deutsche Bahn und der öffentliche Nahverkehr sollen mit Milliardenspritzen unterstützt werden. Demnach will der Bund dem bundeseigenen Konzern weiteres Eigenkapital in Höhe von fünf Mrd. Euro zur Verfügung stellen. Der öffentliche Nahverkehr soll 2,5 Mrd. Euro erhalten. Darüber hinaus will der Bund rund sechs Mrd. Euro in die Hand nehmen, um die Ausfälle bei den Gewerbesteuereinnahmen für die Kommunen zu kompensieren. Eine Übernahme von Altschulden soll es aber nicht geben.

Zudem plant die Koalition eine „Sozialgarantie 2021“: Dabei sollen die Sozialversicherungsbeiträge durch milliardenschwere Zuschüsse aus dem Bundeshaushalt bei maximal 40 Prozent stabilisiert werden. Die Kosten der „Sozialgarantie 2021“ werden für 2020 mit 5,3 Mrd. Euro beziffert. Für 2021 sind sie laut Koalition noch nicht absehbar.

Quelle: Statista

Subran: „Deutschland spielt fiskalpolitisch in einer eigenen Liga“

Für Ludovic Subran, Chefvolkswirt von Allianz und Euler Hermes, habe „die deutsche Regierung nochmals bestätigt, dass Deutschland fiskalpolitisch in einer eigenen Liga spielt. Neben konjunkturellen Maßnahmen, die darauf abzielen, kurzfristig die Nachfrage anzukurbeln – wie etwa die temporäre Senkung der Mehrwertsteuer und der Kinderbonus – kommen auch Elemente, die das langfristige Wachstumspotential der deutschen Wirtschaft stärken dürften, nicht zu kurz. Dass der Klimaschutz in der Wirtschaftspolitik auch in Krisenzeiten nicht an Bedeutung verliert, zeigt die Kaufprämie, die allein für emissionsarme Autoantriebe gilt.“

Zwar hätten die Erleichterungen für die Unternehmen „insgesamt noch etwas größer ausfallen können, doch dürften sich die angekündigten steuerlichen Erleichterungen sowie die Soforthilfen für SMEs in stark betroffenen Sektoren den erwarteten Anstieg der Insolvenzen etwas begrenzen“, betont der Ökonom gegenüber VWheute.

„Dieses entschiedene Gegenrudern der deutschen Politik ist ein wichtiger Faktor, weswegen die deutsche Wirtschaft im Vergleich zu vielen europäischen Nachbarländern schneller und besser aus der Krise kommen dürfte.“

Ludovic Subran, Chefvolkswirt von Allianz und Euler Hermes

„Die angekündigten Maßnahmen dürften der einsetzenden wirtschaftlichen Erholung in der zweiten Jahreshälfte Rückenwind verleihen und die Rezession im Jahr 2020 dadurch etwas abmildern. Insgesamt hat die deutsche Regierung nun seit März rund 35 Prozent der Wirtschaftsleistung in Form von Mehrausgaben und staatlichen Garantien bereitgestellt, um die wirtschaftlichen Folgen der Coronakrise abzufedern. Dieses entschiedene Gegenrudern der deutschen Politik ist ein wichtiger Faktor, weswegen die deutsche Wirtschaft im Vergleich zu vielen europäischen Nachbarländern schneller und besser aus der Krise kommen dürfte“, erläutert der Chefvolkswirt von Allianz und Euler Hermes.

Coface: „Einschätzung muss wohl auf verschiedenen Ebenen stattfinden“

Etwas skeptische bewertet hingegen Christiane von Berg, Chefvolkswirtin von Coface Deutschland, gegenüber VWheute das milliardenschwere Konjunkturpaket der Bundesregierung: „Psychologisch gesehen ist das ganze Paket positiv zu sehen. Ein Paket mit einem Umfang von 130 Mrd. Euro ist eine echte Hausnummer. Es zeigt, dass der Staat handlungsfähig ist und gibt den Menschen Vertrauen, dass dieses die Auswirkungen der Coronakrise abmildern wird. Dies kann wiederum zu einer selbsterfüllenden Prophezeiung werden, da derzeit das Vertrauen in die Zahlungsfähigkeit der Unternehmen und Bürger immanent ist.“

Dennoch sei „die Wirkung der einzelnen Stützungsbereiche jedoch in Teilen fragwürdig. Nehmen wir das Beispiel des Einzelhandels: Die Mehrwertsteuersenkung ist zwar bestimmt für viele Selbständige, Geringverdiener und vor allem Geringverdiener in Kurzarbeit hilfreich, aber dem Großteil der Bevölkerung fehlt es nicht an den finanziellen Mitteln etwas zu kaufen, sondern eher am Willen. Denn wenn bei jedem Einkauf ein Mundschutz notwendig ist und eine Boutique nicht von mehr als drei Personen gleichzeitig besucht werden kann, dann regt das nun mal überhaupt nicht zu ausgedehnten Shoppingtouren an, Mehrwertsteuersenkung Hin oder Her.“

„Eine Einschätzung zum aktuellen Konjunkturprogramm muss wohl auf verschiedenen Ebenen stattfinden bzw. für verschiedene Gruppen. Psychologisch gesehen ist das ganze Paket positiv zu sehen. Ein Paket mit einem Umfang von 130 Mrd. Euro ist eine echte Hausnummer.“

Christine von Berg, Chefvolkswirtin von Coface Deutschland

Zudem werde die Automobilbranche „nicht wirklich von einer Verdoppelung der Ankaufprämie für E-Autos profitieren, wenn diese nur einen Bruchteil des Absatzes darstellt und die vorab bestehenden hausgemachen Probleme der Branche (z.B. der Dieselskandal, neue Car-Sharing-Modelle) bleiben. Die Senkung des Strompreises hilft da schon mehr, insbesondere allen Personen, die gerade im Home-Office rund um die Uhr den PC in Betrieb haben und Abends mit der Familie einen Serienmarathon streamen.“

„Insgesamt schauen die Kreditversicherer eher mit gemischten Gefühlen auf die aktuellen Maßnahmen“, ergänzt von Berg. „Denn, wenn durch die Stützungsmaßnahmen von Unternehmen, die Firmen mit einem guten, nachhaltigen Geschäftsmodell gestützt und vor einer Insolvenz bewahren, zu der es ohne COVID-19 nie gekommen wäre, ist das absolut zu begrüßen. Die Gefahr, dass durch diese Maßnahmen aber Unternehmen gerettet werden, die ohnehin schon länger Probleme haben und deren Insolvenz jetzt einfach nur verzögert wird bzw. bei der noch mehr Liquidität vom Staat und den Kunden versickern könnten (Stichwort Zombieunternehmen), diese Gefahr ist hoch. Zumal die Rechnung für das Hilfspaket am Ende die Steuerzahler von Morgen tragen.“

Daher „könnte diese Maßnahmen, die Insolvenzwelle, die für den Herbst/Winter 2020 bzw. den Jahresanfang 2021 erwartet wird, abmildern. Die Welle selbst lässt sich aber nicht mehr aufhalten und könnte über Zombieunternehmen dafür noch ein längeres Nachspiel haben“, prognostiziert die Coface-Ökonomin. 

Atradius: „Interessant sind die Zusagen für die Wirtschaft“

Der Kreditversicherer Atradius sieht in dem Paket einen weiteren Schritt, „um den Folgen der Corona-Krise zu begegnen und Unternehmen so weiter zu unterstützen. Die Senkung der Mehrwertsteuer bis Ende 2020 soll beitragen branchenübergreifend den Binnenkonsum anzukurbeln. Ob die Unternehmen diese Senkung an den Endverbraucher über reduzierte Preise weitergeben werden und die Rechnung damit aufgeht, bleibt allerdings abzuwarten“, heißt es in einer Stellungnahme gegenüber VWheute.

Besonders interessant seien dabei „die Zusagen für die Wirtschaft interessant. Die Deckelung der Sozialversicherungsbeiträge ist ein wichtiger Faktor, um Unternehmen Planungssicherheit zu geben und die Lohnkosten stabil zu halten. Auch die Überbrückungshilfen und steuerlichen Entlastungen für kleine und mittelständische Unternehmen sichern die Fix- und Betriebskosten und können so vor kurzfristigen Insolvenzen schützen. Unternehmen, denen es vor der Krise gut ging, werden Liquiditätsengpässe so unter Umständen in den Griff bekommen. Den Unternehmen, die allerdings schon vor der Krise zu kämpfen hatten, werden diese Überbrückungshilfen allerdings kaum etwas nutzen“.

Demnach würden die Maßnahmen grundsätzlich „an den richtigen Stellen ansetzen, „um die kurzfristigen Belastungen abzumildern und gehen mit zukunftsorientierten Ansätzen, wie dem Bonusprogramm für Zukunftsinvestitionen, sogar einen Schritt weiter. Aber eine Rezession und auch eine steigende Zahl von Insolvenzen werden dadurch kaum vollständig abwendbar sein – selbst wenn es nicht zu einer zweiten Infektionswelle kommt.“

Autor: VW-Redaktion